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Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Richter Hans-Peter Kaul (hinten mitte) strahlt am Eröffnungstag des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag 2002. Mit ihm strahlen die damalige Königin Beatrix, die direkt vor ihm steht, und links von ihr der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan.
© picture-alliance/dpa

Internationaler Strafgerichtshof: Hans-Peter Kaul - der Hausmeister der Gerechtigkeit

Der Deutsche Hans-Peter Kaul hat für den Internationalen Strafgerichtshof gekämpft. Er hat dessen Statut verhandelt und war dort selbst 12 Jahre lang Richter. Am Montag ist er gestorben. Ein Nachruf.

Man nannte ihn Mr. Strafgerichtshof. Ohne ihn, sagen viele, hätte es dieses Gericht vielleicht nie gegeben. 12 Jahre alt ist es in diesem Sommer geworden und am  21. Juli ist Hans-Peter Kaul verstorben – Richter an seinem eigenen Gericht, dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, seit dessen Gründung. 

Hans-Peter Kaul hat für dieses Gericht gelebt, das zunächst nur eine Idee war, die viele für lächerlich hielten. Es klang ja auch utopisch, dass selbstgewisse Präsidenten, blutrünstige Generäle, Diktatoren, Despoten, dass die mit den Waffen, die mit dem Geld und die mit der Macht, Prozesse abzuwenden, nun doch verurteilt werden könnten. Für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Vor einem permanenten Gericht.

"Sein Tod ist ein schwerer Verlust für alle"

Kaul aber glaubte an diese Idee wie kein anderer. Sein deutscher Richterkollege Christoph Flügge sagte dem Tagesspiegel wenige Stunden, nachdem Kauls Tod bekannt wurde: "Richter Kaul hat sich herausragende Verdienste als wahrer Pionier des internationalen Strafrechts erworben, und die Existenz des Internationalen Strafgerichtshofs ist ohne ihn nicht denkbar. Sein Tod ist ein schwerer Verlust für alle, die mit ihm an die Kraft des Rechts auch in kriegerischen Konflikten glauben."

Die heißen Wochen von Rom

Kaul erzählte auch gern von dieser Idee. Man konnte ihn treffen, in seinem Dahlemer Wintergarten zum Beispiel, in den er sich eigentlich bald zurückziehen wollte, wenn er 2015 in Rente gegangen wäre, um Zeit mit den vier Kindern zu verbringen. Es dauerte dann nicht lange, da leuchteten seine Wangen dunkelrot, da war er wieder in die frühen Stunden des Gerichts zurückversetzt, schwärmte von den Wochen in jenem Juli 1998 in Rom, als er als Verhandlungsführer der deutschen Delegation um Paragraphen und Worte rang, damit diese Idee Wirklichkeit würde. Die Idee von Gerechtigkeit.

Wochenlang hatte Kaul damals kaum geschlafen, das schöne Apartment mit Blick auf den Petersdom selten betreten, bereits sieben Kilo abgenommen. Im Konferenzsaal war es drückend heiß. Doch Kaul spürte die Erschöpfung nicht, so aufgeregt war er. Der Durchbruch stand bevor.

Kaul gab sich optimistischer, als er war, stritt mit der amerikanischen Delegation um den Einfluss des Sicherheitsrates -  und gewann schließlich. „Die Hölle brach los“, beschrieb Kaul den wichtigsten Moment seines Lebens, als sich die Mehrheit der anwesenden Staaten auf ein Statut zum Gerichtshof geeinigt hatte. Männer in Anzügen sprangen auf Tische, der Konferenzleiter umarmte Kaul. „Wir hatten es selbst nicht für möglich gehalten.“ Statt zu feiern, fiel Kaul erschöpft ins Bett.

Am 21. Juli ist der deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof Hans-Peter Kaul nach schwerer Krankheit gestorben. Erst zum 1. Juli hatte er wegen seiner Erkrankung sein Amt aufgeben müssen.
Am 21. Juli ist der deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof Hans-Peter Kaul nach schwerer Krankheit gestorben. Erst zum 1. Juli hatte er wegen seiner Erkrankung sein Amt aufgeben müssen.
© promo

„Dank Kaul ist das Statut des Gerichts viel effektiver und progressiver als alles, was man Anfang der 90er für möglich gehalten hätte“, sagt sein enger Freund, der kanadische Völkerrechtsprofessor William Schabas. Durch geschicktes Verhandeln hätte Kaul dem Gericht zum Leben verholfen.  Es wurde sein Lebenswerk.

