Streit um Rückgabe der Benin-Bronzen: „Eine andauernde Grausamkeit, die mit jeder Museumsöffnung aufgefrischt wird“
Den Raub der Benin-Bronzen 1897 durch britische Truppen schildert Dan Hicks in seinem Buch "The Brutish Museums". Hunderte Bronzen kamen auch nach Berlin.
Seit dem 15. Jahrhundert wurden im Königreich Benin Bronzen gegossen, zumeist in Form von Reliefplatten und Kopfskulpturen. Sie sind heute in zahlreichen Museen der westlichen Welt zu finden – auch in Berlin, in den Sammlungen der Staatlichen Museen. Im neuen Humboldt-Forum sollen sie ab dem kommenden Jahr prominent ausgestellt werden.
Doch wenige Tage vor der digitalen Eröffnungsfeier am 16. Dezember machte Yusuf Tuggar, Nigerias Botschafter in Berlin, eine Rückgabeforderung aus dem vergangenen Jahr erstmals mit einer Twitter-Nachricht öffentlich, wie der Tagesspiegel aktuell berichtet.
Tatsächlich wird bisher nur eine Minderzahl der Benin-Bronzen in Nigeria bewahrt, in dessen Staatsgebiet das einstige Königreich Benin aufgegangen ist. Den Bronzen kommt kulturgeschichtlich eine doppelte Rolle zu. Zum einen stellen sie die herausragenden künstlerischen Objekte der Vergangenheit des subsaharischen Afrika dar.
Sie sind diejenigen Kunstgegenstände, an denen die – vom Westen stets bestrittene – Geschichtlichkeit afrikanischer Kulturen sichtbar wird. Zum anderen stehen die Bronzen im Mittelpunkt der Debatte um die um die Restitution von Kulturgütern aus kolonialem Kontext, in dem auch die aktuelle Rückgabeforderung an Berlin steht.
Sie stehen im Mittelpunkt, weil sie von unbestrittenem künstlerischen Wert sind – und Zeugnisse eines der brutalsten Raubzüge der europäischen Kolonialgeschichte. Auch im Pitt Rivers Museum der ehrwürdigen Universität zu Oxford sind Benin-Artefakte vorhanden. Dessen Kurator, der an der Universität als Professor für Zeitgenössische Archäologie lehrende Dan Hicks, hat jetzt ein Buch vorgelegt, das in Großbritannien Wellen schlägt.
Unter dem Titel „The Brutish Museums“ – ein Wortspiel von „British“ und dem englischen Adjektiv für „brutal“ – schildert Hicks die britische „Strafaktion“, die im Jahr 1897 zur vollständigen Zerstörung von Benin-Stadt führte, in deren Folge die Kunstwerke Benins in kürzester Zeit in Europa zerstreut wurden.
Die "Strafaktion" mit Propaganda-Kampagnen begleitet
Die „Strafaktion“ der britischen Marinetruppen hatte eine lange Vorgeschichte. Hicks beschreibt, wie sich die kolonialen Interessen zunächst auf den Handel mit begehrten Gütern richteten, dann aber auf die Produktion selbst, insbesondere von Palmöl und Palmkernen.
Aus dem Handel wurde alsbald Ausbeutung, und der Widerstand, den lokale afrikanische Machthaber wie eben der Oba oder König von Benin dem entgegensetzten, ließ auf britischer Seite alle Hemmungen gegenüber militärischer Gewaltanwendung schwinden.
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Hicks zeigt, wie die ökonomischen Interessen der eigens gegründeten „Royal Niger Company“ und die in Großbritannien verbreitete Propaganda zur „Zivilisierung“ Afrikas durch Christianisierung und Abschaffung des innerafrikanischen Sklavenhandels ineinander griffen. Hinzu kam die Berichterstattung in den Massenmedien, die die in den afrikanischen Fürstentümern verbreiteten Praktiken etwa des Fetischs, aber auch die in Benin tatsächlich vollzogenen Menschenopfer, in drastischer Weise ausbreiteten.
[Dan Hicks, The Brutish Museums. The Benin Bronzes, Colonial Violence and Cultural Restitution. Pluto Press, London 2020. 345 Seiten mit 16 Farbtafeln, 20 Britische Pfund]
„Sehr wahrscheinlich ließ der Oba Menschenopfer von Sklaven und Gefangenen darbringen, und sehr wahrscheinlich Geiseln töten, die er genommen hatte, als die Königliche Stadt unter Geschützfeuer geriet“, konstatiert Hicks. An anderer Stelle werden Augenzeugenberichte referiert, die die im Mutterland gängige Bezeichnung von Benin als „Stadt des Blutes“ durchaus stützen.
„Empfindungen von Anti-Sklaverei und christlicher Missionierung“, schreibt Hicks, „wurden aktiv zur Rechtfertigung von Gewalt benutzt.“ Im Grunde aber – und da kommt Hicks’ Fokussierung auf die eigene Wissenschaften in den Blick, Archäologie und Anthropologie – ging es darum, die Feststellung „wissenschaftlich zu untermauern, dass es keine Zivilisation außerhalb des weißen Euro-Amerika geben konnte.“
Vollständige Vernichtung nach dem Taktik-Handbuch
Was in der Heimat als zivilisatorische Mission galt, war in der Realität Westafrikas der unverhohlene Griff nach Rohstoffen und Handelsmonopol. Als eine kleine Gruppe britischer Zivilisten im schwer zugänglichen Benin niedergemacht wurde, war der willkommene Anlass für die „Strafaktion“ gegeben.
