„Schnellprozesse“ gegen Querdenker gefordert: Innenminister warnen vor mehr Corona-Protesten durch Impfpflicht
Seit Wochen mobilisieren Gegner der Corona-Politik in Sachsen. Sicherheitsbehörden sind alarmiert und fürchten eine weitere Radikalisierung.
Innenminister und Verfassungsschützer haben für den Fall einer allgemeinen Impfpflicht vor einer weiteren Eskalation der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen gewarnt. "Ich befürchte in der Tat, dass die Impfpflicht die Proteste weiter anheizen könnte", sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschlands (RND). Ähnlich äußerten sich seine Amtskollegen aus Sachsen-Anhalt, Sachsen, und Bayern. Unterdessen gab es weitere unangemeldete Proteste.
Die Innenministerin aus Sachsen-Anhalt, Tamara Zieschang (CDU), pflichtete Stübgen bei: "Seit Beginn der Corona-Pandemie lässt sich beobachten, dass eine Verschärfung von Corona-Eindämmungsmaßnahmen mehr Proteste und Demonstrationen nach sich zieht."
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"Das ist eine dramatische Situation, die sich in den vergangenen Wochen noch einmal verschärft hat", sagte auch Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) im Interview mit RTL. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Protest sich zunehmend mit Hass und Gewalt auflädt."
Der Chef des Verfassungsschutzes in Brandenburg, Jörg Müller, warnte im RBB, dass bekannte Rechtsextremisten die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen unterwandern würden. "Ich würde nicht so weit gehen, dass jeder Bürger, der mit solchen Extremisten gemeinsam an einer Demonstration teilnimmt, auch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt", sagte Müller. Aber bekannte Akteure "wie die AfD oder der extremistische Verein 'Zukunft Heimat'" würden es immer wieder schaffen, so tausende Menschen auf die Straße zu bringen.
Immer mehr unangemeldete Proteste
Das beobachtet auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Er sagte dem RND zudem, dass es neben immer mehr angemeldeten auch immer mehr unangemeldete Proteste gäbe. Diese "vermeintlich spontanen" Versammlungen würden in einschlägigen Gruppen im Onlinedienst Telegram beworben. Die Behörden seien aber darauf vorbereitet und würden "Verstöße gegen das Versammlungsgesetz ebenso konsequent ahnden, wie sie auch Verstöße gegen die infektionsschutzrechtlichen Vorgaben konsequent zur Anzeige" bringen.
Der Chef des Verfassungsschutzes in Thüringen, Stephan Kramer, sagte hingegen, dass die Verstöße nur als "Kavalierdelikt" behandelt würden. Er sprach sich für ein härteres "Durchgreifen" der Justiz gegen die Demonstranten aus. "Nötig ist, dass es auch mal zu Gerichtsverhandlungen kommt, die öffentlich wahrgenommen werden." Es gehe nicht mehr um Versammlungs- und Meinungsfreiheit, sagte er dem RND. "Es geht nur noch darum, einzuschüchtern und Angst zu verbreiten. Diese Menschen brauchen keine Kommunikation, sondern eine klare Ansage."
Lehrer, Ärzte, Wissenschaftler – alle können Ziel von Drohungen werden
Die Drohungen der Protestler richteten sich längst nicht mehr allein gegen Politikerinnen und Politiker wie die sächsische Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD), vor deren Privathaus Demonstranten mit Fackeln aufmarschiert waren. "Wir haben seit langem auch Drohungen gegen Lehrer, gegen Ärzte und gegen Wissenschaftler an den Universitäten", sagte Kramer. "Die kann man nicht mehr alle unter Polizeischutz stellen." Thüringens Verfassungsschutzchef sagte dem RND weiter, es habe allein in seinem Bundesland am Wochenende 30 Protestveranstaltungen gegeben - viele davon nicht angemeldet.
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Die Proteste gingen auch am Montag weiter. So berichtete die Polizei in Schwerin, dass sich am Abend "in der Spitze" bis zu 400 Personen ohne erforderliche Anmeldung durch die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern zogen. Diese hätten sich gegenüber der Polizei "teilweise unkooperativ" verhalten. Die Beamten stellten demnach Strafanzeigen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, wegen Widerstands gegen Polizeibeamte sowie wegen Beleidigung und erteilten Platzverweise.
In Trier in Rheinland-Pfalz verhinderte die Polizei laut eigenen Angaben einen nicht angemeldeten Protest. Demnach hätten sich auf dem Vorplatz der Porta Nigra rund 100 Menschen versammelt, die durch die Fußgängerzone ziehen wollten. Das habe die Polizei "durch schnelles und konsequentes Einschreiten der Beamten" unterbunden. Auch hier leiteten die Behörden Ermittlungen ein.
