Nach dem Amoklauf in München: Die Kanzlerin fehlte
Alle spendeten spontan Trost - Obama, Hollande, Juncker. Von der Kanzlerin war erst 17 Stunden nach dem US-Präsidenten etwas zu hören. Doch Schweigen zeugt nicht von Empathie. Ein Kommentar
Das tragische Geschehen in München mit vielen Toten ist noch nicht zu Ende, da bekundet der amerikanische Präsident Barack Obama schon sein Mitgefühl und seine Bereitschaft zur Unterstützung. Und noch in den schwierigen, aufwühlenden Stunden äußert sich der französische Staatspräsident Francois Hollande mit Zuspruch, bekundet Russlands Präsident Wladimir Putin der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten sein Beileid. Am Vormittag des folgenden Tages twittert EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: „Unsere Gedanken sind bei den Opfern in #München, ihren Familien & Polizeikräften, die ihr Leben riskierten für eine friedliche Gesellschaft.“
Und die Kanzlerin? In der Nacht, am Morgen, bis Mittag kein einziges Wort von Angela Merkel, keine kurze Erklärung des Inhalts: „Angesichts der albtraumhaften Nachrichten bin ich in Gedanken bei den Angehörigen der Opfer und den Menschen in Angst.“ Ein Tweet, und er hätte das Gefühl der Anteilnahme hervorrufen können. Ein Statement von Merkel wurde für 14 Uhr 30 angekündigt – 17 Stunden nach Obama.
Und wäre es auch so, dass Merkel dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, diesem schwierigen Partner, nicht in die Parade fahren wollte – das wäre so überkomplex, wie es in dieser Sache nicht sein darf. Denn es ist keine bloße Sache, die wir hier verhandeln. Nicht allein Papier zählt, sondern Herz. Es geht um den Wert der Empathie.
Zusammengehörigkeit ist ein Gefühl, keine Verordnung. Sie kann Berge versetzen, Trost spenden, Gemeinschaft stiften. In großen Herausforderungen, in „Lagen“, erst recht für ein Land, kommt ihr Wesen zum Tragen. Da geht es nicht nur um Kalkül oder Kalkulation, da zählt zumal Sensibilität. Und hilft Intuition. Eine Kanzlerin ist ja nicht nur Institution.
Die Schwingungen zu registrieren, reicht nicht
Die Kraftlinien eines Landes sollten ihr Handeln durchziehen. Aber auch die Schwingungen einer Gesellschaft – erst recht einer verunsicherten – müssen von denen aufgenommen werden, denen das Wohl des Gemeinwesens anvertraut ist. Des Gemeinwesens, wohlgemerkt. Darum heißt es so. Die Schwingungen zu registrieren, reicht nicht. Das Kanzleramt lebt nicht von Buchhalterei.
Schweigen zeugt nicht von Empathie, Schweigen schafft keine Sicherheit. Zumal der Wert der Empathie gelungene Kommunikation bestimmt. Die lässt sich sogar wissenschaftlich fassen, für die, die es wie die Kanzlerin mit der Wissenschaft haben. Die Formel für gelungene Kommunikation lautet: „Echtheit x Empathie x Wertschätzung“. Ein europaweit gerühmter Coach für Führungsverhalten lehrt dazu „4 x M“, hieran lasse sich alles ablesen: Man muss Menschen mögen.
In München standen in diesen tragischen Stunden die Menschen zusammen, in jeder Hinsicht. Durchs Land ging eine Welle der Solidarität und Zusammengehörigkeit. Und deshalb fiel sie umso mehr auf, die eine Erklärung, die fehlte. Kein gutes Gefühl.