Nach gewalttätigen Corona-Protesten: Niedersachsens Innenminister fordert Apple und Google auf, Telegram zu entfernen
Die Politik will gegen eine weitere Radikalisierung von Gegnern der Corona-Maßnahmen vorgehen. Boris Pistorius befürchtet ansonsten Terroranschläge.
Nach neuen teils gewaltsamen Protesten von Gegnern der Corona-Maßnahmen wächst die Sorge vor einer weiteren Radikalisierung. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) fordert daher die Internetkonzerne Apple und Google auf, Telegram aus ihren App-Stores zu entfernen. Hintergrund ist, dass sich die Demonstranten zunehmend über die App organisieren.
„Was in den Telegram-Gruppen und Kanälen passiert, widerspricht in jeder Hinsicht den Compliance-Richtlinien von Apple und Google“, sagte Boris Pistorius gegenüber dem "Spiegel"., „wir müssen dringend mit ihnen sprechen und sie überzeugen, Telegram nicht mehr zu vertreiben.“
Pistorius warnt in dem Zuge auch vor Terroranschlägen. „Wir müssen damit rechnen, dass es zu Angriffen mit tödlichem Verlauf und schlimmstenfalls sogar zu Mord- und Terroranschlägen kommen kann“, sagt Pistorius. „Die zunehmenden Bedrohungen lassen das zumindest befürchten.“
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Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält Demonstranten, die Corona-Proteste zur Diffamierung staatlicher Institutionen nutzen, "für Aasgeier der Pandemie". Dieser Begriff sei für Rechtsextreme, denen die Pandemie nur ein willkommener Anlass sei, um gegen den Staat zu hetzen, "eine gute Charakterisierung", sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart vor Journalisten.
Der Ministerpräsident griff damit eine Formulierung des CDU-Fraktionschefs im baden-württembergischen Landtag, Manuel Hagel, auf. Dieser hatte den AfD-Abgeordneten vorgeworfen, sie seien die politischen Aasgeier der Pandemie". Bei bürgerlichen Impfgegnern sei die Verweigerung dagegen oft eine Frage der Weltanschauung, sagte Kretschmann. Er wisse aus eigener Erfahrung, dass Argumente hier nichts nützten.
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Der nordrhein-westfälische Innenminister Herber Reul (CDU) nannte am Sonntagabend im "Bild"-Talk den extremistischen Teil der Protestierenden "brandgefährlich, weil sie mittlerweile nicht nur reden, schwätzen, sich gegenseitig hochstacheln, sondern auch zu Taten schreiten". Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) rief in der "Bild" dazu auf, "den Radikalen nicht die Straße überlassen".
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sieht auch einen "gewissen Tourismus" von offensichtlich gewaltbereiten Demonstranten aus anderen Bundesländern. Der Rechtsstaat müsse hier "klare Kante zeigen, und das tut er auch", sagte Maier am Montag im ZDF-"Morgenmagazin".
"Viele verfolgen ganz andere Ziele als Corona, sie benutzen die emotionale Debatte um die Impfpflicht, um zu spalten", sagte Schwesig in der "Bild"-Zeitung vom Montag. Am Ende müssten aber "demokratische Entscheidungen von allen akzeptiert werden". "Hier muss unsere Demokratie eine Brandmauer gegen Gewalt errichten", sagte die Ministerpräsidentin.
Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz (Grüne) nannte die aktuelle Entwicklung "mehr als beängstigend". Zu lange seien Reichsbürger und sogenannte Querdenker als harmlos abgetan worden, sagte er der "Welt". Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle warnte vor einer gezielten Unterwanderung friedlicher Corona-Proteste.
Auch der Terrorismusforscher Peter Neumann sieht eine ernsthafte Gefahr durch eine Radikalisierung der Corona-Proteste. "Was wir vereinzelt bereits gesehen haben, sind komplexere Anschläge auf das RKI zum Beispiel oder auf Kliniken und auf Impfstellen", sagte Neumann am Sonntag bei Bild TV. Deshalb könne er sich vorstellen, "dass wir in einigen Monaten tatsächlich möglicherweise von einer terroristischen Kampagne sprechen müssen".
Proteste auch am Montagabend in vielen Städten
Tausende Menschen hatten nicht nur am Wochenende, sondern auch noch am Montagabend in deutschen Städten gegen Corona-Maßnahmen protestiert. Alleine in Mecklenburg-Vorpommern beteiligten sich rund 7000 Menschen in mindestens zwölf Städten an teils nicht angemeldeten Veranstaltungen, davon etwa 2900 in Rostock.
Der Protest richtete sich vor allem gegen eine mögliche Impfpflicht, vielerorts wurde aber auch eine Spaltung der Gesellschaft durch die Einschränkungen beklagt.
In Thüringen protestierten laut Polizei landesweit rund 6000 Menschen bei 26 Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen. Größtenteils seien es illegale Zusammenkünfte gewesen, sagte ein Sprecher. Dabei seien sieben Beamte verletzt worden, einer davon war demnach nicht mehr dienstfähig.
Auch in Mannheim zogen trotz eines Verbots nach Schätzungen der Polizei bis zu 2000 Menschen großteils ohne Masken und ohne Abstand durch die Stadt. Rund 800 von ihnen schafften es demnach, ins Zentrum vorzudringen. Erst als die Polizei sehr starke Kräfte zusammengezogen habe, habe sich die Lage allmählich beruhigt. Sechs Polizisten seien im Verlauf des Abends verletzt worden.
In Magdeburg versammelten sich etwa 3500 Menschen, im nordrhein-westfälischen Gummersbach rund 500. In Sachsen ging die Polizei am Abend in mehreren Orten gegen Proteste vor: In Freiberg kesselte die Polizei rund 100 Menschen in der Nähe eines Supermarktparkplatzes ein, bevor sie die Protestierenden doch weitergehen ließ - denn aufgrund der Nähe zu den Geschäften sei nicht festzustellen gewesen, wer Teilnehmer oder Kunde der Märkte war, sagte ein Sprecher der Polizei. In Dresden zählte die Polizei in der Innenstadt rund 100 Protestierende.
Politik fürchtet weitere Radikalisierung
Teils werden Proteste von Gegnern staatlicher Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung angemeldet und Auflagen eingehalten. Teils werden Verbote und Regeln aber auch gezielt missachtet.
Politiker, Polizei und Verfassungsschützer hatten sich zuletzt besorgt gezeigt über eine Radikalisierung insbesondere unter ohnehin schon extremistischen Protestierenden. Nach Einschätzung von Experten mischen bei den Protesten rechtsextreme Gruppen mit, die seit Jahren auch gegen Migration und staatliche Strukturen mobilisieren. Bei solchen Protesten waren in den vergangenen Wochen wiederholt auch Journalisten beschimpft und attackiert worden. (Tsp/dpa)