Wer war der Amokschütze?: David S. hat seine Tat ein Jahr lang geplant
David S. ist in München geboren und aufgewachsen. Er war depressiv, seine Mitschüler mobbten ihn. Dann wurde der 18-Jährige zum Mörder.
Im Zimmer von David S. fand sich keine Fahne des IS, kein Bekenntnis zum Heiligen Krieg. Der entscheidende Hinweis zum Motiv des 18-Jährigen ist ein Buch: Als die Beamten der GSG 9 die elterliche Wohnung stürmten, entdeckten sie ein Exemplar von „Amok im Kopf – warum Schüler töten“. Neben dem Fachbuch, das sich mit Schulmassakern in den USA beschäftigt, fanden die Beamten mehrere Zeitungsartikel zum selben Thema. „Er hat sich intensiv mit dem Thema Amok beschäftigt“, sagte Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä über den Täter.
Und er hat seine Tat exakt auf den fünften Jahrestag des dutzendfachen Mordes durch den Rechtsextremisten und Amokläufer Anders Breivik in Norwegen gelegt. Absicht? Zufall? Wohl kaum. Noch immer ist vieles Spekulation, doch langsam bekommt die Persönlichkeit des Münchner Täters Konturen.
David S. war noch bis Juni 2016 in psychologischer Behandlung. Es wurden Medikamente und ärztliche Behandlungsunterlagen gefunden, die auf Angststörungen hindeuten, informiert das Landeskriminalamt Bayern. David S. habe sich bereits in ambulanter und stationärer Behandlung befunden.
David S. hat seine Tat ein Jahr lang geplant
Zur Verbindung mit dem Massaker auf der norwegischen Ferien-Insel Uttoya sagte Polizeipräsident Andrä nur: „Er hat sich so intensiv mit dem Thema Amok befasst, da kommt man beinahe zwangsläufig auf Breivik.“ Das Alter der Opfer und der Zeitpunkt sprechen dafür. Breivik hatte am 22. Juli 2011 insgesamt 77 Menschen umgebracht. Die Information, man habe bei David S. das Manifest von Breivik gefunden, musste wieder dementiert werden. Vielmehr habe David S. selbst ein Manifest verfasst, in welchem er sich mit seiner Tat beschäftigt hatte. Vergangenes Jahr habe er Winnenden besucht, wie Fotos seiner Digitalkamera beweisen.
Die bisherige Sichtung der EDV-Daten habe ergeben, dass David S. seine Tat seit Sommer vergangenen Jahres geplant hatte.
David S. ist in München geboren und aufgewachsen. Er war Schüler - die Mittlere Schule hatte er abgeschlossen und gerade eine FOS besucht - und lebte zusammen mit seinem Bruder bei den Eltern in der Maxvorstadt. Ein bürgerliches Viertel, kein sozialer Brennpunkt. Bei der Polizei war er bisher nur als Opfer bekannt. Er geriet 2010 in eine Schlägerei, 2012 wurde er beklaut, Bagatellen, die Verfahren wurden eingestellt.
Er wollte Rache
Doch es war offenbar kein Zufall, dass David S. vor allem junge Menschen getötet hat. Der Attentäter sei in der Schule massiv gemobbt worden, hieß es am Sonnabend in Sicherheitskreisen. Das Landeskriminalamt Bayern bestätigte inzwischen ein Verfahren aus dem Jahr 2012: David S. sei von drei Mitschülern gehänselt worden. "Diese drei damaligen Beschuldigten befinden sich aber nicht unter den Opfern", so das LKA. Dennoch wird vermutet, dass David S. deshalb bei dem Amoklauf gezielt auf Jugendliche und junge Erwachsene geschossen habe, um sich auf diese Weise zu rächen. Acht der neun Opfer sind zwischen 13 und 20 Jahre alt. David S. habe „unter der Grausamkeit gelitten, zu der junge Menschen fähig sind“, hieß es.
Grund für das Mobbing könnten die psychischen Probleme des Mannes gewesen sein, sagten Sicherheitsexperten. Er habe sich dann abgekapselt und sei in die Welt der Egoshooter-Spiele abgetaucht, begann sich für Amokläufe zu interessieren. Allerdings lasse sich bei David S. „weder ein politisches noch ein ethnisches Motiv erkennen“.
Was bei dieser Tat alles eine Rolle gespielt haben könnte, ist vorerst unklar. Klar ist, dass David S. am schwülen Nachmittag des 22. Juli ganz in Schwarz gekleidet Richtung OEZ im Stadtteil Moosach aufbrach. Mit dabei hatte er eine Glock 17, eine österreichische Pistole vom Kaliber 9 Millimeter. Den genauen Ablauf der Tat müssen die Kriminaler noch ermitteln. Der genaue Weg des Täters soll auch mittels eines Mantrailers, einem speziell ausgebildeten Spürhund, nachvollzogen werden.
