Fereshta Ludin im Gespräch: "Ich habe nicht für das Kopftuch gekämpft"
Sie wurde trotz bester Noten in Baden-Württemberg nicht als Lehrerin eingestellt, weil sie, eine Muslima, ihr Haar bedeckt. Heute lebt Fereshta Ludin in Berlin - und zieht 15 Jahre danach Bilanz.
Frau Ludin, in diesem Monat liegt es 15 Jahre zurück, dass Ihnen in Baden-Württemberg die Anstellung als Lehrerin verweigert wurde, weil Sie ein Kopftuch tragen. Man hat damals sehr viel, jetzt lange nichts mehr von Ihnen gehört. Warum?
Das stimmt nicht ganz, ich habe schon noch ein paar Interviews gegeben. Aber ich hatte irgendwann alles gesagt auf die meist immer gleichen Fragen. Und ich habe auch sehr bald gesehen, dass weniger meine Aussagen zählten, sondern dass das, was ich sagte, erst interpretiert wurde, bevor es in der Zeitung landete. Und immer wieder ging es ums Kopftuch.
Sie sind nun einmal die, die zum ersten Mal einen Prozess ums Kopftuch geführt hat. Was haben Sie dagegen, wenn es darum geht?
Dass das, was ich sagte, gezielt auf das Kopftuch reduziert wurde. Dabei gibt es dazu eigentlich gar nicht so viel zu sagen. Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten, es zu leben und zu interpretieren. Wesentlich ist aber, dass eine Frau es selbstbestimmt trägt. Von mir hieß es immer: Sie kämpft für das Kopftuch.
Ist das denn falsch?
Ich habe nicht für das Kopftuch gekämpft, sondern für das Recht auf Selbstbestimmung. Ich habe mich für mein Recht auf ein Berufsleben eingesetzt, dafür dass ich in meinem Beruf arbeiten kann, ohne dass meine Religion oder gar meine Kleidung mich davon ausschließen.
War Ihr Rückzug Enttäuschung darüber, dass das nicht ankam?
Diese gewisse Einseitigkeit der Berichterstattung, ja, das war es auch. Aber ich wollte irgendwann auch mein Leben leben. Ich war mehrere Jahre lang alleinerziehend, ich musste und wollte arbeiten und mich um meine beiden Kinder kümmern.
Sie sind sehr bald nach der Entscheidung der damaligen baden-württembergischen Kultusministerin Annette Schavan nach Berlin gezogen und haben eine Stelle an einer muslimischen Grundschule angenommen.
Ich habe immer gearbeitet, nur von der Mutterschutzfrist unterbrochen. Ich kann mir ein Leben ohne Beruf gar nicht vorstellen – vermutlich das Erbe meiner Mutter, die uns nach dem Tod meines Vaters allein durchgebracht hat. Für mich ist arbeiten auch, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Damit will ich keiner Frau zu nahe treten, die das für sich anders entscheidet. Aber ich habe immer versucht, beides zu vereinbaren, Kinder zu haben und berufstätig zu sein.
Und der Vater Ihrer Kinder und Ihr jetziger Mann haben mitgezogen?
Meine Partner haben mich nie daran gehindert. Oder sagen wir (sie lacht): Ich habe mir Männer ausgesucht, die das nicht getan haben.
Ist Ihr Mann Ihretwegen nach Berlin umgezogen, nachdem Sie in Baden-Württemberg nicht Lehrerin werden durften?
Wir hatten das Glück, beide in Berlin eine Stelle zu bekommen, er eine volle, ich habe reduziert, weil unser Kind damals noch sehr klein war. Ich wollte nicht sofort Vollzeit arbeiten, aber auch nicht im Beruf zurückstecken. Zweieinhalb Jahre danach haben wir uns getrennt.
Hatte das mit Ihrem Prozess zu tun?
Nein, das war nicht der entscheidende Grund. Aber es ist klar, dass so ein Prozess für jede Ehe eine sehr große Belastung gewesen wäre.
Ihre Klage hat die Kopftuchgesetze der Länder erst ausgelöst. Damit ist das Kopftuchverbot flächendeckend durchgesetzt worden – was Sie nicht wollen konnten. Hätten Sie geklagt, wenn Sie dieses Ende geahnt hätten?
