Vorermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs: Nahostkonflikt vor Gericht
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat Vorermittlungen zum Gaza-Krieg eingeleitet – das hat Folgen.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat Vorermittlungen wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen im Gazakrieg eingeleitet. Dabei soll geprüft werden, ob ein formelles Verfahren eröffnet wird. Am Ende könnten Vertreter Israels und der Palästinenser angeklagt werden. Allein die Voruntersuchungen könnten Jahre dauern. Israel und die USA reagierten empört auf die Ankündigung.
Welche Aufgabe der Strafgerichtshof hat und wann er aktiv wird
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag ist eine internationale Organisation, die die staatliche Gerichtsbarkeit bei der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen ergänzen soll. Das so genannte Römische Statut zu seiner Errichtung trat 2002 in Kraft, 121 Staaten sind ihm bislang beigetreten. Der Grundgedanke ist, dass sich die Verantwortlichen für Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht mehr hinter nationalstaatlicher Souveränität verstecken sollen. Denn solche Taten berühren die Menschheit als Ganzes.
Trotzdem haben die Staaten Vorrang bei der Ahndung dieser Verbrechen. Der Gerichtshof wird nur tätig, wenn Staaten nicht willens oder in der Lage sind, solche Verbrechen zu verfolgen. Voraussetzung ist auch, dass entweder das Land, wo sich das Verbrechen ereignet hat, das Statut unterzeichnet hat. Oder der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der mutmaßliche Täter besitzt, den Gerichtshof anerkannt hat.
Warum der Gerichtshof umstritten ist
Weil Staaten einen Souveränitätsverlust fürchten, indem sie den IStGH anerkennen. Sie haben es dann nicht mehr selbst in der Hand, eigene Staatsangehörige wirksam vor internationaler Strafverfolgung zu schützen. Je mächtiger ein Staat, desto größer die Furcht. Widerstand kommt deshalb nicht allein aus den USA, sondern auch etwa aus China oder Russland, die das Statut nicht unterzeichnet haben. Die afrikanischen Staaten werfen dem Gerichtshof Einseitigkeit vor. Der Norden richte gegen den Süden, heißt es, weil sich Ermittlungen gegen Vertreter aus Kenia, der Republik Kongo, Uganda und der Elfenbeinküste richteten. Im Raum steht damit auch immer der Vorwurf politischer Instrumentalisierung.
Was es bedeutet es, wenn Vorermittlungen eingeleitet werden
Der Gerichtshof kann selbst entscheiden, tätig zu werden, oder er wird durch Verweis eines Vertragsstaates oder des UN-Sicherheitsrats dazu veranlasst. Bei eigener Initiative prüft die Anklagebehörde des IStGH den Fall, um sich dann von einer sogenannten Vorverfahrenskammer weitere Ermittlungen genehmigen zu lassen, wenn sie eine "hinreichende Grundlage" dafür sieht. Lehnt die Kammer dies ab, können die Ankläger nachermitteln und weitere neue Tatsachen vorlegen – oder sie stellen das Verfahren ein.
Worum es im konkreten Fall geht
Israel hat das Statut nicht ratifiziert. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat in der Silvesternacht einen Antrag unterzeichnet und wird dem IStGH am 1. April beitreten. Damit ist der Weg frei für Ermittlungen. Weil sich die Anerkennung der Gerichtsbarkeit auf den Zeitraum bis Mitte Juni 2014 bezieht, kann auch das Geschehen im jüngsten Gaza-Krieg untersucht werden. Genau das wollen die Palästinenser erreichen.
Kann auch Israel den Strafgerichtshof anrufen?
Kein Land kann den IstGH durch eine Klage verpflichten, in seinem Sinn tätig zu werden. Der Gerichtshof prüft die Fälle selbst. Allerdings könnten auch Verbrechen auf palästinensischer Seite ins Visier der Ermittler geraten. Eine Schieflage kann dadurch entstehen, dass Israels Militär in seinen Strukturen und Befehlsketten transparenter ist als die seit 2007 im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas. Dort dürfte es schwerer sein, Verantwortliche zu fassen. Und dem IstGH geht es um die Schuld einzelner Personen, nicht die von Gruppen, Organisationen oder Staaten.
