Nach Attacke auf Legida-Ordner: Neonazis bedrohen Chef der Grünen in Sachsen
Spirale der Gewalt in Leipzig: Ein Legida-Ordner wird von Unbekannten verprügelt. Leipzigs rechte Szene nennt Sachsens Grünen-Chef Jürgen Kasek den "Auftragskiller".
Legida schlug Alarm. "+++ Eilmeldung +++ Versuchter Mordanschlag auf #Legida-Ordner +++", postete der Leipziger Pegida-Ableger am Dienstag früh auf Facebook. Das fremdenfeindliche Bündnis berichtete, dass einer ihrer Ordner nach dem Legida-Aufmarsch am Montagabend in Böhlen, einem Vorort von Leipzig, vor seiner Haustür von "vermummten Schlägern" verprügelt worden sei. "Mit Eisenstangen und Todschlägern schlugen diese bewusst und minutenlang auf Kopf und Gesicht von unserem Ronny ein!" Dazu gepostet wurde ein Foto des Opfers Ronny U. im Krankenwagen, blutverschmiertes Gesicht, der Kopf verbunden.
Die Verantwortlichen für die Tat standen nach Darstellung von Legida zu diesem Zeitpunkt bereits fest, "Schlägertruppen der linksradikalen Szene in Leipzig und Sachsen". Persönlich klagte Legida den sächsischen Grünen-Chef Jürgen Kasek an, er habe die Schläger angestiftet. Kasek organisiert seit Monaten Proteste gegen Pegida und andere Anti-Asyl-Initiativen in ganz Sachsen, ist dort regelmäßig und oft mit Megafon selbst präsent.
Auch Ex-Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling, die am Montag bei Legida die Hauptrednerin war, teilte die Erklärung von Legida auf Facebook, mit dem Kommentar: "Schaut auf Deutschland, hier explodiert der neue Faschismus".
Wer die Täter waren, ist bisher nicht bekannt. Unter der Überschrift "Erbärmlich und feige!" veröffentlichte die Leipziger Polizei einen kurzen Bericht. Demnach wurde das 37-jährige Opfer von vier bis fünf Personen in Böhlen attackiert, in unmittelbarer Nähe des Mehrfamilienhauses, in dem er seine Wohnung hat. "Zur Personenbeschreibung wurde lediglich bekannt, dass alle dunkel bekleidet und vermummt waren", heißt es im Polizeibericht. "Ein politisch motivierter Hintergrund konnte nicht ausgeschlossen werden." Der Staatsschutz ermittele. Der Mann ist laut Polizei nach seiner Teilnahme an der Legida-Demonstration getreten und geschlagen worden, "mittels eines bisher unbekannten Gegenstandes" auch mehrmals gegen den Kopf. Schwer verletzt kam er ins Krankenhaus: Kopfverletzungen, Schnittverletzungen, ein Armbruch.
Die rechte Szene in Leipzig machte schnell klar, dass sie nicht abwarten will, was die weiteren Ermittlungen der Polizei bringen. Kasek als "Gegenprotestführer" habe auf Twitter bereits "Hausbesuche bei Patrioten" angekündigt, erklärte die rechtsradikale Gruppe "Wir für Leipzig" auf Facebook. Sie nannte in dem Post die Kanzlei-Adresse von Kasek, veröffentlichte ein Foto von ihm. Und behauptete unter der Überschrift "Gab Jürgen Kasek einen Mord in Auftrag?", dass dieser "erfolglose Anwalt" schon "des öfteren durch seinen engen Kontakt zu linken Terroristen" aufgefallen sei
"Wir sind Leipzig" versteht sich als "freies Bürgerbündnis". Es gibt von sich an, nationale Interessen in den Leipziger Stadtrat tragen zu wollen. Sogar die Leipziger Polizei nennt das paradox. Nach ihren Angaben engagiert sich in der Gruppe der frühere NPD-Stadtrat Enrico Böhm. Er wurde im März aus der rechtsextremen Partei ausgeschlossen. Wie die "Leipziger Volkszeitung" damals berichtete, spielten dabei auch Gewaltdelikte des Politikers eine Rolle.
