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Benigna Munsi wird als Nürnberger Christkindl den Christkindlmarkt der Stadt eröffnen.
© dpa/Daniel Karmann

Der alte neue Rassismus: Munsi, Koné und die anderen Deutschen

Was Leute sagen, die meinen, man dürfe nichts mehr sagen, richtet sich oft gegen Menschen mit einem Migrationshintergrund. Was traurige Tradition hat. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Gerd Appenzeller

Zwei Meldungen über zwei 17-Jährige aus dem Tagesspiegel vom Wochenende: In Nürnberg wurde Benigna Munsi, dort geboren, zur Christkinddarstellerin gewählt. Die Tochter einer Deutschen und eines Inders machte vor Freude einen Riesensprung. Der AfD-Kreisverband München Land postete das Bild der fröhlichen Benigna und schrieb weinerlich: „Nürnberg hat ein neues Christkind. Eines Tages wird es uns wie den Indianern gehen.“

Bei einem Trainingslager im brandenburgischen Kienbaum soll Judo-Trainer Frank Möller, olympischer Bronzemedaillengewinner, das Nachwuchstalent Losseni Koné erst mit der Bemerkung „Schnauze, Bimbo“ verbal und hinterher körperlich angerempelt haben. Ein Sportkamerad musste dazwischen gehen. Losseni Koné, deutscher Staatsbürger, hat afrikanische Wurzeln.

Was haben die beiden Entgleisungen gemeinsam? Die Dummheit, sowohl die der Münchner AfD als auch die des Judo-Trainers, sollte sich der Vorgang so zugetragen haben. Nur neben sei zudem angemerkt: dass das Christkind des Lukas-Evangeliums blond war und blaue Augen hatte, ist doch recht unwahrscheinlich. Und Bimbo ist eines der abgeschmacktesten Schimpfwörter für Menschen mit dunkler Hautfarbe. Aber dass beides im Deutschland des Jahres 2019 möglich ist, sagt nicht nur über den begrenzten Verstand der Verwender etwas aus, sondern auch über den Zustand des Landes.

Flüchtlinge waren hier nie willkommen

Beide, die AfD und der Judo-Trainer, strafen die weinerliche Klage der politischen Rechten Lüge, man dürfe in diesem Deutschland nicht mehr alles sagen. Zutreffender ist leider, dass viele Menschen heute, unter dem Schutzmantel des anonymisierenden Internets und politisch protegiert von Parteien wie eben dieser AfD und vermeintlichen Graswurzelbewegungen wie Pegida, wieder und oft ungestraft völkische Vorurteile pflegen und an längst überholt geglaubte Herrenmenschendiktionen anknüpfen wollen. Und dies mit dem unschuldigen Gesichtsausdruck desjenigen, der doch nur sagt, was jeder gute Deutsche denkt: nämlich, wie Deutschsein sich anhört, anfühlt, aussieht.

Die alte Bundesrepublik hat die größte Einwanderungswelle nach 1945 erlebt, nur hat das damals niemand so genannt. Es waren fast 14 Millionen Menschen, die vor der Roten Armee nach Westdeutschland flüchteten. Sie waren nicht willkommen bei ihren eigenen Landsleuten. Wer noch Großeltern hat, frage sie mal danach. Die Missachtung, auf die sie stießen, war kaum geringer als jene, mit der die bundesrepublikanischen Deutschen in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Arbeiter erst aus Italien, dann aus Spanien, Griechenland und der Türkei zwar holten, jedoch nicht willkommen hießen. Aber gebraucht wurden sie nun mal, für den Auf- und Ausbau des Wirtschaftswunders. Man muss nicht den Satz von Heinrich Böll aus dem Jahre 1974 bemühen, dass die Deutschen damals ganz erstaunt feststellten, dass sie nur Arbeitskräfte gerufen hatten und – was für ein Schock! – mit Menschen konfrontiert wurden.

Ausländer? Möglichst nur, wenn sie nützlich sind

An dieser Negation der Realität hat sich leider nicht genug geändert. Wir haben uns seit damals angewöhnt, in einem fast schon elitären ethnischen Selbstbewusstsein Zuwanderung aus anderen Regionen der Welt unter reinen Nützlichkeitserwägungen zu betrachten. Flüchtlinge? Ja, klar, aber bitte mit Doktortitel. Gerade war Gesundheitsminister Jens Spahn auf dem Balkan, um Pflegekräfte aus Albanien und dem Kosovo anzuwerben. Wir brauchen dringend welche. Wir schätzen Ausländer, wenn sie uns im Alter im Pflegeheim zu Diensten sind, wenn sie uns zur Hand gehen, wo immer es keine deutsche Hand gibt. Dabei sind wir ja keine Einwanderungsgesellschaft, wie uns die CDU bis zur Jahrtausendwende versucht hat, vorzugaukeln.

Heute überwölben Parteien wie die AfD die von ihnen geschürte Angst vor Flüchtlingen mit völkischen und fremdenfeindlichen Parolen, wie Alt-Bundespräsident Joachim Gauck gerade im Tagesspiegel konstatierte. Die Deutschen müssen sehr aufpassen, dass sie in dieser Überheblichkeit nicht wieder Rattenfängern nachlaufen. Nicht nur Benigna und Losseni fürchten sich davor. Die Erinnerung an 1933 bis 1945 lebt, überall in Europa.

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