Ich bereue meine Entscheidung von damals nicht. Ich war einfach mit sehr starken Vorurteilen und Misstrauen konfrontiert, man warf mir vor, ich wolle in der Schule missionieren. Das konnte ich so nicht stehen lassen, dagegen muss man, finde ich, juristisch vorgehen. Das ist das Recht jeder Bürgerin, jedes Bürgers. Und es hat mich wie ein Hammer getroffen, dass man mir dieses Motiv nicht glaubte, sondern die Wahrnehmung dieses Rechts so ausgelegt wurde, als sei das nur vorgeschoben. Es war aber gar nicht meine Absicht, diese Debatte auszulösen. Und sie hat auch nicht mit mir angefangen.
Was meinen Sie?
Es fing an mit dem Antrag der Republikaner im Landtag von Baden-Württemberg, der darauf abzielte, das Kopftuch überhaupt zu verbieten. Eine Anti-Kopftuch-Debatte begann. Damals war ich noch Referendarin. Der Antrag wurde abgelehnt, aber was durchkam, war ein Verbot des Kopftuchs an Schulen. Nur die Grünen haben dagegen gestimmt, aber auch sie haben den Widerstand später nicht durchgehalten.
Wie haben Ihre Schülerinnen und Schüler denn auf Ihr Kopftuch reagiert?
Mit ihnen gab es nie Probleme. Sie waren neugierig und haben gefragt. Kinder sind unbefangen und haben weniger Vorurteile. Ihnen kommt es auf die menschlichen Qualitäten ihrer Lehrer an, ob sie guten Unterricht machen – das war durchweg meine Erfahrung. Probleme hatte ich mit Erwachsenen, die Bilder auf mich projizierten, vor denen ich selbst Angst hatte. Islamismus, Scharia – was mir da zugeschoben wurde, das war ich nicht. Ich bin keine Fundamentalistin, ich hatte kein politisches Programm. Ich wollte Lehrerin werden und Kindern Toleranz vermitteln. Ebenso wenig wie ich eine Afghanin bin, als die ich oft bezeichnet wurde. „Ihr Land“ hieß es, oder „Die möchte ihre Regeln von dort hier einführen“. Meine Regeln! Ich habe schließlich Saudi-Arabien verlassen, weil ich dort nicht frei leben konnte! Ich sehe mich als Deutsche. Ich weiß, dass hier auch Afghanen leben, die die Hoffnung auf Rückkehr haben, aber das gilt für mich nicht. Ich bin hier groß geworden und sozialisiert, Deutschland ist meine Heimat.
Und diese Heimat, meinen Sie, sieht Sie ihrerseits zu wenig als Deutsche?
In bin oft in Amerika und erlebe, wie Leute mit asiatischen, europäischen, afrikanischen Wurzeln von sich sagen: Ich bin Amerikaner. Das Gefühl hätte ich auch gern.
Sie sprachen von der Akzeptanz durch die Kinder, die Sie unterrichteten. Gab es mit dem Kopftuch denn Probleme im Lehrerzimmer?
Nein, das waren eher die behördliche Seite und die Politik. Frau Schavan hat seinerzeit für uns Muslime festgelegt, was das Kopftuch zu bedeuten hat. Dabei gibt es auch innerislamisch eine sehr große Bandbreite der Meinungen dazu. Und ich konnte damals mit meinen 25 Jahren schon nicht verstehen, dass jemand für mich und so viele andere Frauen festlegt, was mein Kopftuch zu bedeuten hat.
Die Festlegung war, …
… dass die Kopfbedeckung nicht konform mit westlichen Werten ist, dass es für Antidemokratisches steht. Als wäre Selbstbestimmung kein westlicher Wert. Ich habe mich damals gefragt: Wo bleibt da meine Selbstbestimmung? Ich hatte mich freiwillig für das Kopftuch entschieden; die Forderung, es abzulegen, hat mich in einen schweren Gewissenskonflikt gestürzt. Das alles hat man mir abgesprochen. Und dass diese Festlegung der angeblichen Bedeutung des Tuchs zudem von der Spitze des Kultusministeriums kam, war hochproblematisch. Das hat eine Kettenreaktion ausgelöst, fatalerweise nicht nur bei den Schulbehörden. Sehr bald bekamen auch Krankenschwestern, Arzthelferinnen, sogar Putzfrauen, die es trugen, Schwierigkeiten.
