UN-Generalversammlung: Nicht Trump, sondern die Vereinten Nationen sind das Problem
In der UN wird Trump für seine Rede ausgelacht. Viele sehen ihn als Hindernis für Multilateralismus. Doch die Schwierigkeiten liegen anderswo. Ein Kommentar.
Jeden September wird das UN-Hochhaus in New York zur Bühne der Weltpolitik. Präsidenten, Regierungschefs und Außenminister reden bei der Generalversammlung. Jedes Mal prallen die gegensätzlichen Vorstellungen aufeinander, was diese Vereinten Nationen sein sollten – und was sie tatsächlich sind. Jedes Jahr kommt es in Deutschland zu Verwechslungen, wer ganz oder wenigstens halbwegs auf der Seite der freien Gesellschaften steht und wer die Gegner in der UN sind.
US-Präsident Donald Trump erntete Gelächter, als er das peinliche Selbstlob, mit dem er bei Wahlveranstaltungen in den USA durchkommt, vor der Weltöffentlichkeit ausbreitete: "In weniger als zwei Jahren hat meine Regierung mehr als jede andere Regierung in der Geschichte unseres Landes erreicht." Immerhin reagierte er cool und nicht so aufbrausend, wie man das sonst von ihm kennt, wenn er Widerspruch erfährt. "Ich habe diese Reaktion nicht erwartet, aber: Okay."
Die Mehrheit lehnt Globalismus ab, verteidigt ihre Souveränität
Nicht gelacht wurde, als er sein Bild von der Machtverteilung zwischen der Uno, dem Multilateralismus und den Nationalstaaten darlegte. "Wir lehnen die Ideologie des Globalismus ab." Und: "Amerika wird von den Amerikanern regiert." Als Staatsoberhaupt wird er die Souveränität der USA schützen. Das mag zwar den Verfechtern einer globalen Werteordnung unangenehm aufstoßen. Nur leider sieht es die Mehrheit der in New York versammelten Nationen wie Trump. Sie wollen sich nicht in ihre "inneren Angelegenheiten" hereinreden lassen.
In einer idealen Welt wäre die Uno Weltregierung und Weltpolizei in einem. Sie hätte die Autorität, um Kriege und krasse Verletzungen der Menschenrechte zu beenden. In der realen Welt ist das anders. Die Mehrzahl der UN-Mitglieder sind Autokratien. Die Demokratien sind in der Minderheit. Die Diktatoren sind froh, dass die Uno ohnmächtig ist.
Streit um die Iranpolitik
Viele Europäer stoßen sich an der Durchsetzungskraft der USA - vor allem, wenn einer wie Donald Trump der Präsident ist und die Machtfülle gegen europäische Interessen einsetzt, zum Beispiel im Umgang mit dem Iran. Nicht alle Europäer, aber die Mehrheit der EU-Regierungen betrachtet das Atomabkommen mit dem Iran als Fortschritt und wollen es nicht verlieren. Donald Trump hält es für einen schlechten Deal. Er meint, dass mehr drin sei: nicht nur eine zeitlich befristete Zusage der Mullahs, ihr Atomwaffenprogramm einzustellen, sondern eine dauerhafte Verpflichtung. Dazu einen Stop der Raketenentwicklung, ein Ende der Finanzierung von Terrorgruppen und die Zusage, Konflikte in der Region nicht durch die Entsendung iranischer Milizen weiter anzuheizen.
Bei diesen vier Zielen stimmen Deutschland und Europa sogar mit den USA überein. Überkreuz sind sie bei der Wahl der Mittel. Trump setzt das ökonomische Potenzial der USA ein, um seine Politik durchzusetzen. Er führt die Sanktionen gegen den Iran wieder ein, obwohl das Atomabkommen vorsieht, die Sanktionen abzubauen. Er stellt europäische Firmen vor die Wahl, ob ihnen das USA-Geschäft oder das Irangeschäft wichtiger ist. Und er droht Banken und anderen Finanzinstitutionen, die Handel mit dem Iran finanzieren, mit sekundären Strafmaßnahmen in den USA.
Europa findet keine effektiven Mittel gegen Trumps Druck
Europa kann dem wenig entgegensetzen. Natürlich ist das USA-Geschäft für Siemens, Mercedes & Co. wichtiger als der iranische Markt. Ebenso selbstverständlich werden Banken, die in den USA aktiv sind oder Töchter dort haben, nicht Millionenstrafen riskieren und lieber auf jede Iran-Aktivität verzichten.