Bis zum Schluss kämpfte Kaul für den Gerichtshof

Bis zum Schluss kämpfte er dafür. Zuletzt sollte das Statut erweitert werden, Aggression, also Krieg, sollte endlich ein Verbrechen sein, für das Individuen sich verantworten müssen. „Die Aggression ist die Mutter aller Verbrechen“, sagte Kaul. Bei der Bundesregierung warb er mit einer berührenden Rede für die wichtige Erweiterung: Er selbst war in den Ruinen Nachkriegsdeutschlands aufgewachsen.

1943 war er in Glashütte, Sachsen, geboren, 1952 mit seinen Eltern aus der sowjetischen Besatzungszone in die Bundesrepublik geflohen, dann in Hessen zur Schule gegangen und nach dem Wehrdienst  Hauptmann der Reserve geworden. Schließlich studierte er Jura in Heidelberg und Lausanne, in Cambridge und Paris. Im April 1975, direkt nach dem zweiten Staatsexamen, trat Kaul in den Auswärtigen Dienst ein. Völkerrecht war jetzt schon seine Leidenschaft und es war seine Überzeugung, dass diejenigen, die heute in Frieden leben dürfen, verpflichtet seien, sich weltweit für Menschenrechte einzusetzen.

Als Diplomat setzte sich der Richter für die Vereinten Nationen ein

Im Auswärtigen Amt kümmerte sich Kaul jahrelang um die Vereinten Nationen, die UN-Charta immer in der Sakkotasche und seine Idee von der weltweiten Gerechtigkeit stets im Sinn. Später arbeitete er bei den Deutschen Botschaften in Israel, Norwegen, Washington, schließlich bei der Deutschen Vertretung der Vereinten Nationen in New York – in den Jahren der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Kaul war zuständig für das ehemalige Jugoslawien - die Kriegsverbrechen inmitten Europas gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Bis 2002 leitete er das Völkerrechtsreferat im Auswärtigen Amt.

Diese Erfahrungen halfen ihm bei den harten römischen Verhandlungen zum Statut, aber sie präparierten ihn nicht für die Zeit danach. Trotz seiner fehlenden Praxis als Richter ernannte die Bundesregierung ihn gegen starke Gegenkandidaten. Er meisterte die Aufgabe, seine Urteile gelten als besonnen und gleichzeitig fortschrittlich: Kaul entwickelte das Völkerrecht fort.

Der Kümmerer von Den Haag

Aber er war nicht nur Richter. Er fühlte sich, nicht nur in den Jahren als Vizepräsident des Gerichts, für viel mehr verantwortlich. Kaul wurde eine Art Hausmeister, der Hausmeister der Gerechtigkeit. Er rügte, wenn jemand zu spät kam, Gelder unökonomisch eingesetzt wurden. Als in dem neuen Gebäude Schreibtische fehlten, Toiletten verschmutzt waren und Telefonleitungen tot, da brachte Kaul alles mit ein paar Anrufen in Ordnung.

Er war eine Ein-Mann-Werbeagentur für das Gericht, der bessere Pressesprecher. Anfragen von Journalisten beantwortete er trotz Urlaub oder Krankheit, tat alles, wenn es darum ging, sein Gericht, seine Idee, zu verteidigen. Er sprach zu Libyen, Syrien, Demokratische Republik Kongo und Palästina und war stets für eine rechtliche Einordnung erreichbar. Die Bundesregierung griff der ehemalige Diplomat ganz undiplomatisch an, als sie den Etat für Kauls Gericht verringern wollte. Er konnte es sich erlauben.

Der Streit mit den Afrikanern

Wenn jedoch ein anderer seinen Gerichtshof kritisierte, zog Kaul die Stirn in Falten, Lippen und Nase zwängten dann den Schnauzer ein. Sie taten ihm sichtlich weh, die Vorwürfe, dass der Gerichtshof nur afrikanische Fälle verhandelte und deshalb neokolonial sei. Dass er Gelder verschwende, ohnehin keine Versöhnung brächte, nichts wert sei ohne eine Mitgliedschaft der USA. Und er stimmte dann eine überzeugende Verteidigungsrede an, die so endete: „Der IStGH ist schwach, angesichts der Probleme der Welt, doch er ist eine Realität.“ Dafür hat Hans-Peter Kaul persönlich gesorgt.

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