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Finanzminister Wolfgang Schäuble.
© Hannibal Hanschke/Reuters

Wolfgang Schäuble blickt in die Zukunft: Langfristig solide - oder kurzfristig durchsichtig?

Der Bundesfinanzminister will den Staatshaushalt auf Dauer stabil halten und legt einen Tragfähigkeitsbericht vor. Die SPD wittert dahinter auch ganz eigennützige Gedanken.

Die Spitzen des Bundesfinanzministeriums haben am Mittwoch gleich zwei wichtige Termine gehabt: Ressortchef Wolfgang Schäuble stellten im Kabinett und im Bundestag einen dramatisch klingenden Bericht zur potenziellen Entwicklung der Ausgaben und des Schuldenstandes bis 2060 vor, und Haushaltsstaatsekretär Werner Gatzer versammelte seine Kollegen aus den Bundesministerien um sich, um den Etat für 2017 zu besprechen. Dessen Eckpunkte sollen im März vorgelegt werden – die Wünsche der Ressorts gehen wie üblich über die Vorstellungen im Finanzministerium hinaus. Konnte es da ein Zufall sein, dass der sogenannte Tragfähigkeitsbericht genau an diesem Tag veröffentlicht wurde? Zu den Schelmen, die Böses dabei dachten, gehörte der SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs: „Dass der Bundesfinanzminister den Tragfähigkeitsbericht nutzt, um mit gespielter Besorgnis vor allem die Ideen der sozialdemokratischen Ressorts einzuhegen, ist ein sehr durchsichtiges Spiel.“

Nach dem Bericht des Finanzministers, der einmal in der Legislaturperiode vorgelegt werden muss, bestehen aufgrund der Bevölkerungsentwicklung größere Risiken für die öffentlichen Haushalte – wenn nicht frühzeitig gegengesteuert wird, was Schäuble natürlich anstrebt. Zwei Szenarien wurden in seinem Auftrag von dem Bochumer Ökonomen Martin Werding  durchgespielt: Nach der optimistischen Variante sinkt die Einwohnerzahl Deutschlands bis 2060 um vier Millionen, nach dem pessimistischeren Szenario sind es gut elf Millionen. Der Anteil der Alten über 65 Jahren, die zum großen Teil nicht mehr am Arbeitsleben teilnehmen, steigt deutlich – von einem Drittel heute auf 54 bis 64 Prozent. Das hat dann deutliche Auswirkungen auf das prognostizierte Wirtschaftswachstum, von dem wiederum die Versorgung der wachsenden Zahl der Rentner abhängt.

Es drohen höhere Schulden

Daher, so Werdings Fazit, werden die öffentlichen Ausgaben, nicht zuletzt für Soziales, deutlich steigen: im optimistischen Szenario von derzeit 26 auf 29 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2010, in der pessimistischen Projektion auf fast 33 Prozent. Und auch der Schuldenstand wird sich erhöhen: in der optimistischen Variante, nach einem deutlichen Rückgang bis 2035, auf 75 Prozent des BIP, in der pessimistischen Prognose dagegen bis auf über 200 Prozent. Dass das keine an die Wand gemalten Horrorzahlen sind, zeigt das japanische Beispiel – das einst ungemein wachstumsstarke Industrieland ist heute schon überaltert, hat Wachstumsprobleme und mittlerweile einen Schuldenstand von über 240 Prozent samt einer dauerhaften Deflation. Und Japans Weg, so heißt es im Bundesfinanzministerium, soll Deutschland nicht gehen. Die „Tragfähigkeitslücke“, also letztlich der jährliche Handlungsbedarf zur Vermeidung dessen, liegt nach dem Bericht je nach angenommenem Szenario zwischen 1,2 und 3,8 Prozent des BIP. In absoluten Zahlen: zwischen 356 und 115 Milliarden Euro, die der Staat einsparen oder weniger ausgeben oder über neue Schulden decken muss. Letzteres aber ist durch die Schuldenbremse im Grundgesetz eng beschränkt. Bleiben also Mehreinnahmen oder Etatkürzungen. So ähnlich dürften das Schäuble und Gatzer in den Etatverhandlungen nun vortragen. Das Signal wird wohl lauten: vor allem im Sozialen nicht draufsatteln, während höhere Steuern negative Nebeneffekte hätten. Die deutsche Steuer- und Abgabenquote sei im internationalen Vergleich schon jetzt relativ hoch. Ähnlich klingt Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus: „Kostensteigerungen aufgrund der Flüchtlings- und Migrationskrise müssen an anderer  Stelle gegenfinanziert werden und nicht durch neue Schulden.“

Warnendes Beispiel Japan

Doch gibt es auch noch andere Wege, dem japanischen Dilemma aus Überalterung und Wachstumsschwäche zu entgehen. Im Bundesfinanzministerium werden einige genannt. Zum einen müssten ältere Arbeitnehmer und Langzeitarbeitslose sowie vor allem die Frauen noch stärker in den Arbeitsprozess integriert werden. Damit, so die Einschätzung, sei ein Drittel der Tragfähigkeitslücke zu decken. Zweitens müssten vermehrt qualifizierte Zuwanderer gewonnen werden, vor allem jüngere. Drittens ist da die längere Lebensarbeitszeit – vor allem erfahrene und qualifizierte Arbeitnehmer müssten länger über das bisherige Rentenalter in Beschäftigung bleiben. Im Bericht ist von einem Plus von zwei Jahren im Schnitt die Rede. Viertens wird die Geburtenrate genannt – sie müsse von 1,4 Kindern je Frau näher an die zwei Kinder gerückt werden, wie in Frankreich oder in den USA. Allerdings tritt der Effekt dessen erst nacheiner Generation ein.  

Kahrs wirft Schäuble nun vor, den Bericht als „Tarnkulisse“ zu nutzen – um sein Scheitern im Kampf um den ausgeglichenen Haushalt zu bemänteln. Schäuble, der für 2015 einen Zwölf-Milliarden-Überschuss vorlegte, habe in Wirklichkeit wegen der Flüchtlingskrise die „schwarze Null“ schon aufgegeben. Dem absehbaren „Spar-Narrativ“ aus dem Finanzministeriumwill Kahrs eine „gründliche Bestandsaufnahme unserer finanziellen Situation in den kommenden Jahren“ entgegensetzen. Derzeit seien genügend finanzielle Reserven vorhanden, um die schwarze Null auch 2017 zu halten. So will der SPD-Mann Schäubles Versuch konterkarieren, die Sozialdemokraten zu den Schuldigen für neue Schulden zu machen.

Auch der Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler sieht darin Schäuble Kalkül: Mehrforderungen aus den SPD-Ministerien abzuwehren. Dabei trage der Finanzminister die Verantwortung für die schlechten Szenarien des Berichts: Schäuble habe sich allein auf gute Konjunktur, niedrige Zinsen und gute Steuereinnahmen verlassen. „Arbeitsverweigerung“ wirft Kindler dem CDU-Politiker vor. Jetzt brauche es „Ausgabenkritik“ und „effektives Controlling“.

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