Die EU möchte natürlich nicht machtlos dastehen. Ihre Außenbeauftragte Federica Mogherini redet über eine neue Finanzinstitution, mit der die EU europäische Firmen vor sekundären US-Sanktionen bei Verstoß gegen die Iran-Sanktionen schützen will. Das Ziel ist richtig. Die EU muss versuchen, das Atomabkommen mit dem Iran zu retten. Aber wie das funktionieren soll, hat Mogherini noch nicht erklärt. Etwa durch Tauschhandel, damit nicht Banken an der Finanzierung beteiligt sind? Da würde es wohl auch Gelächter geben.
Deutschland und Europa sollten Trump eher bei seiner Eitelkeit packen - und ihn zu Verhandlungen mit dem Iran drängen.
Maas will den Multilateralismus retten, sagt aber nicht, wie
Die gleiche Erklärungslücke hinterlässt Außenminister Heiko Maas. Auch er spricht immer wieder von System, das europäische Firmen vor US-Sanktionen schützen soll. Er sagt aber nicht, wie. Vor der Abreise zur UN-Generalversammlung, vor der er am Freitag sprechen will, bekräftigte Maas zudem, er wolle den Multilateralismus stärken. Der sei durch Donald Trumps „America First“-Politik unter Druck.
Das ist nicht falsch. Aber was will Maas konkret tun, um den Multilateralismus zu stärken? Und ist Trump wirklich das Hauptproblem?
Die schlimmsten Kriege werden derzeit in Syrien und im Jemen geführt. In Syrien ist Machthaber Assad der Verbrecher. Russland schützt ihn und verhindert mit China Uno-Resolutionen. Die Kriegsherren im Jemen sind Saudi Arabien und der Iran. Die Uno ist machtlos. Den gravierendsten Rechtsbruch der letzten Jahre in Europa hat Russland zu verantworten: die gewaltsame Verschiebung einer Grenze durch Besetzung der Krim - eigentlich ein Tabu im Völkerrecht.
Die Demokratien sind in der Uno in der Minderheit
Trump ist nicht das Hauptproblem. Die Uno selbst ist es mit ihrer Übermacht an Diktaturen. Und ihrem Unwillen zu Reformen. Die Vereinten Nationen sind eine großartige Idee. Nur leider ist die Wirklichkeit völlig anders. Die Realität ist nicht nur unvollkommen, sie gleicht einer Pervertierung der Ausgangsidee. Im Menschenrechtsrat (früher: Menschenrechtskommission) hatten Libyen (2003) und Saudi Arabien (2013) den Vorsitz; der Iran leitete 2011 die Arbeitsgruppe zum Schutz von Frauenrechten; Nordkorea übernahm 2011 den Vorsitz der Abrüstungskommission.
Gewiss stimmt: Die USA halten sich auch nicht immer ans Völkerrecht. Und missbrauchen bisweilen ihr Veto. Doch sie prangern die Schwächen der Uno an, um Verbesserungen zu erreichen. Ihre Uno-Botschafterin Nikki Haley gehört zu den agilsten Diplomaten in New York – das ist gut so, und kein Zeichen für Uno-Verachtung. Trump nimmt sich mehrere Tage Zeit für die UN-Generalversammlung, trifft sich mit Dutzenden Staats- und Regierungschefs. Er schätzt die Uno als Bühne und als Marktplatz für Ideen.
Wenn die Reformen jedoch ausbleiben, machen die USA Druck. Sie verlassen die Unesco. Die soll sich eigentlich um Kultur und Bildung kümmern, tatsächlich bekämpft sie Israel. Die USA treten aus dem Menschenrechtsrat aus, wenn der zum Sprachrohr der Diktaturen wird, siehe oben. Die USA streichen Gelder für das Uno-Hilfswerk für Palästinenser, weil es teuer ist und seine Ziele nicht erreicht, aber an seiner Arbeit nichts ändern möchte.
Warum kämpft Deutschland nicht für eine Reform der Uno?
Die reale Uno ist reparaturbedürftig. Das sagt Donald Trump. Das sagt Heiko Maas. Wenn der Bundesaußenminister den Multilateralismus stärken will, sollte er den Ruf nach Reformen unterstützen. Statt dessen erklärt Maas Trump zum Hauptproblem und prangert die Reformunwilligkeit der UN und die Übermacht der Diktaturen gar nicht erst an. Das ist zu billig für die viertstärkste Wirtschaftsmacht der Erde, die zudem in den Sicherheitsrat aufrückt und dort Verantwortung übernehmen muss.