Seehofer vor der Entscheidung: Nach den EU-Absprachen zu Flüchtlingen schweigt die CSU
Nach den EU-Vereinbarungen zum Asyl sagt die CSU parteioffiziell nichts. Will Innenminister Horst Seehofer beim angedrohten Alleingang bleiben, braucht er gute Argumente.
Die CSU ist normalerweise eine recht mitteilungsfreudige Partei. Aber seit sich beim EU-Gipfel alle 28 Mitgliedsländer überraschend auf einen gemeinsamen Kurs in der Flüchtlingspolitik verständigt haben, herrscht aus München und aus den Berliner Dependancen weitgehend Funkstille.
Hier und da grummelt einer über Angela Merkels Satz, die Vereinbarungen von Brüssel seien „mehr als wirkungsgleich“ zu den Grenzkontroll-Plänen des Bundesinnenministers. „Wirkungsgleich“ war das Kriterium, das der CSU-Vorstand aufgestellt hatte als Bedingung dafür, dass Horst Seehofer auf Grenz-Zurückweisungen im Alleingang verzichtet. Dass die Kanzlerin der Schwesterpartei quasi vorschreibt, wie sie die Beschlüsse aus Brüssel zu finden hat, findet mancher frech. Aber mit Stilkritik, das wissen die Bayern, kommen sie nicht mehr weiter. Bis Sonntag muss sich Seehofer in der Sache entscheiden.
Merkel hatte direkt nach dem Gipfel informiert
Merkel hat noch am Freitagabend die Partei- und Fraktionschefs von CDU, CSU und SPD mündlich über den Gipfel informiert. Sie ließ ihnen dazu einen achtseitigen „Bericht zur Lage nach dem Europäischen Rat“ zukommen, der die Ergebnisse unter der Überschrift „Mehr Ordnung und Steuerung in der Migrationspolitik“ auflistet.
Für den Unionsstreit maßgeblich sind die Passagen zur „Sekundärmigration“ – also der Binnenwanderung von Asylsuchenden aus dem Erstankunftsland in andere Staaten der EU. Der Gipfel-Beschluss empfiehlt allen Mitgliedstaaten, sie sollten „die erforderlichen internen Rechtsetzungs- und Verwaltungsmaßnahmen gegen diese Migrationsbewegungen treffen und dabei eng zusammenarbeiten.“
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte diese Passage in einer ersten Reaktion als Freibrief für „nationale Maßnahmen“ á la Seehofer gedeutet. Merkel ließ das aber zurückweisen: „Intern“ meine „intern“ und gerade nicht nach außen wirkend, stellte ein Regierungssprecher am Samstag klar. Gemeint seien nicht einseitige Aktionen, sondern nur solche im Zusammenwirken der EU-Staaten.
Zu diesem Zweck hat Merkel parallel zu den Gipfelverhandlungen mit einzelnen Mitgliedern Absprachen getroffen. Griechenland und Spanien sagten ihr fest zu, Flüchtlinge zurückzunehmen, die an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden und bei denen ein Blick in die Fingerabdruck-Datei Eurodac zeigt, dass sie in den zwei Mittelmeerländern zuerst registriert wurden. Das soll binnen vier Wochen vereinbart – übrigens vom Innenminister – und dann sofort umgesetzt werden. Die „Politische Vereinbarung“ mit den zwei Staaten hängt Merkels Bericht an.
Mit Österreich und Italien fehlen zwei wichtige Länder
Von 14 weiteren Ländern, heißt es in dem Papier, lägen „Zusagen auf politischer Ebene“ für Verwaltungsabkommen über schnellere Rückführung vor. Die Liste reicht von Belgien bis Schweden. Zwei wichtige Länder fehlen, nämlich Österreich und Italien. Zwei – Ungarn und Tschechien – wiesen irgendwelche Zusagen empört zurück: „Diese alarmierende Nachricht ist völliger Unsinn“, erklärte Techiens Ministerpräsident Andrej Babis; man habe mit den Deutschen nicht verhandelt und werde auch nichts dergleichen tun.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bestritt ebenfalls, dass seine Regierung Merkel Zusagen zur beschleunigten Rückführung von Asylbewerbern gegeben hat. „Das ist eine gewöhnliche Zeitungsente, es ist zu keinerlei Vereinbarung gekommen“, sagte der rechtsnationale Politiker am Samstag der staatlichen Nachrichtenagentur MTI.
Da wird also noch etwas zu klären sein, ebenso wie bei der Haltung Österreichs. Dessen Regierungschef Sebastian Kurz kündigte für den Fall, dass Seehofer die Bundespolizei Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückweisen ließe, eine Reaktion an seinen Landesgrenzen an – aber ob er mehr die zum Nachbarn Bayern oder mehr die zu Italien oder Richtung Balkan meinte, darüber ließen Kurz’ verschiedene Wortmeldungen verschiedene Deutungen zu.
Unklar ist, ob Seehofer die EU-Absprachen reichen
Schließlich enthält das Papier noch zwei Angebote an den Bundesinnenminister: Erstens soll die Schleierfahndung hinter der Grenze verstärkt werden, um auch abseits der drei festen Kontrollpunkte in Bayern Grenzgänger aufzugreifen. Zweitens soll generell bei allen, die mit Fingerabdruck bei Eurodac erfasst sind – also auch denen, die nicht schon an der Grenze auffallen –, das Asylverfahren in speziellen Ankerzentren drastisch verkürzt werden. Inklusive Rechtsweg wäre dann in wenigen Wochen klar, ob jemand bleiben darf oder gehen muss – ein Modell, das die SPD im Koalitionsausschuss vorgelegt hatte. Ob Seehofer damit leben kann?
In der CSU wurde viel telefoniert am Samstag, im Innenministerium beugten sich Fachleute über Merkels acht Seiten. Wirkungsgleich, nicht wirkungsgleich – oder sogar mehr? Tatsächlich gehen Elemente wie die Kurzverfahren für alle Eurodac-Fälle über das hinaus, was Seehofers Fahndungsoffensive an der Grenze bewirken könnte. Bis zur Umsetzung verginge andererseits weiter Zeit. Eingängige TV-Bilder von ausschwärmenden Bundespolizeisheriffs im Voralpenland, mit Drohnen und anderem High-Tech-Gerät gerüstet, müssten mindestens ein paar Wochen warten.
Söder: Das geht absolut in die richtige Richtung
Aber um Merkels Angebot abzulehnen und auf einem Alleingang zu bestehen, der den Bruch von Regierung und Union in Kauf nähme, bräuchte es durchschlagende Argumente. Markus Söder jedenfalls klingt so, als wolle er den Sturm auf Merkel abblasen. „Das geht absolut in die richtige Richtung“, sagt der CSU-Spitzenkandidat. Aber so vage, wie die Abreden seien, müsse man dann schon noch dranbleiben.