Nach dem Amoklauf: München spürt die Leere
München ist am Tag nach dem Amoklauf mit insgesamt zehn Toten eine andere Stadt. Nur eines ist geblieben – der Zusammenhalt der Menschen.
Das Hofbräuhaus hat geschlossen an diesem Samstagvormittag um elf Uhr. "It’s closed?", fragt ein US-Urlauber fassungslos, der auf dem Platz vor der verschlossenen Eingangstür aus dunklem Holz steht. Wann hat es das je gegeben, dass diese touristische Kultstätte nicht um neun, sondern erst um zwölf Uhr öffnet? Am Tag nach dem Amoklauf, bei dem neun meist junge Menschen von einem, wie man jetzt weiß, 18-jährigen Deutsch-Iraner namens David S. erschossen wurden. Weite Teile der Nacht hat die Stadt in einer Art Schockpanik verbracht.
"Die räumen drinnen erst einmal alles auf", sagt Konstantin Mötter, ein junger Mann, der in dem Laden beim Hofbräuhaus Souvenirs verkauft. "Es gab eine Massenpanik, die Leute dachten, dass hier auch bald einer schießt oder eine Bombe wirft." Die Kapelle spielte nicht mehr, mit Bierkrügen haben die Menschen die Scheiben von drinnen eingeschlagen, um rauszukommen und zu fliehen – irgendwie, irgendwohin. Zahlreiche Fenster der Schwemme, wie der große Schankraum genannt wird, sind nun mit Spanplatten zugesperrt. Teile des Mobiliars wurden verwüstet. Zu Dutzenden haben Besucher, die noch gar nicht in ihren Hotels waren, die Koffer liegengelassen. Die sind nun im Hofbräuhaus gestapelt.
Viel weniger Menschen sind an diesem Samstag in der Innenstadt
Viel weniger Menschen als sonst sind an diesem Samstag in der Münchner Innenstadt. Die U-Bahnen sind ziemlich leer, an der U 3 wird der Hinweis angezeigt, dass die Polizei die Station Olympia-Einkaufszentrum gesperrt hat und die Züge dort nicht halten. An einem Imbissstand in der Orlandostraße in der City, in der Haupt-Touristenmeile mit FC-Bayern-Fanshop und Hard-Rock-Café, sagt eine Verkäuferin: "Wenn ich nicht arbeiten müsste, wäre ich heute auch daheimgeblieben."
Es war wohl kein islamistisch motivierter Terrorakt, sagt Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä auf einer Pressekonferenz. David S. handelte allein, es gab keine Komplizen. Er hat sich zweifellos selbst in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums (OEZ) erschossen. Der Schüler hatte auch nach Angaben des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) erhebliche psychische Probleme, es werden Depressionen vermutet, er soll in psychologischer Behandlung gewesen sein. Und: Der in München aufgewachsene hat sich intensiv mit dem Thema Amoklauf beschäftigt, war wohl fasziniert davon, wie die Durchsuchung seines Zimmers ergab. So wurde ein Buch gefunden mit dem Titel: "Warum Schüler töten". Und: Der Freitag war der fünfte Jahrestag der Anschläge von Norwegen, bei denen 77 Menschen getötet worden waren.
Menschen konnten im Luxus-Hotel Schutz suchen
Axel Ludwig scheint schon wieder in tadelloser Verfassung zu sein, trägt Anzug und Krawatte, als er um 11.30 Uhr in die Lobby des Luxus-Hotels Vier Jahreszeiten kommt. Dieses liegt an der Maximilianstraße, Münchens teuerster Gegend. "Alle Mitarbeiter sind gekommen", erzählt er. "Wir haben eine Art Krisenstab abgehalten, wollten uns auf alles vorbereiten. Wir hätten ja selbst Ziel eines Anschlags werden können." Das Vier Jahreszeiten war, wie viele andere Orte auch, im Internet an der Aktion "offene Tür" beteiligt. Jeder konnte in diesen Stunden der Terrorangst dort Schutz suchen.
"An die 300 Leute waren hier", sagt Ludwig. "Sie saßen im Foyer, lagen auf dem Boden, kauerten auf der Treppe." Die Mitarbeiter verteilten Kopfkissen und Decken. Die Tagungsräume wurden zu Bettenlagern umgebaut, wo Ältere und Familien mit kleinen Kindern sich hinlegen konnten. Auch freie Zimmer wurden zu günstigen Preisen belegt. Den hinteren Teil des Hotels hat die eigene Security "abgeriegelt", während vorne offen war und Axel Ludwig fast die ganze Zeit am Vorplatz stand und die verängstigten Menschen hereinbat. Was tun, wenn dann einer herumschießt? Ludwigs Antwort zeigt auch die Hilflosigkeit, die eine solche Situation mit sich bringen muss: "Wir hätten sofort alle Lichter ausgemacht."
Das "Bierfestival" mit 110 Brauereien aus ganz Bayern wurde abgesagt.
"Der Zusammenhalt ist ganz toll gewesen", sagt der Hoteldirektor. Das Hotel verteilte "Nervennahrung" – Getränke und Süßigkeiten. Ein Psychologe unter den Gästen bot seine Hilfe an. Ein anderer Gast fuhr mit seinem Privat-Pkw Menschen nonstop nach Hause, manchmal 40, 50 Kilometer weit. Gegen 21.30 Uhr kamen Teile des Opernpublikums vom nahen Max-Joseph-Platz. Denn die Oper hat durchgespielt, zweieinhalb Stunden lang gab es den "Fliegenden Holländer". Alle Mitarbeiter sind in dem Hotel bis gegen 2.30 Uhr nachts geblieben – bis dann endlich klar war, dass wohl keine Gefahr mehr droht.
Am Odeonsplatz werden die vielen weißen Stände des "Bierfestivals" abgebaut. Brauereimitarbeiter tragen Bierkästen und -fässer, Holzbänke, Tische in ihre Lkw. Die Privatbrauerei Schnitzlbaumer aus dem Chiemgau, Maxlrainer oder Bamberger Kaiserdom sind da. Drei Tage lang wollte München prächtig das 500-jährige Jubiläum des deutschen Reinheitsgebotes feiern. Doch das Fest mit 110 Brauereien aus ganz Bayern wurde abgesagt. "Dabei hat das am Freitag so gemütlich angefangen", sagt Gerhard Geier, "es herrschte gute Laune und die Stimmung wurde immer besser." Geier ist Vorstand von Lang-Bräu, einer kleinen Traditionsbrauerei aus Freyung im Bayerischen Wald. Das Bierfest endete jäh. "Wir mussten um 21.30 Uhr zusperren. Dann wurden die Mitarbeiter ins nahe gelegene Landwirtschaftsministerium gebracht. Dort warteten sie, drinnen und draußen. Um 22 Uhr konnten sie gehen, aber nur Richtung Norden nach Schwabing, die Innenstadt blieb abgesperrt.
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