Heute auch in Berlin: Muslime wollen unbeirrt für Frieden demonstrieren
Bleiben muslimische Friedensmärsche Sache von Einzelnen? Ex-Funktionäre beklagen das Schweigen der Verbände und sprechen von Selbstisolierung. Am Freitag soll in Berlin und anderen Großstädten wieder demonstriert werden.
Von den flauen Zahlen vom letzten Wochenende in Köln lassen sich die Initiatorinnen der nächsten muslimischen Friedensdemonstrationen nicht schrecken. Für Freitag, den letzten des Fastenmonats Ramadan, laden sie unter dem Titel „Für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ erneut zum Friedensmarsch ein. Geplant sind Veranstaltungen unter anderem in Stuttgart, Hamburg und Berlin. In der Hauptstadt soll der Marsch vom Gendarmenmarkt und Bebelplatz aus über die Linden zum Pariser Platz führen und dort gegen 20 Uhr mit einer Mahnwache und Friedensgebeten enden.
„Wir wollen mit diesen Märschen ein Zeichen des gegenseitigen Respekts, des friedlichen Miteinanders zwischen Muslimen und Andersgläubigen, Humanisten und Nichtgläubigen klar und deutlich zum Ausdruck bringen und den friedlichen Zusammenhalt unserer Gesellschaft demonstrieren“, heißt es im Aufruf der Initiatorinnen, die sich selbst als "Menschen aus der Zivilbevölkerung“ beschreiben. Man sei mit allen solidarisch, die Opfer von Hass, Gewalt und Terror würden.
Stunde der Frauen?
Es scheint die Stunde der Frauen zu sein. Zum „Ramadan-Friedensmarsch“ von Köln am vergangenen Wochenende hatte die Islamwissenschaftlerin und Mitgründerin des Liberal-Islamischen Bundes Lamya Kaddor aufgerufen. Berliner Veranstalterinnen sind die Kitaleiterin Iman Andrea Reimann, die auch im Deutschsprachigen Muslimkreis in Berlin aktiv ist, und die Lehrerin Fereshta Ludin. Ludin war als Lehramtsreferendarin die erste Muslima in Deutschland, die das Bundesverfassungsgericht anrief, nachdem ihr 1998 in Baden-Württemberg untersagt worden war, mit Kopftuch zu unterrichten.
Die Verbände halten sich weiter weitgehend fern. Zur Unterstützung der Demo in Köln hatte lediglich einer der großen muslimischen Verbände aufgerufen, der Zentralrat der Muslime. Ditib, VIKZ und Millli Görüs (IGMG) zogen nicht mit. Die türkisch-islamische Ditib, der größte Verband und der mit dem vermutlich größten Mobilisierungspotenzial, verteidigte im Gespräch mit dem Tagesspiegel erneut seine Absage in Köln. Im Fastenmonat sei es schlicht „unzumutbar“, die Gläubigen zum Demonstrieren aufzurufen, sagte Generalsekretär Bekir Alboga. Sie müssten fastend schon arbeiten gehen und ihre religiösen Pflichten beachten. Außerdem warf er der Kölner Initiative vor, alle anderen vor vollendete Tatsachen gestellt zu haben: „Wenn wir einen öffentlichen Auftritt zum Beispiel mit christlichen und jüdischen Institutionen planen, fragen wir Monate vorher an. Vorfeld-Kommunikation ist bei einer solchen Aktion, die alle tragen sollen, unerlässlich – insbesondere bei der Kurzfristigkeit. Als man mich das erste Mal diesbezüglich anrief, hatte man die Demo längst angemeldet und mit den Medien gesprochen." Vor Köln hatte Alboga die Ditib-Absage auch damit erklärt, derartige Demos stigmatisierten Muslime als angeblich terrorgeneigt.
"Kein Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen"
Für manche Insider der muslimischen Communities zeigt die Unbeweglichkeit der Verbände in der Demonstrationsfrage, dass sie ein größeres Problem haben. Erneut werde sichtbar, „dass die Verbände nicht in der Lage waren und sind, schnell und eindeutig auf gesellschaftliche Stimmungen zu reagieren“, diagnostizierte kurz nach der Kölner Demo Murat Kayman. Der Rechtsanwalt war bis vor wenigen Monaten Länderkoordinator von Ditib und verlor nach Tagesspiegel-Informationen alle seine Ämter, nachdem er intern einen offeneren Umgang der Ditib mit der Affäre um Imame gefordert hatte, die im Auftrag Ankaras Gemeindemitglieder bespitzelten.
Entscheidend sei nicht, schreibt Kayman in seinem Blog, ob die nicht muslimische Öffentlichkeit zu Unrecht mehr muslimisches Engagement gegen den Terror fordere und dabei frühere Demonstrationen vergesse: „Das öffentliche Bedürfnis nach demonstrativen Straßenaktionen entsteht doch erst dort, wo über längere Zeit inhaltlich keine Substanz vermittelt wurde, wo keine verständliche Kommunikation der eigenen Positionen erfolgt ist, wo jegliches Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen fehlt (...).“
Wunsch nach Kommunikation sieht Engin Karahan, der früher der Führung der IGMG angehörte, auch bei Muslimen in den Verbänden selbst. Aber auch ihnen böten ihre Organisationen da nichts. Lamya Kaddors Aufruf, auf die Straße zu gehen, habe dieses Bedürfnis kanalisiert. Karahan, der inzwischen muslimische Akteure und Behörden berät, sieht die Verbände in „selbst auferlegter Isolation“. Und die halte er für fatal.
Andrea Dernbach
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