Justiz: Heiko Maas will Vergewaltigung härter bestrafen - Experten dagegen
Bundesjustizminister Heiko Maas will Vergewaltigung härter bestrafen – obwohl er offenbar skeptisch ist Experten sagen, die bestehenden Gesetze reichen aus, aber Frauengruppen machen Druck.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will den Straftatbestand der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung verschärfen. Ein umstrittenes Vorhaben, weil viele Richter und Staatsanwälte die Reform für sinnlos halten; Frauen würden ausreichend geschützt, meinen sie. Maas jedoch spricht von „Schutzlücken“ im geltenden Recht und will noch im ersten Halbjahr 2015 einen Referentenentwurf vorlegen. Im September hatte das Ministerium die Länder gebeten, „konkrete Beispiele aus der strafrechtlichen Praxis“ zu benennen, um die Notwendigkeit des Vorhabens zu belegen.
Wie sich nun zeigt, gibt es nur wenige solcher Beispiele. Lediglich Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben insgesamt fünf einzelne Fälle benannt, die allerdings nicht einmal ein Aktenzeichen tragen, teilte das Ministerium jetzt dem Tagesspiegel mit. Ansonsten seien nur abstrakt „Fallgruppen“ genannt worden, die laut Ministerium aber „auf Schutzlücken im geltenden Recht hindeuten“ sollen. Die Informationen rückte das Ministerium erst nach Androhung einer Auskunftsklage heraus – zuvor hatte es geheißen, dass „der Entscheidungsfindungsprozess innerhalb der Bundesregierung nicht abgeschlossen“ sei.
Ein "Nein" reicht bisher nicht für eine Verurteilung
Maas hält den Paragraf 177 des Strafgesetzbuchs in seiner bisherigen Form für zu eng. Er meint, es sei unklar, wie viel Widerstand eine Frau leisten müsse, damit es sich um Vergewaltigung handele. Tatsächlich wird nur bestraft, wer sein Opfer durch Gewalt, Drohung oder Ausnutzen einer schutzlosen Lage zu sexuellen Handlungen oder dazu zwingt, diese an sich geschehen zu lassen. Vergewaltigung, ein Eindringen in den Körper, gilt als besonders schwerer Fall der Nötigung. Ein bloßes „Nein“, ein klar entgegenstehender Wille reicht bisher nicht, um den Tatbestand zu verwirklichen. Justiz und Anwaltschaft sind skeptisch. Man fürchtet noch größere Beweisnöte, als es ohnehin schon gibt. Wenn Aussage gegen Aussage steht, wird die Schuldfeststellung schnell zur Glaubensfrage. Zudem solle es eine hohe Dunkelziffer falscher Verdächtigungen geben, die mit der Reform noch steigen könnte. Manche Frau überlege es sich auch erst im Nachhinein, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein, sagen Experten. Der Richter am Bundesgerichtshof (BGH) und Strafrechtskommentator Thomas Fischer sieht das Projekt kritisch. Ein „Nein“ müsse stets überwunden werden, und zwar mit jenen Nötigungsmitteln, die das Gesetz ausdrücklich benenne. Damit seien alle Fälle hinreichend erfasst. Er beklagt eine „Kampagne“ der Politik. „Die Annahme, dass bloßes ,Grabschen‘ in Büro oder Straßenbahn mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis 15 Jahre geahndet werden müsse, erscheint mir, der ich nicht in Saudi-Arabien lebe, albern und überzogen“, schrieb Fischer unlängst in der „Zeit“.
Genau das aber scheint die Regierung zu wollen. Eine der fünf „Schutzlücken“-Fälle spielte in einem „vollen Bus“, wenn der Täter einer Frau „völlig überraschend fest an die Brust fasst“. Ein weiteres Beispiel betrifft einen Mann, der einen Jungen beim Urinieren an den Penis fasste, aber ihn sonst weder bedrohte noch am Verlassen der Toilette hinderte; der Vorbestrafte sei nur wegen gerichtlichen Weisungsverstößen im Rahmen der Führungsaufsicht verurteilt worden. Derzeit sei der Fall zur Revision beim BGH. Ein dritter Fall betrifft einen Psychiatrie-Insassen, der einen anderen Mann penetrierte, als dieser sich in der Dusche bückt. Weiter zählt das Ministerium einen Fall dazu, bei dem sich ein Mann an einer Frau im Zeltlager verging, die sich erschreckt und alkoholisiert nicht wehrte. Schließlich geht es um eine Beziehungstat in einer Laubenkolonie, bei der das Opfer aus Angst vor Übergriffen nicht weglief. Als Musterfall einer Schutzlücke im Gesetz galt bisher ein BGH-Beschluss vom März 2012, mit dem ein Vergewaltigungsurteil aufgehoben wurde. Ein Mann hatte eine Frau zum Analverkehr gedrängt, obwohl sie dies ablehnte, aber aus Angst, die Kinder könnten aufwachen, geschehen ließ. BGH-Richter Fischer sieht dies als Fehlentscheidung, weil die Frau genötigt worden sei. Dass der Gesetzgeber handeln müsse, ließe sich daraus nicht ableiten. Zudem kann ein Täter auch wegen anderer Tatbestände verurteilt werden, wenn Paragraf 177 nicht greift.
Manuela Schwesig ist für eine Reform des Gesetzes
Trotz der „Schutzlücken“-Argumentation dürften die Motive für das Vorhaben auch angesichts der wenigen Beispielsfälle daher woanders liegen. Medienberichten zufolge soll Minister Maas kein Freund der vom Juristinnenbund und Frauenverbänden seit Langem geforderten Reform gewesen sein. Laut „Spiegel“ soll Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) ihren Kollegen im Justizressort beharkt haben, einen Entwurf vorzulegen. Zudem wurde Maas mit Unterschriftenlisten bombardiert, die Terre des Femmes für eine Petition gesammelt hatte.
Recht plötzlich war im letzten Herbst im Ministerium von „Schutzlücken“ die Rede, kurz darauf schlossen sich auch die Länder-Justizminister der Forderung an. Ein weiterer Grund dürfte die Umsetzung eines Europarats-Übereinkommens sein, nach dem ein „Nein“ des Opfers künftig für eine Strafbarkeit ausreichen soll. Allerdings waren die Ministeriumsjuristen wohl bisher der Ansicht, die aktuelle Version von Paragraf 177 genüge dafür. Die These von den „Schutzlücken“ könnte Maas aufgenommen haben, um den Eindruck zu vermeiden, er habe frauenpolitischem Druck nachgegeben.