Mit ihrer weit überlegenen Waffentechnik, insbesondere dem 1889 eingeführten „Maxim“-Maschinengewehr, aber auch Brandbomben zur Vernichtung der strohgedeckten Behausungen, führten die britischen Truppen Vernichtungskriege in all ihren afrikanischen „Einflussgebieten“.
Die Berichte der Militärs, die Korrespondenz innerhalb der Niger Company sowie die zeitgenössische militärtheoretische Literatur hat Hicks aufs Genaueste gelesen. Von einer außer Kontrolle geratenen Aktion konnte bei der Eroberung von Benin-Stadt im Februar 1897 nicht die Rede sein. Die vollständige Vernichtung des Feindes war bereits zuvor in Taktik-Handbüchern festgeschrieben.
Zudem durchlief die Waffentechnik eine Phase rasanter Modernisierung; abgesehen vom Maschinengewehr wurde mörderische Munition wie die später in Indien eingesetzten Dum-Dum-Geschosse erprobt. Hicks nennt das Buchkapitel mit der Schilderung der Benin-Aktion denn auch bündig „Massenmord“.
Die genaue Zahl der Opfer indes lässt sich nicht beziffern, es ist, als ob die Opfer im undurchdringlichen Dschungel einfach verschwunden und in Benin-Stadt selbst mit der vollständigen Zerstörung sämtlicher Bauten beseitigt worden seien. Da Benin-Stadt um die 50.000 Einwohner gehabt haben dürfte und der Oba mehrere zehntausend Krieger zu mobilisieren imstande war, müssen die Verluste hoch fünfstellig gewesen sein.
Es geht Hicks aber um etwas anderes: um die kulturelle Auslöschung des Gegners. Das Kapitel „Plünderung“ steht im Zentrum des Buches. Rund 300 weiße Militärs und danach noch etwa 50 weitere Weiße waren bei der Zerstörung Benins dabei. Am 21. Februar 1897 wurde der Königspalast niedergebrannt, nicht zufällig, sondern „in zunehmender Zerstörungswut“, um – wie ein Beteiligter formulierte – „die Macht der Fetisch-Priester zu brechen“.
Weg der wertvollen Beutestücke nach Berlin
Die Zerstörung aller Kulturschätze war in den Militärhandbüchern als probates Mittel zum Brechen jedweden Widerstandes vorgezeichnet. Die Eroberer nahmen, was sie finden konnten, und verkauften es baldmöglichst weiter; die offiziell nach England gebrachten Schätze wurden verauktioniert, um – man glaubt es kaum – die Kosten des Benin-Feldzugs aufzubringen.
Gegenüber der zeitgenössischen Schätzung der Anzahl der Beutestücke durch Felix von Luschan, den Direktor am Berliner Völkerkundemuseum, nimmt Hicks die vierfache Anzahl von „sehr wahrscheinlich 10.000 Bronzen, Elfenbein- und anderen Objekten“ an, zumal „viel in Privatsammlungen verborgen“ sei.
Von Luschan war einer der Museumsmänner, die zielgerichtet bei Händlern und auf Auktionen kauften. Interessant ist die penible Aufstellung der 868 bislang identifizierten Benin-Bronzen aus dem Feldzug von 1897 am Ende des Buches: Sie weist Berlin mit 255 Objekten im Ethnologischen Museum, also künftig im Humboldt-Forum, den relativ größten Bestand zu, weit vor dem British Museum mit 192 Stücken. Insgesamt besitzen 47 Museen Objekte aus dem Raubzug.
„Der Übergang von Beute in die Hände westlicher Kuratoren, ihre andauernde Zurschaustellung in unseren Museen und ihr Verstecken in privaten Sammlungen ist kein kunsthistorischer Fall von ,Empfangen’, sondern eine andauernde Grausamkeit, die jeden Tag aufgefrischt wird, da ein anthropologisches Museum seine Türen öffnet.“
Das ist das Credo des Autors. Restitution allein genügt ihm nicht, auch nicht die bloße Darstellung des Geschehenen. Es geht darum, „in der Gegenwart zu handeln“. Nur wie? Und wie die „im Globalen Süden nach einem vollständig neuen Modell“ zu errichtenden Museen aussehen sollen, die Hicks fordert, erläutert er nicht.
Die Bedeutung, die die Objekte in der Benin-Gesellschaft hatten, ihre soziale und vor allem spirituelle Rolle, lässt sich ohnedies nicht wiederherstellen, bei aller denn doch befremdlichen Ehrfurcht, mit der Hicks von den „heiligen Räumen“ und der im Stadtgrundriss erkennbaren „physischen Ausführung der Kosmologie“ mehr schwärmt als spricht.
Im heutigen Nigeria befinden sich 64 Bronzen in der Hauptstadt Lagos, nur zwölf im Nationalmuseum von Benin City. Dort sollen Ausgrabungen auf dem Areal des einstigen Palasts beginnen und ein Museum für Benin-Objekte errichtet werden, entworfen von David Adjaye, dem in Ghana gebürtigen, in London lebenden Architekten. Es sieht auf seinen Renderings so aus, wie man sich heutzutage ein elegantes Museum vorstellt.