Rechtsextremes Netzwerk: Ermittlungen in Frankfurter Polizei ausgeweitet
Der Fall "NSU 2.0" hat offenbar größere Dimensionen als bisher gedacht. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier zeigt sich besorgt.
Die Ermittlungen gegen fünf Polizeibeamte in Frankfurt/Main wegen eines Neonazi-Chats und Bedrohungen einer Anwältin sind ausgeweitet worden. Nach Tagesspiegel-Informationen aus Sicherheitskreisen soll die Staatsanwaltschaft Verfahren gegen weitere Polizeibeamte eingeleitet haben. Zudem seien weitere Handys für Durchsuchungen beschlagnahmt worden. Einer der fünf beschuldigten Beamten soll auch bereits durch Kontakte ins rechtsextreme Milieu aufgefallen sein. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sprach am Montag von einer "sehr ernsten Geschichte".
Der Fall nimmt durch die neuesten Entwicklungen weitaus größere Dimensionen an als bislang bekannt. Obwohl die Ermittlungen seit Monaten laufen, soll Innenminister Beuth erst am Freitag angeordnet haben, am Landeskriminalamt (LKA) Hessen eine spezielle Ermittlergruppe auf den Fall anzusetzen. Dort sollen erfahrene Polizisten und Juristen unter Federführung der Staatsanwaltschaft nun die Ermittlungen führen.
Offenbar wachsende Sorge vor Vertuschungen
Das LKA verwies auf die bestehende Erlasslage, wonach es verpflichtet sei, Ermittlungen zu übernehmen, wenn ein Verfahren geeignet sei, dass Ansehen der hessischen Polizei zu beschädigen. Die Staatsanwaltschaft wollte sich am Montagmorgen zum aktuellen Stand der Ermittlungen nicht äußern.
Bislang lag das Verfahren im Polizeipräsidium Frankfurt/Main bei den zuständigen Stellen für Amtsdelikte und Disziplinarverfahren. Dass nun das LKA mit dem Fall betraut ist, wird intern als Indiz für wachsende Sorge vor Vertuschungen gewertet. Ein Ermittler spottete, zahlreiche Handys würden nun wohl in den Main geworfen. Die Angst unter den Polizisten in Frankfurt sei groß, Beamte würden ihre Chats und Dateien bei Whatsapp löschen.
Nach Tagesspiegel-Informationen soll mindestens einer der fünf Beamten Mitglied einer Chatgruppe gewesen sein, die von einem Mitglied der rechtsextremen Szene betrieben worden sein soll. Im Zusammenhang mit dieser Whatsapp-Gruppe sollen bereits im Sommer Ermittlungen außerhalb der Polizei gelaufen sein. Der Beamte soll aus der Chatgruppe des Rechtsextremen auch etwas in die Gruppe seiner Kollegen gepostet haben.
Ermittler waren im Oktober auf den Chat der fünf Beamten im 1. Polizeirevier in Frankfurt gestoßen. Ausgelöst worden war das Verfahren durch einen Drohbrief, der per Fax Anfang August bei der Anwältin Seda Basay-Yildiz eingegangen war. Sie hatte im NSU-Prozess Opferangehörige vertreten, engagierte sich aber auch für den Gefährder Sami A.
In dem Brief wurde die Anwältin als „miese Türkensau“ beschimpft. „Verpiss dich lieber, solang du hier noch lebend rauskommst, Du Schwein“, hieß es in dem Schreiben. Als Vergeltung für ein gegen die Stadt Bochum beantragtes Zwangsgeld im Fall Sami A. drohen die Verfasser, die Tochter von Basay-Yildiz zu „schlachten“. In dem Fax wird die Tochter mit Namen und Alter erwähnt, ebenso die Privatadresse der Anwältin genannt. Unterzeichnet ist das Schreiben mit „NSU 2.0“.
Staatsanwaltschaft kündigt weitere Tatvorwürfe an
Im Oktober wurde das Polizeirevier durchsucht. Eine Beamtin des 1. Reviers in der Frankfurter Innenstadt hatte über ihren Dienstcomputer das Melderegister zu Basay-Yildiz abgefragt – offenbar ohne dienstlichen Anlass. Besagte Polizistin soll mit vier weiteren Kollegen bei WhatsApp eine gemeinsame Chatgruppe gehabt haben.
Darin teilten die fünf Beamten Hitlerbilder, Hakenkreuz und rassistische Parolen. Gegen sie wird wegen Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt. Weitere Tatvorwürfe würden nun hinzukommen, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Um welche Tatvorwürfe es geht, wollte die Sprecherin nicht sagen.
Es besteht der Verdacht, dass die Frankfurter Polizisten, die im Internet rechtsextremes Gedankengut verbreitet haben sollen, auch den Drohbrief geschrieben haben könnten. Den fünf Beamten ist ein Verbot der Dienstausübung ausgesprochen worden.
Bouffier: "Es ist kein Zweifel, dass uns das sehr, sehr ernst angeht“
Aus Polizeikreisen hieß es allerdings auch, dass die Beamtin, die die Daten der Anwältin abgefragt haben soll, als eher unbedarft gilt. Im Polizeirevier hatte sie im Basisdienst die Aufgabe, die Datenstation zu besetzen, um aktuelle Abfragen ihre Kollegen abzuarbeiten. Auch die übrigen vier Beamten, gegen die nun ermittelt wird, seien bislang nicht mit rechtsextremem Gedankengut aufgefallen. Niemand im Polizeirevier könne sich den Vorwurf erklären, hieß es.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zeigte sich am Montag besorgt. „Das ist eine sehr ernste Geschichte. Da muss man sehr sorgfältig drangehen. Und ich gehe davon aus, dass das sehr intensiv und umfassend aufgeklärt wird“, sagte Bouffier vor einer Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin. „Ich kann noch nicht übersehen, wie weit das geht. Aber es ist kein Zweifel, dass uns das sehr, sehr ernst angeht“, betonte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende.
„Wir werden da auch mit großer Entschlossenheit vorgehen“, sagte Bouffier, der ergänzte: „Zunächst muss man mal genau wissen, um was es geht. Wie viele Beteiligte das sind. Das ist ein Vorgang, den ich sehr ernst nehme.“
Empört reagierte am Montag der Berliner Anwalt Mehmet Daimagüler, der im NSU-Verfahren Angehörige der in Nürnberg ermordeten Türken Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar vertritt. „Die meisten Nebenklage-Anwälte aus dem NSU-Verfahren haben Erfahrung mit Drohungen“, sagte Daimagüler, „dass jetzt auch ein Kind bedroht wird, hat eine neue Qualität“. Der Anwalt betonte, seine Mandanten seien schockiert. Die Geschwister von Özüdogru hätten ihn aus der Türkei angerufen, „bei ihnen herrscht blankes Entsetzen“. Aus Sicht von Daimagüler rächt sich nun, „dass das Thema NSU in der Politik abgehakt ist und dass es keine größere Debatte über institutionellen Rassismus gibt“. (mit dpa)