Viel mehr als Spielzeug: Museumsbesuche und Homeschooling über Virtual Reality
Digitale Räume ermöglichen inzwischen Unterricht, Museumsbesuche und Konferenzen. Dabei braucht man auch gar nicht immer teure VR-Brillen.
„Darf ich Sie herumführen?“, fragt ein orange-weißer Pandabär. Minuten später fliegen diverse Roboter, ein kleiner Junge, ein Fuchs und ein Krokodil durch den Raum. Sie erkunden eine neue Welt. Es sind Journalistinnen und Journalisten auf einer virtuellen Pressekonferenz. Vorne steht ein Pult. Aus einem schmalen Gang neben der Bühne kommt eine junge Frau, es ist die bayerische Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) oder genauer gesagt ihr virtuelles Abbild.
Die Gäste nehmen über Virtual-Reality-Brillen an diesem digitalen Termin teil. Niemand sieht sich in echt. Aber die digitalen Figuren zeigen sogar Handbewegungen und die Lippen bewegen sich ebenfalls, wenn Teilnehmer sprechen. Treffen, die durch Corona derzeit nicht stattfinden können, können so digital simuliert werden.
Virtuelle Räume fühlen sich realer an
„Virtuelle Realitäten haben in diesem Jahr einen Schub bekommen“, sagt Silke Schmidt. Sie leitet den XR Hub Bavaria, der im vergangenen Jahr vom Freistaat Bayern ins Leben gerufen wurde. XR steht für Cross Reality. Die Virtual Reality (VR) mit ihren computergenerierten Räumen ist ein Teil davon. „Es hat eine Weile gedauert, bis wir das Thema aus der Gaming-Ecke herausbekommen haben und ernst genommen wurden“, sagt Schmidt. Die Anwendungspotenziale von XR sind riesig – besonders in Zeiten leergefegter Büros und Konferenzräume.
Treffen in virtuellen Räumen fühlen sich für die Teilnehmenden realer an. Die meisten Systeme sind etwa so konzipiert, dass man sich lauter hört, wenn sich die Figuren (Avatare) näherkommen. Das schafft digitale Interaktionsformen, die in klassischen Telefon- oder Videokonferenzen nicht möglich sind. „Man kann von Gruppe zu Gruppe gehen, mal da zuhören oder sich mal dort einbringen“, sagt Schmidt.
Keine VR-Brillen notwendig
Und dafür braucht es auch gar nicht immer teure VR-Brillen: Die VR-Plattform „Mozilla Hubs“ läuft ganz einfach über den Internet-Browser, jede und jeder kann für virtuelle Treffen über den Laptop oder andere Endgeräte einsteigen. Brillen sind nicht zwingend nötig, navigiert werden kann auch mit Maus und Tastatur. Nutzer bewegen ihre Avatare mit den Pfeil-Tasten durch den Raum. Sprechen können sie wie in einer Videokonferenz über die Mikrofone ihrer Endgeräte.
Der XR Hub Bavaria hat schon einige Räume erstellen lassen. Einer davon ist etwa als Lernraum für Schulen gedacht. „Dort können sich Klassen als Ganzes treffen, Gruppenarbeit machen und deren Ergebnisse präsentieren“, sagt Schmidt. Interessierte Schulen können sich nun melden, erhalten einen privaten Link und können die Räume dann jeweils einzeln nutzen.
Unerschöpfliche Möglichkeiten
Die Kombination von XR und Homeschooling stünde gerade erst am Anfang. Die Möglichkeiten seien aber „unerschöpflich“. Nutzer können etwa Gegenstände im Raum anpinnen, mit Stiften an die Wände malen, 3D-Objekte erschaffen, innerhalb der Computerumgebung eine klassische Videokonferenz starten, Videos abspielen oder den eigenen Bildschirm teilen.
Auch in der Verwaltung gibt es Anwendungsfelder. Im Februar eröffnete die nordrhein-westfälische Stadt Soest ein nagelneues Stadtlabor, in dem Fragen der Smart City und digitaler Verwaltung gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern und den Beschäftigten der Stadtverwaltung diskutiert werden sollen – dann kam Corona. „Wir hatten gerade mal einen Monat geöffnet und mussten dann überlegen, wie wir mit der Situation umgehen“, erzählt Elisabeth Söllner, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Labor.
Datenfluss höher als bei Videokonferenzen
Im Internet sei man auf Mozilla Hubs gestoßen und begann kurzerhand das Stadtlabor zu digitalisieren. So konnte der Betrieb im Stadtlabor trotz Coronaeinschränkungen zumindest digital weiterlaufen. Nutzer können jederzeit die virtuellen Räume betreten, sich dort austauschen und aktuelle Ausstellungen ansehen. Als Nachteil von virtuellen Räumen sieht Söllner aktuell noch, dass der Datenfluss höher sein könne als bei klassischen Videokonferenzen. Eine gute Internetverbindung und nicht zu alte Geräte „machen das Erlebnis virtueller Räume besser“, sagt Söllner.
In anderen Bereichen ist XR schon länger im Einsatz. In der Medizin helfen virtuelle Realitäten Chirurginnen und Chirurgen etwa Operationen möglichst realitätsnahe zu simulieren. Auch viele Museen setzen weltweit auf virtuelle Realitäten. So können Besucherinnen und Besucher Meisterwerke wie Leonardo Da Vincis Mona Lisa einmal ganz alleine und aus nächster Nähe betrachten oder durch den Sainsbury-Flügel der National Gallery in London spazieren.
Der nächste Schritt, damit XR in noch größere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens vordringt, sagt die bayerische Expertin Schmidt, wären neue Endgeräte. „Ein entscheidender Faktor wird sein, wann große Tech-Unternehmen wie Apple massentaugliche Brillen auf den Markt bringen. Das wird aus meiner Sicht der Durchbruch.“ Experten rechnen mit entsprechenden Ankündigungen von Apple innerhalb der kommenden 24 Monate.