Dass man bei Ihnen eine politische Agenda vermutete, hatte auch damit zu tun, dass das Verfahren von einem der muslimischen Verbände bezahlt wurde.
Ich wäre glücklich gewesen, hätte meine Gewerkschaft mich da unterstützt, ein Berufsverband. Die haben aber alle abgelehnt. Und die Kosten selbst zu tragen, das konnte ich mir nicht leisten. Dann hat mir der Zentralrat der Muslime zugesagt, das aus seinen Mitteln zu finanzieren. Wen hätte ich sonst fragen sollen?
Eine große Rolle spielte Neutralität in der Debatte. Kann eine Lehrerin neutral sein, die ihre Religion durch ihre Kleidung präsent macht?
Neutral ist man meiner Meinung nach dann, wenn man niemanden benachteiligt. Wenn man nicht parteiisch ist. Ich käme nie auf die Idee, einem Hindu mit Turban oder einem Juden mit Kippa die Lehrfähigkeit, die Neutralität abzusprechen. Ist es denn neutral, kein Kopftuch zu tragen?
Würden Sie den Instanzenweg heute wieder gehen, in einer ähnlichen Situation?
Ich bin froh, dass ich damals den Elan und die Kraft dazu hatte. Ob ich es heute wieder täte: Tja, man wird älter und gemütlicher. Ich bin froh, dass mir das alles damals passierte. Es hat viel Positives in mir ausgelöst und mich stärker gemacht.
Trotz dieses Ausgangs?
Der Ausgang war ja in Ordnung, Ich habe das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht im Grundsatz gewonnen. Was die Länder dann aus diesem Urteil gemacht haben, ist eine andere Sache. Es genügt, die nicht wenigen internationalen Menschenrechtsberichte zu lesen, in denen steht, dass diese Gesetze Frauen diskriminieren.
Ist das Ihre Erfahrung?
Auch mein Leben wäre anders verlaufen, wenn ich mich von Anfang an hätte akzeptiert fühlen können. Wer sich - nicht nur von Einzelnen, sondern institutionell - diskriminiert fühlt, kann sich weniger gut entfalten. Ich habe dadurch verloren, materiell und ideell. Aber das geht Hunderten so, Tausenden. Dagegen müsste sich die Politik einsetzen.
Konkret haben Sie bis heute keine Anstellung an einer staatlichen Schule, Sie arbeiten an einer muslimischen Grundschule. Würden Sie das gern ändern?
Die Möglichkeit hätte ich gern, das heißt aber nicht, dass ich meine Stelle wechseln würde.
Wie würden Sie den Fall Fereshta Ludin politisch bilanzieren?
Was sich damals abgespielt hat, war klar islamophob, Das sage ich rückblickend, das Wort gab es damals praktisch noch nicht. Die Anti-Kopftuchdebatte am Beispiel meines Falles und was danach kam, hat diesem Land geschadet, nach außen, aber auch dem Zusammenleben der Menschen hier. Ich habe – anders als damals, als noch viel deutlich jüngere Frau - inzwischen sogar Verständnis dafür entwickelt. Wer etwas nicht kennt, muss davor Angst haben. Das ändert aber nichts daran, dass man gegen die Angst angehen muss. Ich selbst bin mit Vielfalt aufgewachsen, als Kind in Afghanistan und Deutschland, später in Saudi-Arabien. Die Haltung „Dies sind unsere Werte und nur die haben Geltung“ ist aus meiner Sicht nicht modern. Modern ist es, den Blick zu weiten und daran zu arbeiten, wie man trotz großer Unterschiede friedlich miteinander auskommt. Wissen Sie, alles kann eine Gefahr sein, wenn man es so sehen will. Aber man muss über Fakten reden, nicht über eingebildete Gefahren.
Sie klingen gerade pessimistisch.
