Streit um Schwedens und Finnlands Nahost-Politik: Nicht von Erdogan erpressen lassen – Syriens Kurden appellieren an Nato
Der türkische Staatschef will die Skandinavier vor Nato-Beitritt zwingen, Nordsyriens kurdische Selbstverwaltung zu blockieren. Deren YPG befreite die Region vom IS.
Nordsyriens kurdische Autonomieregierung appelliert an die Nato-Führung, sich nicht von Ankara erpressen zu lassen. Schwedens und Finnlands avisierter Nato-Beitritt dürfe nicht auf Kosten der nordsyrischen Selbstverwaltung erfolgen. Nach Zugeständnissen an den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan würde dieser seinen Krieg gegen die kurdische Autonomiebewegung intensivieren.
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„Ein Kniefall vor Erdogan wird die Bemühungen um eine friedliche Lösung in Syrien torpedieren“, sagte Khaled Davrisch, der Vertreter der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien in Berlin, dem Tagesspiegel. „Das türkische Regime hält gemeinsam mit dschihadistischen Verbündeten schon heute zahlreiche Orte in Syrien besetzt und bombardiert regelmäßig unsere Städte.“
Gebe der Westen nun nach und reduziere die humanitäre Hilfe vor Ort, käme dies einer Kapitulation gleich. „Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft, sich nicht in diese Politik der Türkei hineinziehen zu lassen, die darauf abzielt, die Nato zu kontrollieren und die Völker der Region zu schädigen“, sagte Davrisch.
Dass sich Erdogan in der Ukraine-Krise ermutigt fühle, zeige sich auch daran, dass seine Armee mit Kampfflugzeugen kilometertief nach Griechenland vorgedrungen sei. Gemeint sind Überflüge der türkischen Luftwaffe in der Nähe des Hafens von Alexandroupolis. Griechenland, wie die Türkei ein Nato-Staat, legte am Freitag offiziell Beschwerde wegen Verletzung seines Luftraums ein.
Erdogan erwartet „konkrete und ernsthafte Schritte“ Schwedens
Nach der Drohung, den angestrebten Nato-Beitritt der beiden skandinavischen Länder zu blockieren, hatte Erdogan am Samstag mit der Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und Finnlands Staatschef Sauli Niinistö telefoniert. Anschließend erklärte das türkische Präsidentenbüro, man erwarte von Schweden „konkrete und ernsthafte Schritte“ gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihre Verbündeten in Syrien und Irak.
Zugleich forderte Erdogan für sein Land schwedische Waffenlieferungen, die wegen Ankaras Invasionen nach Syrien 2019 ausgesetzt wurden. Seit Jahren greifen türkische Truppen kurdische Stellungen in Syrien und Irak an. Auch in Deutschland wurde dies als völkerrechtswidrig bezeichnet, weil der Türkei von den Kurden kein Angriff gedroht habe.
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Die PKK ist auch in der EU verboten und kämpft seit den Achtzigern erst um Unabhängigkeit, nun um Autonomie der Kurdenregion im Südosten der Türkei. PKK-Anhänger werden nach Lesart des türkischen Staates in Skandinavien nicht hart genug verfolgt. Vor allem aber erkennen schwedische und finnische Politiker die Rojava genannte, von den USA unterstützte Autonomieregion in Nordsyrien an. Dort regiert eine Koalition unter Führung der säkularen Kurdenpartei PYD, die der PKK nahesteht.
Insbesondere die kurdische YPG-Miliz innerhalb der multinationalen, überkonfessionellen Allianz SDF hatte Nordsyrien vom „Islamischen Staat“ (IS) befreit. Der politische Arm der SDF, der Demokratische Syrien-Rat war in Stockholm von Außenministerin Ann Linde empfangen worden. Und Schwedens Verteidigungsminister Peter Hultqvist sprach mit SDF-Kommandeur Mazlum Abdi.
Formal nennt sich die Selbstverwaltung, in der neben Kurden auch Assyrer, Araber und Turkmenen leben, „Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien“ und hat weltweit Vertretungen eröffnet. Diese werden mal mehr, mal weniger als De-facto-Botschaften anerkannt. Büros gibt es unter anderem in Washington, Brüssel, Prag – und Berlin. In Deutschland wird die Rojava-Vertretung weitgehend ignoriert. Als erste Ministerin sprach Annalena Baerbock (Grüne) überhaupt von „der kurdischen Selbstverwaltung“, als von dort im März gefangene deutsche Islamistinnen in die Bundesrepublik ausgeflogen wurden. Amtsvorgänger Heiko Maas (SPD) vermied es, von Syriens Kurden zu reden, um Erdogan nicht zu provozieren.
Man plädiere für Syrien nach wie vor dafür, die Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates von 2015 umzusetzen, sagte Rojava-Vertreter Davrisch in Berlin. Die Resolution sieht vor, dass die Regierung von Baschar al-Assad und die Opposition unter UN-Moderation miteinander sprechen. Dazu ist ein Waffenstillstand zwingend, ausgenommen sollen international abgesprochene Angriffe auf den IS und Al-Kaida-Ableger in Syrien sein.
Ziel ist die Bildung einer Übergangsregierung, die Zukunft Assads ist in der UN-Resolution bewusst ausgenommen. Andernfalls hätte Russland sie nicht mitgetragen. Die Verwaltung in Nordsyrien hofft, ähnlich wie die Kurden im Nordirak eine Autonomieregion erhalten zu können.