Die Aufrufe gegen Kasek blieben nicht ohne Wirkung. Am Mittwoch erschienen Neonazis vor der Anwaltskanzlei von Kasek im Leipziger Stadtteil Stötteritz. Sie enthüllten dort ein Transparent "Kasek = Auftragskiller". Später wurde dieses an der Brücke an einer Autobahnzufahrt aufgehängt. Der von Rechtsextremisten gesteuerte Pegida-Ableger "Wir lieben Sachsen/Thügida" postete auf Facebook Fotos der Aktion.
Auf Twitter schrieb Kasek: "Heute ist der Tag, wo Nazis vor meiner Kanzlei standen. Ihre Sprache ist Gewalt. Und meine Antwort: Ihr beeindruckt mich nicht. #nolegida." Und: "Die Antwort auf Gewalt ist nicht Gewalt, die Antwort auf Hass nicht Hass. Jeden Tag Haltung annehmen, jeden Tag die Demokratie leben."
"Das Volk will Blut sehen", sagt Grünen-Politiker Kasek
Kasek hat inzwischen wegen der Beschuldigungen Anzeige gegen Legida und die NPD-gesteuerte Gruppe "Wir sind Leipzig" erstattet. Zur Attacke auf den Legida-Ordner Ronny U. sagte er dem Tagesspiegel: "Wer die Täter waren, ist unklar. Gewalt lehne ich prinzipiell ab."
Der Grünen-Politiker hat nach eigenen Angaben in den letzten Tagen mehr als 1000 Drohungen und Gewaltaufrufe erhalten, auf Facebook und in Mails. Jemand schickte ihm ein Foto des schwer verletzten Ronny U. mit dem Kommentar: "Erst wenn Du so aussiehst, hast Du Grund zum Heulen."
In Leipzig könnten die Vorfälle sehr leicht zu einer neuen Gewalteskalation führen. Die Messestadt war in den vergangenen Monaten immer wieder Schauplatz extremistischer Ausschreitungen, im Dezember waren linke Proteste aus dem Ruder gelaufen, im Januar dann zog, parallel zur Kundgebung zum Legida-Jahrestag, ein Nazi-Mob durch den Szenebezirk Connewitz. Im Dezember war der Vizechef der Leipziger NPD in seinem Ladengeschäft überfallen worden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz nennt Leipzig in seinem neuen Bericht als ein Beispiel für das "Aktions- und Aggressionsniveau" gewaltorientierter Autonomer.
Für Samstag ruft Legida "in Solidarität mit Ronny" zu einer Demonstration unter dem Motto "Wir gegen Gewalt" in der Leipziger Innenstadt auf. Gezeigt werden solle die "Rote Karte gegen die Zustände in Leipzig und Deutschland". Rechtsextreme Gruppen aus Sachsen und darüber hinaus mobilisieren zu diesem Protest. "Leipzig ruft. #nolegida muss zerschmettert werden und seine Führer", verkündet beispielsweise eine Neonazi-Brigade aus Halle. Legida verwahrt sich gegen eine Vereinnahmung und versichert, es gehe um "gewaltlosen Protest". Auf der Demonstration würden "keinerlei Neonazis, Antifa oder jegliche Extremisten" geduldet.
Kasek hat kürzlich in einem Beitrag für das Tagesspiegel-Debattenportal Causa bilanziert, Rechtsextremismus gebe es überall, aber besonders häufig in Sachsen. Wahrhaben wolle das niemand. Lieber bekämpfe man dort Linke und die Zivilgesellschaft. Von demokratischem Rechtsstaat könne nicht die Rede sein.
Die Stimmung auch in Leipzig sieht er als sehr bedrohlich an, wie er am Donnerstag sagte. Ziel der Rechten sei es, Angst zu machen, erklärt er. Die Aktion der Rechten vor seiner Kanzlei sei nach dem Motto verlaufen: "Wir sind da. Wir waren da. Und wir werden wiederkommen." Er sagte weiter: "Hier wird massiv Gewalt geschürt. Die rechte Szene giert nach Rache. Die ganzen besorgten Bürger wollen Vergeltung. Das Volk will Blut sehen. Das ist die ganze Logik, die dahintersteht."
Matthias Meisner