"NSU 2.0" in Frankfurt am Main: Neues Drohschreiben an Anwältin und Widerspruch von Polizisten
Rechtsextreme Strukturen in Hessens Polizei? Beamte aus Frankfurt am Main fordern mehr Sachlichkeit. NSU-Opfer-Anwältin Seda Basay-Yildiz wurde erneut bedroht.
Nach den Ermittlungen gegen mutmaßliche rechtsextreme Polizisten in Hessen haben sich gewerkschaftsunabhängige Personalvertreter zu Wort gemeldet. In dem offenen Brief der „Freien Liste“ in Frankfurt am Main wehren sich die Beamten gegen „Vorverurteilungen und Pauschalisierungen“ und fordern rechtsstaatliche Aufklärung und mehr Sachlichkeit. Die Beamten setzen sich damit dem Risiko aus, möglicherwiese Rechtsextreme in den eigenen Reihen zu verteidigen – wofür der Nachweis aber noch fehlt. Doch in dem zweiseitigen Schreiben heißt es: „Frankfurter Polizisten sind keine Nazis“. Bislang hätten die ermittelnden Behörden nur Fakten präsentiert, ohne sich in Hypothesen zu verlieren – es gelte die Unschuldsvermutung.
Das Schreiben ist kurz vor Weihnachten verfasst worden. Auch nach den neuesten Entwicklungen und einem weiteren mit „NSU 2.0“ unterschriebenen Drohbrief gegen die türkischstämmige Anwältin Seda Basay-Yildiz bleiben die Personalvertreter ausdrücklich bei ihrer Position. Demnach beklagt die „Freie Liste“, dass in den Medien ungeprüft von einem rechten Netzwerk und rechtsextremen Strukturen die Rede sei. Von den Behörden stammten diese Zuschreibungen nicht, heißt es in dem zweiseitigen Schreiben.
Polizeidaten der Anwältin abgerufen
Die Personalverein kritisierte auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren Bundesvorsitzender Oliver Malchow hatte von „skandalösen Taten“ und „widerwärtigen Hintergründen" gesprochen. Das alles sei „reine Stimmungsmache gegen eine Polizei“, „die ein solches Bild nicht einmal im Ansatz verdient.“ Dieser Standpunkt werde nicht nur „durch die vielen Kollegen mit Migrationshintergrund untermauert“, sondern auch durch die von jedem Beamten „getragene Distanzierung von Extremismus jedweder Art“.
Fünf Beamte des 1. Polizeireviers sollen in einer WhatsApp-Gruppe Hitler-Bilder und rassistische Parolen gepostet haben und womöglich die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz Anfang August 2018 in einem Fax bedroht haben. Das Schreiben an die Anwältin ist mit „NSU 2.0“ unterzeichnet worden.
Jetzt werden noch mehr Verwandte der Anwältin bedroht
Nun hat Basay-Yildiz einem Medienbericht zufolge erneut ein mit „NSU 2.0“ unterschriebenes Drohfax erhalten. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, werden darin die Namen ihrer Eltern, ihres Mannes und ihrer Tochter genannt - aller Menschen, die unter ihrer Adresse gemeldet seien. „So etwas kann man nicht über die sozialen Netzwerke herausfinden“, sagte die Anwältin dem Bericht zufolge. „Und mein Vater ist 79, der ist nicht auf Facebook oder sonstwo aktiv.“ Gemutmaßt wird, dass die Täter erneut auf Polizeidaten zurückgegriffen haben.
Dem „SZ“-Bericht zufolge wird in dem neuen Fax Bezug auf das "Verbot der Dienstgeschäfte" gegen die Frankfurter Polizisten genommen, auch die Tochter der Anwältin wird erneut bedroht. „Dir hirntoten Scheißdöner ist offensichtlich nicht bewusst, was du unseren Polizeikollegen angetan hast!“, heißt es demnach darin. "Allerdings kommt es jetzt richtig dicke für dich, du Türkensau! Deiner Scheiß (Name der Tochter) reißen wir den Kopf ab ... und der Rest eurer Dönercrew wird ebenfalls kompetent betreut werden."
Die Anwältin hatte im Prozess um den rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) Opfer vertreten, engagierte sich aber auch für den Gefährder Sami A. Als Vergeltung für ein gegen die Stadt Bochum beantragtes Zwangsgeld im Fall Sami A. drohten die Verfasser des ersten Briefes vom August, die Tochter von Basay-Yildiz zu „schlachten“. In dem Fax wurde die Tochter mit Namen und Alter erwähnt, ebenso die Privatadresse der Anwältin genannt. Die Anwältin wurde als „miese Türkensau“ beschimpft. „Verpiss dich lieber, solang du hier noch lebend rauskommst, Du Schwein“, hieß es in dem Schreiben.
Chats mit Hitlerbildern, Hakenkreuz und rassistischen Parolen
Zunächst war den fünf Beamten, die eine WhatsApp-Gruppe mit Hitler-Bildern geteilt hatten, ein "Verbot des Führens der Dienstgeschäfte" erteilt worden. Das Landeskriminalamt wurde „mit den landesweiten Ermittlungen“ beauftragt. Ausgelöst wurde das Verfahren durch eine Strafanzeige der Anwältin Anfang August 2018. Ermittelt wird wegen Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Das Verfahren ist auf weitere Beamte ausgedehnt worden. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft wollte sich nicht näher zum Stand der Ermittlungen äußern, das Verfahren laufe, sagte eine Sprecherin.
Ermittler waren im Oktober im Zuge der Ermittlungen zu dem Drohbrief auf den Chat der fünf Beamten im 1. Polizeirevier in Frankfurt gestoßen. Eine Beamtin des 1. Reviers in der Frankfurter Innenstadt hatte über ihren Dienstcomputer das Melderegister zu Basay-Yildiz abgefragt – offenbar ohne dienstlichen Anlass. Besagte Polizistin soll mit vier weiteren Kollegen bei WhatsApp eine gemeinsame Chatgruppe gehabt haben, in der sie Hitlerbilder, Hakenkreuz und rassistische Parolen geteilt haben sollen.
Die Polizei habe Basay-Yildiz nun bei einem Besuch versichert, es bestehe keine Gefahr für sie. Dennoch sollen die Beamten der Anwältin laut „SZ“ angeboten haben, einen Waffenschein zu besorgen, damit sie sich zum eigenen Schutz bewaffnen könne. Die Anwältin soll darauf irritiert reagiert haben. (mit dpa)