Sexualstrafrecht: "Nein heißt Nein"? Die Schutzlücke gibt es so nicht
Der Grundsatz "Nein heißt Nein" soll ins Gesetz. Keine überfällige, aber eine richtige Reform - und der falsche Gegenstand für politische Kampagnen. Ein Kommentar.
Weil längst nicht mehr nur das Private, sondern zunehmend auch das Intime politisch wird, sollte es niemanden wundern, wie Diskussionen um Reformen im Sexualstrafrecht plötzlich zu Massenthemen werden. Aktuell entzünden sie sich an einer von Justizminister Heiko Maas geplanten Verschärfung, der „Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“ strafbar machen will.
Vielen reicht das nicht. „Nein heißt Nein“, lautet ihr Slogan, der in seiner Evidenz so griffig die Debatte beherrscht, dass er Abgeordnete fraktionsübergreifend eint und Maas bereits reden lässt, als habe er das eigentlich selbst seit Langem vorgeschlagen.
Rechtspolitisch steckt hinter der Formel ein Missbrauchstatbestand, der allein auf den Opferwillen abstellt. Wer Sex ablehnt, den ein anderer aufdrängt, soll geschützt sein. Dies, meinen Befürworter, fügt sich nicht nur in völkerrechtliche Pflichten, sondern wird Fällen gerecht, in denen Opfer sich nicht wehren. Ab hier setzt eine teils fahrlässige, teils gewollte politische Mythenbildung ein: Vielfach wird der Eindruck erweckt, eine Frau müsse sich wehren, damit ihr Vergewaltiger verurteilt werden kann. Das soll die berühmte Schutzlücke sein, die in der öffentlichen Debatte mittlerweile in einer Größe erscheint, als wäre mit ihrer Schließung ein Meilenstein zivilisatorischen Fortschritts erreicht.
Allein, die Lücke gibt es in diesem Format nicht. Das Justizministerium hatte sie suchen lassen; es erfand sie mehr, als dass es sie finden konnte. Was es gibt, sind vereinzelt diskussionswürdige oder gar fehlerhafte Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die das Bild verzerren. Bereits das geltende, im Übrigen durchaus scharfe Sexualstrafrecht bietet einschließlich der Rechtsprechung ausreichende Handhabe, um Missbrauchstäter vor Gericht zu bringen. Viel besser wird es kaum gehen. Straftaten müssen bewiesen werden. Ob man die Umstände ins Gesetz schreibt oder nicht – auch wenn dereinst ein „Nein heißt Nein“- Gesetz erlassen wird, kommt es auf sie an.
Es wäre daher zwar keine nötige, aber trotzdem immer noch sinnvolle Reform, weil sie sich auf den Kern dessen konzentriert, was die Straftat vom partnerschaftlichen Sexualakt unterscheidet: den inneren Willen. Keineswegs ausgeschlossen, dass eine entsprechende Botschaft sogar bis in Milieus dringt, in denen Einverständnis beim Geschlechtsleben als nachrangig gilt. Wahrscheinlich ist es jedoch nicht. Männer, denen Frauen egal sind, sind zumeist auch Nuancen im Strafgesetz egal. Umgekehrt besteht die Gefahr, dass sich vermeintliche Opfer aus unterschiedlichen Motiven zu Falschbeschuldigungen herausgefordert fühlen könnten; auch hier ist es letztlich die Justiz, die gefordert ist und wachsam bleiben muss, weniger der Gesetzgeber.
Für politische Richtungsweisungen taugt das Thema daher schlecht. Dafür eignet es sich für allerlei Kampagnen auf gefühliger Flamme, wie sie beispielhaft derzeit rund um den Prozess gegen ein früheres Fernseh-Topmodel angeschoben werden, das wegen angeblich erlogener Vergewaltigungsvorwürfe in Berlin vor Gericht steht. Ministerin Manuela Schwesig, die von dem Verfahren im Detail schlicht keine Ahnung haben kann, besteht darauf, hier ein Indiz für die „Nein heißt nein“-Verschärfung zu erkennen. Politik muss, anders als ein Prozess, zwar nicht der Wahrheitsfindung dienen. Aber davon ablenken sollte sie auch nicht.