Bundeshaushalt für 2017: Muss Wolfgang Schäuble jetzt doch neue Schulden machen?
Die SPD will Mehrausgaben für Integration und Soziales, die Länder fordern mehr Geld für Flüchtlinge. In der Koalition sucht man nach Wegen, die schwarze Null zu retten.
Ändert die große Koalition ihren haushaltspolitischen Kurs? Kanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wollen sich an diesem Mittwoch mit Finanzminister Wolfgang Schäuble und möglicherweise weiteren Beteiligten zusammensetzen, um das weitere Prozedere in den Haushaltsberatungen zu klären.
Zuvor war durchgesickert, dass die Kabinettsentscheidung über die Eckwerte des Etatentwurfs für 2017, die auf den 23. März terminiert war, verschoben werden könnte. Denn die von Schäuble anvisierten Zahlen lassen sich angesichts der im Wahlkampf erhobenen Forderungen der SPD nach zusätzlichen Ausgaben für Integration und Soziales wohl nicht mehr halten. Gabriel hat die Zustimmung der SPD zum Etat ultimativ an ein Entgegenkommen der Union geknüpft. Schäuble hingegen hält am ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden fest.
Die Koalitionsrunde soll nun offenbar klären, ob beide Ziele doch zu vereinbaren sind. Die bisherigen Gespräche zwischen dem Bundesfinanzministerium und den Ressorts, die vor vier Wochen begonnen hatten, waren wegen der Wahlen und der SPD-Forderungen ins Stocken geraten.
Es geht um die Rücklage aus dem Überschuss
Der Streit dreht sich nicht zuletzt um die Rücklage für Flüchtlingskosten, welche die Koalition dank des Überschusses in Höhe von 12,1 Milliarden Euro im vergangenen Jahr gebildet hat. Davon wurden 6,1 Milliarden in den laufenden Etat übernommen, weitere sechs Milliarden sollen als Puffer für den 2017er-Haushalt dienen.
Schäuble war in die Ressortgespräche mit der Maßgabe gegangen, dass die Finanzierung zusätzlicher Flüchtlingskosten durch die Rücklage gedeckt wird. An zusätzlichen Belastungen hat er knapp elf Milliarden Euro veranschlagt, worin bereits einige SPD-Forderungen, die auf den Koalitionsvertrag zurückgehen, eingeschlossen waren. Dem stehen Entlastungen, inklusive der Rücklage und dem Wegfall des Betreuungsgeldes, in Höhe von knapp neun Milliarden Euro entgegen. Das ergibt eine Deckungslücke von zwei Milliarden Euro, die Schäuble offenbar schließen will, ohne in die Einzelpläne der Ressorts einzugreifen.
Spielraum dafür dürfte er in einem Etat mit einem Planvolumen von 319 Milliarden Euro finden, zumal die Zinslasten möglicherweise stärker sinken als angenommen. In der SPD geht man davon aus, dass zusätzliche Ausgaben durchaus zu stemmen seien, ohne die schwarze Null zu gefährden. Allerdings kalkuliert Schäuble bei den Steuereinnahmen (geplant sind 299 Milliarden Euro) eine Zunahme von 3,8 Prozent ein, was anspruchsvoll ist – im Überschussjahr 2015 gab es ein Steuerplus von vier Prozent.
Schäubles Dekret: Zusatzwünsche selber finanzieren
Um die schwarze Null zu halten und mit der Rücklage auszukommen, hat Schäuble den Kabinettskollegen jedoch aufgegeben, alle weiteren Wünsche selbst gegenzufinanzieren. Minister, die Mehrausgaben fordern, sollen Sparvorschläge für den eigenen Ressortetat präsentieren.
Das betrifft mehrere SPD-Forderungen: höhere Zuschüsse für aktive Arbeitsmarktpolitik, das Plus beim sozialen Wohnungsbau und beim Kita-Ausbau, die Mindestrente und die Eingliederungshilfe für Behinderte. Hierfür wird Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) noch im März den Entwurf für ein Teilhabegesetz vorlegen. Das dürfte insofern haushaltsrelevant sein, als eine Bundesgesetzgebung bei der Hilfe für Behinderte finanzielle Forderungen der Ländern und Kommunen nach sich ziehen werden, die bisher dafür zuständig sind. Zwar dürften hier wie bei der Mindestrente die Anlaufkosten 2017 noch gering sein, aber zur Haushaltsaufstellung gehört auch die mittelfristige Planung bis 2020 - dann müsste Schäuble einige Milliarden mehr veranschlagen, auch wenn die Mindestrente dazu führen würde, dass die vom Bund getragenen Kosten für die Grundsicherung im Alter etwas geringer ausfallen.
Noch eine Baustelle
Eine weitere Baustelle wird sich am Donnerstag auftun, wenn die Ministerpräsidenten der Länder bei ihrem Treffen in Berlin die Forderung ihrer Finanzminister übernehmen, dass der Bund zeitnah seinen Anteil an den Kosten der Flüchtlinge verdoppeln und auf 50 Prozent erhöhen soll. Dann würde Schäubles Rücklage für 2016 nicht mehr reichen, er müsste die für 2017 reservierten sechs Milliarden Euro wohl schon in den laufenden Haushalt packen. Bisher argumentiert Schäuble, die Länder hätten 2015 ebenfalls Überschüsse erzielt und könnten diese einsetzen. Allerdings war das Etatplus der Länder geringer, einige Länder inklusive Nordrhein-Westfalen schlossen sogar im Minus ab.
Bund und Länder hatten Ende Januar eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um ein gemeinsames Integrationskonzept für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive zu erarbeiten. Sie sollte Ende Februar erste Ergebnisse vorlegen, doch hat sich die Arbeit daran ebenfalls verzögert. Schäuble hat nun, um Luft im Bundeshaushalt zu schaffen, seine Kabinettskollegen brieflich gebeten, angesichts der "Vielzahl an Integrationsprogrammen, die auf zahlreiche Ressorts verteilt sind", den "Gesichtspunkt der Effizienz" nicht aus den Augen zu verlieren. Will heißen: Maßnahmen sollen gebündelt werden. Das zeigt aber auch, dass Schäuble, um die schwarze Null zu halten, schon in den tieferen Regionen des Etats nach Deckungsmöglichkeiten wühlt. Wird er da nicht fündig, müsste er neue Schulden einplanen.
Unions-Fraktion: Schwarze Null kein Selbstzweck
In der Unions-Fraktion will man davon aber nichts wissen. Ein Haushaltsausgleich ohne neue Schulden sei kein Selbstzweck, sondern „ein wichtiger Beitrag zur Generationengerechtigkeit“, sagte der CDU-Haushaltspolitiker Ralph Brinkhaus dem Tagesspiegel. Raum für neue Ausgabewünsche ohne entsprechende Finanzierungsvorschläge bestehe nicht. „Jeden Tag neue Wünsche ohne Gegenfinanzierungsvorschläge zu äußern, widerspricht den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages. Daran sollten wir uns alle regelmäßig erinnern“, fügte der Unions-Fraktionsvize an die Adresse des Koalitionspartners hinzu.
Im Finanzministerium aber scheint man nervös zu sein: Schäubles Staatssekretär Jens Spahn sagte am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf Gabriels Forderungen, "populistische Rufe nach einer höheren Rente für Deutsche als Ausgleich, weil wir Flüchtlingen helfen", seien "gaga".