Sachens Landtag stellt epidemische Lage fest
Der Grund für die Aufmärsche: Sachsens Landtag hat die epidemische Lage im Freistaat festgestellt und so die rechtliche Grundlage für eigene Schutzmaßnahmen in der Corona-Pandemie geschaffen.
Zwar räumte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ein, dass man erst noch die neue Gesetzeslage auf Bundesebene abwarten müsse. Allerdings, so Kretschmer, arbeite die neue Koalition in Berlin mit Hochdruck daran. Er habe in dieser Frage ein großes Zutrauen zum neuen Bundeskanzler Scholz.
Bei der Sitzung des Landtags verurteilte Kretschmer am Montag außerdem den Fackelaufmarsch vor dem Privathaus von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) scharf. Das sei eindeutig eine Grenzüberschreitung und ein Versuch der Einschüchterung, sagte er. Auch der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die scheidende Bundesregierung verurteilten die Bedrohung der Ministerin.
„Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen, und das lassen wir uns nicht gefallen“, sagte Kretschmer. Er sicherte Köpping „einhundertprozentige Solidarität“ zu und kündigte ein hartes Vorgehen gegen verbotene Demonstrationen an.
Extremisten hatten bereits seit dem Wochenende für einen Protest vor dem Sächsischen Landtag mobilisiert. „Unsere Gefahrenprognose, Grundlage unserer Einsatztaktik, ist damit eine ganz andere als an den vergangenen Montagen“, sagte Polizeipräsident Jörg Kubiessa. Allerdings bestätigte sich der Verdacht nicht.
Bereits am Wochenende hatte es an verschiedenen Orten Demonstrationen gegeben. Am meisten Aufsehen erregte allerdings der Protest vor dem Haus von Ministerin Köpping. Die Polizei erstattete Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und prüft Verstöße gegen die Corona-Verordnung.
Merkel und Scholz verurteilen Fackelaufmarsch
Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte den Vorfall am Montag in Berlin als einen "Angriff auf die Demokratie". Was vor dem Haus Köppings geschehen sei, "zutiefst empörend", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Es sei dabei um Einschüchterung gegangen. "Die Demonstranten wollen nichts anderes als Angst machen", sagte Seibert. "Und dafür kann es in der demokratischen Auseinandersetzung über den richtigen Weg in dieser Pandemie keinen Platz geben."
Der designierte Bundeskanzler Scholz sagte, „das dürfen wir uns als Land nicht gefallen lassen“. „Das ist als Bedrohung gemeint. Und wir sollten nicht so tun, als ob es nicht auch genau das gewesen ist: eine Bedrohung einer demokratischen, fleißigen und ganz tollen Politikerin in Sachsen.“ Alle Demokraten müssten das zurückweisen.
Landesinnenminister fordert "Schnellprozesse"
Sachsens Landesinnenminister Roland Wöller (CDU) sagte „Bild“: „Ich fordere Schnellprozesse, um Verstöße gegen die Corona-Schutzmaßnahmen sofort und rigoros zu ahnden! Sowas darf nicht erst Wochen später passieren.“
Thüringens Innenminister Georg Maier zeigte sich angesichts der jüngsten Proteste in Thüringen, aber auch in Sachsen besorgt. „Das ist grundsätzlich besorgniserregend“, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag). Die Proteste würden „teilweise von Rechtsextremisten organisiert“, die zuweilen regelrecht „euphorisch“ seien.
Sachsen rechnet mit einer Corona-Inzidenz von 2800 Ende Dezember
Sachsens Landesregierung versucht seit Wochen, die explodierenden Fallzahlen im Freistaat mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens in den Griff zu bekommen. Sachsen hat mit Abstand die höchste Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland, zuletzt pendelte sich die Inzidenz bei Werten um die 1200 ein.
Die Zahlen könnten sich sogar verdoppeln und bis auf Werte von 2800 steigen, befürchtet die Landesregierung. „Bei sich fortsetzender Dynamik kann angenommen werden, dass die Inzidenz bis Ende Dezember bis circa 2800 ansteigen wird, bis sie dann bis Ende Januar auf das jetzige Niveau wieder abfallen wird“, hieß es im Antrag der Regierung für die Sondersitzung des Landtages am Montag.
Durch die erneut festgestellte epidemischen Lage im Freistaat soll Rechtssicherheit für eine Fortsetzung bestehender Schutzmaßnahmen und ihre mögliche Erweiterung erlangt werden.
Die aktuelle Notfallverordnung gilt bis 12. Dezember. Sie schreibt bereits stärkere Einschränkungen als in vielen anderen Bundesländern vor. Die sächsische Regierung schloss eine nochmalige Verschärfung nicht aus. Zunächst will sie aber die Wirkung der bisher verhängten Kontaktreduzierungen und die Vorgaben des neuen Infektionsschutzgesetzes abwarten. (mit Agenturen)