Kopfschuss - es ist Selbstmord
Der erste Alarm ging um 17.52 Uhr ein. Um 20.30 Uhr fand eine Streife den jungen Mann nach Angaben der Polizei vom Samstagabend in einer Seitenstraße nördlich des Olympia-Einkaufszentrums. Als die Beamten ihn ansprachen, zog er seine Waffe und schoss sich in den Kopf. Er hatte sich in den Stunden seiner Mordserie nur rund einen Kilometer vom Ausgangspunkt des McDonald’s-Restaurants wegbewegt.
Früh schon, sagt die Polizei jetzt, hatten Zivilbeamte „Kontakt“ mit dem Täter. Einer der Zivilen schoss auch auf den Mann, getroffen hat er ihn laut Obduktion nicht. Der Täter entkam seinen Verfolgern.
Als die Beamten später den Rucksack von David S. gewaltsam geöffnet hatten – sie fürchteten eine Sprengstofffalle –, fanden sie darin noch mindestens 300 Schuss Munition. Die Seriennummer der Waffe war abgefeilt. Wie genau David S. an die illegale Waffe und eine solche Menge Munition kam, ist noch unbekannt. Im Zuge der Ermittlungen sei ein Chatverlauf im Darknet gefunden worden der darauf hindeutet, dass David S. sich die Schusswaffe über das Darknet erworben habe-
Auch interessiert die Ermittler nun, wie der junge Mann diese Waffe finanziert hat. Die Eltern und der Bruder, sagt die Polizei, sind noch nicht vernehmungsfähig. Deshalb ist nicht klar, ob und was sie vom Interesse für Amokläufe des Täters gewusst haben.
Lockte er seine Opfer ins McDonald's?
Es gibt starke Indizien dafür, dass David S. zumindest einen Teil seiner Opfer überhaupt an den Tatort lockte. Es wurde vermutet, David S. habe einen Facebook-Account gehackt, um allen, die zum McDonald’s am OEZ kommen, zu versprechen, er werde „etwas ausgeben – es darf aber nicht zu teuer sein“. Mittlerweile ist bekannt, dass sich der Täter einen Fake-Account angelegt und Fotos eines bereits existierenden, fremden Facebook-Accounts übernommen hatte, um die Einladung auszusprechen.
Zu den verstörenden Dokumenten der Münchner Horrornacht gehört auch ein Video-Mitschnitt, auf dem der Täter sich mit einem Anwohner anschreit und ruft: „Ich bin Deutscher!“ und „Ich bin in Behandlung.“ (Siehe Kasten rechts). Zu den Details der Behandlung sind die Ermittler auch auf die Hilfe der behandelnden Ärzte angewiesen. Thomas Steinkraus-Koch, der leitende Staatsanwalt, sprach von entsprechenden Hinweisen auf eine Erkrankung „im depressiven Formenkreis.“ In dem Amok-Buch, das sich im Zimmer von David S. fand, beschreibt der Autor Peter Langman nicht nur US-Schulmassaker wie in der Columbine High School. Er vertritt auch die These, dass die Täter psychisch krank sind – und dass es Warnsignale gibt, die es richtig zu deuten gilt.
Für neun Menschen kommt jede Warnung zu spät.
"Er hat meinen Sohn getötet"
Es kamen zwei 15-Jährige und drei 14-Jährige ums Leben. Die weiteren Toten waren jeweils 17, 19 und 20 Jahre alt. Ein neuntes Opfer war 45 Jahre. Unter den Ermordeten sind drei Frauen. Die Opfer starben in der McDonald’s-Filiale gegenüber dem OEZ, davor und im Einkaufszentrum. Nach Angaben der Regierung des Kosovo sind unter den Toten drei junge Kosovo-Albaner.
Mit einem Strauß roter Rosen steht Naim Zabergja etwas unsicher auf der Rückseite des Olympia-Einkaufszentrums im Nordwesten Münchens. In der Hand hält er ein Foto: Der 20-Jährige darauf lächelt offen und freundlich in die Kamera, die Haare sorgsam gestylt. „Das war mein Sohn“, sagt Zabergja und hält die Fotografie in die Kamera.
Zabergjas Sohn hatte sich vor dem Einkaufszentrum mit einem Freund verabredet. Sie saßen draußen, wollten eine Limo trinken. Dann kam David S. und feuerte.
„Der Freund ist weggelaufen, meinen Sohn hat er getötet“, erzählt Zabergja, der aus dem Kosovo stammt. Seine Stimme wird heiser, doch er redet weiter. Zwei Töchter hat er noch, vier Enkelkinder. Dijamant war der einzige Sohn, geboren in München. Der 20-Jährige machte eine Ausbildung am Flughafen. Dass er jetzt tot sein soll – für den Vater nur schwer zu begreifen. Am Samstagmorgen um vier Uhr sei die Polizei vor der Tür gestanden und habe ihm die schreckliche Nachricht überbracht. „Ich bin noch in Träumen, ich glaube noch nicht, was passiert ist, auch meine Familie glaubt es noch nicht.“ mit Frank Jansen und dpa
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