Das bin ich ganz und gar nicht. Ich habe absolut Hoffnung, dass sich unsere Gesellschaft positiv entwickeln wird. Ich bin weder wütend noch verbittert. Ich habe viel Solidarität bekommen, im Alltag, von Kollegen. Und ich hoffe, dass Muslime stärker am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, und dass sie sich nicht aus Verbitterung oder Bequemlichkeit in Ghettos zurückziehen. Da denke ich besonders an die Frauen. Aber sie sollten bitte auch angenommen werden. Im übrigen sind die blinden Flecken im Umgang mit Verschiedenheit auch nicht spezifisch deutsch, das gibt es überall. Aber wir sind hier in Deutschland und müssen also über uns selbst sprechen.
Sind Sie noch engagiert?
Nach all den Jahren hätte ich gern die Kraft aufgebracht, Frauen zu unterstützen, denen es geht wie mir damals. Die habe ich aber nicht – ausgenommen für die, die sich direkt an mich wenden. Für Interkulturalität engagiere ich mich weiter, im letzen Jahr haben zwei Kolleginnen, eine evangelische und katholische Religionslehrerin, und ich für ein Dialog-Projekt mit unseren Klassen, das über zwei Jahre lief, einen Integrationspreis gewonnen. Seit vielen Jahren arbeite ich in der Werkstatt der Religionen und Weltanschauungen mit. Heute scheint mir die Förderung eines interkulturellen und interreligiösen Lebens in unserer Gesellschaft wichtiger denn je. Im Rahmen verschiedener Projekte versuche ich, sie mitzugestalten.
Der Kopftuchstreit geht unterdessen weiter, nur mit weniger öffentlichem Echo. Zwei Verfahren sind seit drei Jahren in Karlsruhe anhängig und bisher nicht entschieden. Auch die Grüne Schulministerin in Nordrhein-Westfalen und ihre für Integration zuständige Kollegin in Baden-Württembergs rotgrüner Regierung lassen lieber die Finger von den Landeskopftuchgesetzen.
Ich glaube, es fehlt an Mut und an klaren Solidaritätsbekundungen mit diskriminierten Minderheiten bei uns. Es braucht aber auch Zeit, bis die Dinge gereift sind. Lieber eine weise Entscheidung als so wie damals in meinem Fall ein Hopplahopp-Verfahren, das eine Menschengruppe diskriminiert und aus ganzen Berufszweigen ausgrenzt. Die Zeit ist ja auch schon etwas gereift. Vor 15 Jahren wurde mit Verblüffung registriert, dass eine muslimische Frau Lehrerin werden wollte. Für wie blöd hat man uns eigentlich gehalten? Eine Familie wie die, aus der ich stamme, passte nicht ins Bild des Muslims: Meine Eltern achteten darauf, Jungen und Mädchen gleich zu behandeln. Wir wurden alle emanzipiert erzogen. Der Gang vor Gericht war deshalb selbstverständlich für mich. Ich wollte sehr gern Lehrerin werden und ich wehrte mich gegen ein Berufsverbot.
Und Heimweh nach dem Südwesten – haben Sie das noch? Als der Tagesspiegel Sie vor 14 Jahren traf, kurz nach Ihrem Umzug nach Berlin, sagten Sie, Sie wollten zurück, Schwäbisch-Gmünd sei Ihre Heimat. Ist das noch so?
Kürzlich waren meine Ex-Schwiegereltern bei mir zu Besuch, beide sind Schwaben. Das war ein schönes Gefühl, mit ihnen ein Stück Heimat hier zu haben. Ich will demnächst auch wieder eine Tour dorthin machen. Nach dieser Gegend sehne ich mich immer wieder. Aber Berlin ist auch eine Heimat für mich geworden. Es lebt sich lockerer hier, man kommt leichter ins Gespräch. Und ich mag es, wenn ich beim Laufen oder Radfahren so viele Sprachen höre, außer Deutsch Türkisch, Spanisch, Englisch, Arabisch. Auch zu beten finde ich hier schöner. In Schwäbisch-Gmünd gibt es wenige Moscheen, hier kann ich mich unter vielen entscheiden und besuche immer einmal wieder eine andere. Für mich ist Berlin die Stadt in Deutschland. Wenn ich mein Berufsverbot einmal ausblende: Ich fühle mich sehr frei hier.
Andrea Dernbach