zum Hauptinhalt
Vor dem Leichenschauhaus in Nairobi, in das viele der Leichen geflogen worden waren, spielten sich erschütternde Szenen ab. Eine Helferin des Roten Kreuzes versucht eine völlig aufgelöste Mutter zu trösten.
© Herman Kariuki/Reuters

Terror in Kenia: Nairobi hat Warnungen ignoriert

Der Anschlag auf die Universität in Garissa kam nicht unerwartet. Dennoch sagte der Innenminister, das Land sei von dem Massaker überrascht worden. Al Schabaab rekrutiert in Kenia immer mehr Kämpfer.

Noch am Mittwoch hatte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta sehr ungehalten auf eine Reisewarnung Großbritanniens reagiert. London riet seinen Bürgern davon ab, an der Küste und nahe der somalischen Grenze Urlaub zu machen. „Ich habe nicht gehört, dass die Briten eine Reisewarnung gegen Paris ausgesprochen haben“, sagte Kenyatta genervt bei einer Konferenz von Exil-Kenianern in der Hauptstadt Nairobi. In Paris hatten islamistische Extremisten im Januar ein Massaker in der Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ angerichtet.

Nur einen Tag später gab es auch in Kenia einen verheerenden Terroranschlag: In Garissa, im Nordosten des Landes, starben mindestens 142 Studenten der erst 2011 gegründeten Universität und sechs Soldaten, rund 80 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, etwa 500 mussten 16 Stunden in der Gewalt von mindestens vier Milizionären der somalischen Terrororganisation Al Schabaab ausharren. Vier Angreifer sprengten sich selbst in die Luft, als die kenianische Armee versuchte, die Geiseln zu befreien. Ein fünfter soll verhaftet worden sein. Überlebende berichteten, dass die Terroristen gezielt Christen getötet hätten.

Der Terroranschlag ist weltweit verurteilt worden. Papst Franziskus sprach von einem „Akt sinnloser Gewalt“. Kardinal Reinhard Marx erinnerte in seiner Karfreitagspredigt an die Opfer des Angriffs.

„Der Angriff auf eine Hochschuleinrichtung ist ein gezielter Angriff auf die Zukunft eines Landes“, sagte die Generalsekretärin der UN-Bildungsorganisation Unesco, Irina Bokova. US-Präsident Barack Obama hatte erst vor wenigen Tagen angekündigt, nach langem Zögern in diesem Jahr ins Heimatland seines Vaters zu reisen. Am Donnerstag sagte er der Regierung in Nairobi weitere Unterstützung im Kampf gegen Al Schabaab zu.

Am Freitag wussten viele Eltern der mehr als 800 Studenten in Garissa noch immer nicht, ob ihre Kinder noch lebten. In vier Hubschraubern wurden Tote nach Nairobi geflogen. Dort sollten die verzweifelten Angehörigen sie identifizieren. Überlebende sollten in Bussen in ihre Heimatregionen gebracht werden, kündigte Innenminister Joseph Nkaissery an. Die Hochschule bleibt auf unbestimmte Zeit geschlossen. Viele Studenten sagten, sie würden auf keinen Fall zurückkehren. Die Tageszeitung „The Standard“ zitierte einen Studenten namens Pallete Okombo mit den Worten: „Ich kann nicht hierher zurückkommen. Ich würde mein Leben riskieren, um meine Zukunft zu sichern.“ Die Lehrergewerkschaft drohte der Regierung damit, sämtliche Lehrkräfte aus den Provinzen nahe der somalischen Grenze abzuziehen.

Es hatte Warnungen gegeben

Innenminister Nkaissery sagte am Freitag: „Dieser Vorfall gehört zu denen, die ein Land überraschen können.“ An dieser These zweifeln jedoch viele Kenianer. Journalistenfragen nach möglichen Geheimdienstinformationen, die die Regierung ignoriert haben könnte, wischte Nkaissery beiseite. Muthoni Wanyeki, die Chefin von Amnesty International in Ostafrika, warf der Regierung jedoch vor, Warnzeichen missachtet zu haben. Vor gut zwei Wochen war Adan Garar, ein Al-Schabaab-Anführer, der im Verdacht stand, das Westgate-Attentat auf ein Einkaufszentrum in Nairobi im Herbst 2013 geplant zu haben, von einer amerikanischen Drohne getötet worden. Daraufhin hatte London die Reisewarnung an seine Bürger überarbeitet.

Zudem hatte die benachbarte Hochschule zur Ausbildung von Lehrern am Dienstag alle Studenten nach Hause geschickt und die Einrichtung geschlossen, weil es Warnungen gab, eine Hochschule könnte angegriffen werden. Trotzdem standen nur zwei bewaffnete Wachleute vor der Garissa-Universität.

Die Terrorgruppe hatte den Angriff auf die Lehranstalt damit begründet, dass die kenianische Armee seit 2011 an der Seite der somalischen Armee gegen Al Schabaab kämpft. Präsident Kenyatta betont stets, dass der Terrorismus ein globales Problem sei. Kenia sei ein „sicheres Reiseland“. Doch diese These stimmt nur bedingt. Denn immer mehr Al-Schabaab-Kämpfer sind Kenianer. Während die Miliz in Somalia selbst militärisch an Boden verliert, rekrutiert sie immer mehr junge Kenianer nicht nur somalischer Herkunft für ihren Dschihad.

Neben dem Geld, das für manche als Motivation ausreicht, nennen Al-Schabaab-Rekruten die Diskriminierung von Muslimen in Kenia als Grund, sich der Miliz anzuschließen. Das berichtet die Analystin des südafrikanischen Thinktanks ISS, Anneli Botha, als sie im vergangenen Sommer 95 Al-Schabaab-Rekruten nach ihrer Motivation befragt hat. Das war wenige Monate, nachdem die kenianische Regierung tausende Kenianer somalischer Herkunft sowie Flüchtlinge aus dem Nachbarland in Reaktion auf das Westgate-Attentat in einem Fußballstadion tagelang eingesperrt und ihnen ihre Aufenthaltstitel entzogen hatte.

Zur Startseite