SPD nach der Wahl: Nahles, Schwesig, Scholz - wer will was?
Die Sozialdemokraten wollen sich neu aufstellen. Wer könnte das und wer hat welche Ambitionen bei den Sozialdemokraten? Ein Überblick.
Die SPD hat sich aus der Regierung verabschiedet und ist den Gang in die Opposition angetreten, um sich inhaltlich sowie personell zu erneuern. Martin Schulz ist derzeit offiziell zwar unangefochtener Parteichef, intern gibt es durchaus andere Planspiele. Und auch andere Positionen sind auf dem Parteitag im Dezember zu besetzen. Ein Überblick über die neuen sozialdemokratischen Hoffnungsträger und ihre Ambitionen:
Am Drücker: Andrea Nahles
Sie hat viel vor, die neue Vorsitzende der sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag. Nahles will die Fraktion zum Machtzentrum der SPD ausbauen. Das geht zulasten von Parteichef Schulz, der nach der Niederlage vom 24. September keine andere Wahl mehr hatte, als sie vorzuschlagen. Ziel der Ex-Arbeitsministerin ist die Kanzlerkandidatur im Wahljahr 2021.
Mit Parteivize Olaf Scholz habe sie eine Machtteilung vereinbart, heißt es in der SPD. Der Hamburger Bürgermeister soll demnach den Parteivorsitz übernehmen, wenn möglich schon beim Parteitag im Dezember. Damit hätte Nahles auch ihrer schärfsten Konkurrentin den Weg verbaut: Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Nahles stehen harte Jahre bevor. Als Oppositionsführerin im Bundestag muss sie die SPD gegen die rechte und linke Konkurrenz von AfD und Linkspartei behaupten. Und sie muss an ihren Schwächen arbeiten. Fehltritte wie ihr völlig missglückter Scherz, der Union fortan in die „Fresse“ zu hauen, dürfen sich nicht wiederholen, wenn die Frau aus der Eifel tatsächlich im Kanzleramt ankommen will.
Auf der Lauer: Olaf Scholz
Wenn Olaf Scholz nicht als SPD-Chef und Kanzlerkandidat der Reserve in die Parteigeschichte eingehen will, dann muss er bald nach der Macht greifen. Geht die Niedersachsen-Wahl für die SPD schief, muss er sich entscheiden. Dass ihn der Gedanke seit Langem umtreibt, ist in Berlin und Hamburg ein offenes Geheimnis. Am Wahlsonntag war Scholz im Willy- Brandt-Haus der einzige Spitzengenosse, der Zweifel daran säte, dass Martin Schulz Parteivorsitzender bleiben kann. Kein Geheimnis ist auch, dass Scholz sich die inhaltliche und organisatorische Erneuerung der gebeutelten Partei zutraut.
Selbst parteiinterne Gegner wie SPD-Vize Ralf Stegner bestreiten nicht, dass der Hamburger Regierungschef ein scharfer, fleißiger Analytiker ist, der auch komplizierte Prozesse steuern kann. Scholz weiß: Eine SPD, die sich nur als Garantin sozialer Gerechtigkeit versteht, der aber nicht zugetraut wird, die Wirtschaft am Laufen zu halten, hat keine Chance. Über nennenswerte eigene Truppen in der Partei verfügt der Hamburger nicht. Aber er kann auf ein altes Bündnis mit Andrea Nahles bauen, das ihn auf dem Parteitag im Dezember an die Macht bringen könnte.
Im Wartestand: Manuela Schwesig
Sie ist die Jüngste in der SPD-Führungsriege und dennoch schon lange dabei. Die 42-Jährige war Sozialministerin in Schwerin und Bundesfamilienministerin, bevor sie im Sommer zur Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern gewählt wurde. Dort muss sich Manuela Schwesig nicht nur als Chefin der SPD-geführten Regierung beweisen und die AfD in Schach halten. Zugleich wird sie versuchen, dem Osten eine Stimme zu geben, ohne sich auf diese Rolle beschränken zu lassen. Leicht wird das nicht. Mecklenburg-Vorpommern gilt als toter Winkel der Republik. Will Schwesig nicht außer Sicht geraten, muss sie sich als stellvertretende SPD-Vorsitzende regelmäßig und unüberhörbar in die Bundespolitik einmischen.