Was sich die Palästinenser erhoffen
Die Palästinenserführung um Mahmud Abbas ist schon lange davon überzeugt, dass es in absehbarer Zeit keine Übereinkunft mit Israel geben wird. Tag für Tag sieht sie die Chancen auf einen eigenen Staat in immer weitere Ferne rücken. Am Verhandlungstisch hat man sich schon lange nicht mehr gesehen. Die Verantwortlichen in Ramallah machen dafür allein die Regierung in Jerusalem verantwortlich. Diese sei zu keinerlei politischen Kompromissen bereit. Und daran werde sich auch nach der Parlamentswahl in Israel am 17. März nichts ändern. Insofern bleibt nach Lesart der Palästinenser allein der Weg über die UN-Gremien, um Israel unter Druck zu setzen. Gerade mithilfe des Strafgerichtshofs, so die Hoffnung, könnte Israel an den Pranger gestellt werden. Käme es zu Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen im jüngsten Gazakrieg, wäre dies aus Sicht der Palästinenser ein wichtiger propagandistischer Erfolg. Allerdings weiß Abbas nur zu gut: Der Gang vor Gericht ist riskant und könnte auch für einige Palästinenser unangenehme Folgen haben. Die Hamas etwa hat während des 50-Tage-Kriegs fast ohne Unterlass Raketen auf zivile Ziele in Israel abgefeuert, womöglich ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.
Wie Israel reagiert
Für die Verantwortlichen in Jerusalem gibt es keinen Zweifel: An Israel soll ein Exempel statuiert werden, wieder einmal. Gerade das Land, das dem eigenen Verständnis nach selbst in Kriegszeiten alles tut, um Zivilisten vor Schaden zu bewahren, soll auf die Anklagebank – ein Affront. Schon das Einleiten von Vorermittlungen wegen des Gazakrieges hält Regierungschef Benjamin Netanjahu für eine Schande. Ohnehin zweifelt man an der Legitimität des Gerichts in Den Haag. Eine Kooperation wird daher strikt abgelehnt. Das Verfahren diene allein dem Zweck, "Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen den Terrorismus zu unterminieren", polterte denn auch Avigdor Lieberman. Fast im gleichen Atemzug forderte er Staaten wie Deutschland und Kanada auf, Den Haag nicht länger zu unterstützen. Aus Berlin kam prompt die Antwort: "Das Interesse der Bundesregierung ist es, den Internationalen Strafgerichtshof zu stärken und ihn gerade nicht zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen werden zu lassen." Womöglich reagiert Israel deshalb so gereizt, weil die Palästinenser darüber nachdenken, auch den jüdischen Siedlungsbau vom Weltstrafgericht untersuchen zu lassen. Die Praxis, in den besetzten Gebieten zu bauen, gilt als völkerrechtswidrig. Doch ungeachtet der Kritik hält Jerusalem daran fest. Mögliche Ermittlungen eines Gerichts im fernen Den Haag dürften an dieser Haltung nichts ändern.
Wie wahrscheinlich es ist, dass der Nahostkonflikt verhandelt wird
Das ist angesichts der völlig verfahrenen Lage mehr als wahrscheinlich. Die Gespräche über eine einvernehmliche Friedensregelung liegen seit Monaten auf Eis. Die mit wohl übertriebenen Erwartungen gestartete Initiative von US-Außenminister John Kerry ist nicht zuletzt an der Hartleibigkeit der Kontrahenten gescheitert. Keine Seite glaubt seitdem an eine Lösung des Konflikts in absehbarer Zeit. Israelis wie Palästinenser haben sich anscheinend mit dem Status quo arrangiert.