Dass sie Parteichefin werden könnte, falls Martin Schulz nach einer Niederlage der SPD in Niedersachsen am übernächsten Wochenende gehen muss, hat sie am Wochenende selbst ausgeschlossen. Sie werde keinesfalls auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember kandidieren. Es liegt in Schwesigs Interesse, dass Schulz erst einmal weitermacht – bis sie ihre Macht als Ministerpräsidentin in Schwerin gefestigt hat. 2019 aber könnte Schwesig versuchen, nach dem Parteivorsitz zu greifen und sich damit auch den Anspruch auf die Kanzlerkandidatur 2021 zu sichern. Pragmatisch und machtbewusst – so kennen die Sozialdemokraten ihre stellvertretende Chefin. Mit programmatischen Impulsen ist sie jenseits der Familienpolitik bislang jedoch nicht aufgefallen. Das wird Manuela Schwesig bald nachholen müssen.
Am Rand: Sigmar Gabriel und Gerhard Schröder
Er war länger als sieben Jahre der mächtigste Mann in der SPD. Dann, im Januar 2017, gab Sigmar Gabriel Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur an Martin Schulz ab – in der Hoffnung, den Absturz der Partei mit seinem Verzicht zu verhindern. Von Schulz ließ er sich die Zusage für einen Kabinettsposten in einer erneuten großen Koalition geben. Beide Ziele hat der Niedersachse verfehlt. Die SPD hat sich auf die Oppositionsrolle festgelegt. Gabriel bleibt nur noch sein Mandat als Abgeordneter im Bundestag. Bis zuletzt hatte er die SPD auf Regierungskurs halten wollen. Sein Argument: Im Fall von Neuwahlen werde die Partei womöglich noch schlechter abschneiden.
Diese Sorge teilt auch einer, bei dem Gabriel sein politisches Handwerk gelernt hat: Gerhard Schröder, einst Ministerpräsident von Niedersachsen, dann sieben Jahre lang Bundeskanzler. Falls die Jamaika-Verhandlungen scheitern, könnten Gabriel und Schröder noch einmal versuchen, die SPD in ein Regierungsbündnis mit der Union zu drängen. Die Erfolgsaussichten wären jedoch gering. Fiele die SPD-Führung aus Angst vor Neuwahlen doch noch um, dürfte es einen Aufstand an der Parteibasis geben. Dort gilt die große Koalition als Ursache allen Übels. Neben ihrer Abneigung gegen den Gang in die Opposition verbinden Gabriel und Schröder offenbar auch Zweifel an SPD-Chef Martin Schulz, dem sie nach Einschätzung Eingeweihter nicht mehr zutrauen, die Sozialdemokratie aus der Krise zu führen.
Im Blick: Michelle Müntefering und Lars Klingbeil
Es sind hehre Ansprüche: Erneuerung und Verjüngung sollen die Wende zum Besseren bringen für die SPD. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Die bislang wichtigste Personalentscheidung der Sozialdemokraten hat zwar erstmals eine Frau an die Spitze der Bundestagsfraktion gebracht. Doch Andrea Nahles ist kein neues Gesicht, sondern dient ihrer Partei seit rund zwei Jahrzehnten in wichtigen Funktionen. Der neue Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider ist zwar erst 41 Jahre alt, sitzt aber auch schon seit dem Jahr 1998 im Bundestag. Jüngere Sozialdemokraten plädieren nicht nur für neue Inhalte und attraktivere Organisationsformen ihrer Partei, sie verlangen auch einen Generationenwechsel. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen will, dass der Aufbruch der SPD weiblicher wird.
Und schließlich gibt es noch die Parteiflügel, die Linken, die pragmatischen Netzwerker und den rechten „Seeheimer Kreis“, die mitreden wollen, wenn es um die Neubesetzung herausgehobener Positionen geht. Auf dem Parteitag im Dezember muss eine Generalsekretärin oder ein Generalsekretär gewählt werden, nach Konstituierung einer Regierung werden Vizefraktionschefs gesucht. In der Bundestagsfraktion richten sich die Blicke gegenwärtig auf Michelle Müntefering (37) und Lars Klingbeil (39). Müntefering ist Netzwerkerin, Klingbeil Seeheimer. Und dann beginnt das Rechnen: Parteichef, Fraktionsvorsitzende, Parlamentsgeschäftsführer – von drei Spitzenpositionen sei nur eine an eine Frau vergeben, da könne nicht auch noch ein Mann zum Generalsekretär gewählt werden, sagen manche. Und die Parteilinke dürfte kaum gewillt sein, neben Schneider noch einen weiteren „Seeheimer“ zu befördern.