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Schnupperstunde im Klassenraum.
© Pleul/ dpa

Schulanfang in Deutschland: Morgens, acht Uhr, alles ist möglich

Trotz gravierenden Lehrermangels kann Schule großartig sein. Was es braucht, sind Menschen, die sich von der Bildungspolitik nicht entmutigen lassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Vieth-Entus

Die Sommerferien in Deutschland sind noch nicht einmal überall zu Ende, und schon ist die Stimmung auf dem Nullpunkt: Von Sachsen bis Nordrhein-Westfalen, von Bayern bis Berlin klagen die Schulen über einen zum Teil seit Jahrzehnten nicht gekannten Lehrermangel. Unruhe macht sich breit – mit Blick auf die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland, aber auch mit Blick auf die Zukunft der eigenen Kinder, die womöglich schlechtere Startchancen haben als die Generation vor ihnen.

Tatsächlich kann man sich einen besseren Start ins neue Schulanfängerjahr vorstellen. Schulanfänge, der nicht von der hektischen Suche nach beruflichen Seiteneinsteigern oder arbeitswilligen Pensionären geprägt ist, sondern vom Streben nach besseren und zukunftsfähigen Pädagogikkonzepten in modernen Schulräumen mit zeitgemäßer technischer Unterstützung.

Parteipolitische Schuldzuweisung nutzlos

Dennoch lässt sich dieses neue deutsche Schuljahr auch ganz anders betrachten. Zum Beispiel als Beleg dafür, dass man mit einfachen parteipolitischen Schuldzuweisungen nicht weiterkommt: In den Ländern mit dem stärksten Lehrermangel sind die Parteibücher der jeweiligen Kultusminister bunt gemischt. Zwar gibt es das SPD-regierte Berlin, das bei der Lehrerausbildung laut Daten der Kultusministerkonferenz besonders schlecht vorsorgte und allein 2015/16 über 4000 Bewerber für einen Studienplatz abwies; aber die höchste Seiteneinsteigerquote hat das CDU-regierte Sachsen.

Auch die Verbeamtung schützt nicht vor Lehrermangel

Und auch wer allzu gern in der fehlenden Verbeamtung den Hauptgrund für das Problem ausmachen möchte, muss sehen, dass es die größte aktuelle Lehrerlücke in einem Land, das verbeamtet, gibt, und zwar in Nordrhein-Westfalen, das – apropos Parteibuch – fünf Jahre eine grüne Schulministerin hatte. Und das Beamtenparadies Bayern will seine Teilzeitlehrer sogar zwingen, mindestens 21 Stunden zu unterrichten, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Zum Februar 2018 soll auch keiner in die Frühpensionierung gehen dürfen. Laut Süddeutscher Zeitung sprechen bayerische Schulleiter vom schlimmsten Lehrermangel "seit Dekaden".

Jenseits aller berechtigten Kritik an fehlender Personalvorsorge sollte man sich aber daran erinnern, dass sich seit den Zeiten des Lehrermangels der 1960er und 1970er Jahre einiges verändert hat. Wissen wird nicht mehr nur aus (Schul-)Büchern gewonnen, es ist überall und jederzeit abrufbar, weshalb es im Unterricht weniger denn je um Auswendiglernen als um Kommunikationsfähigkeit und Problemlösungen geht. Kompetenzen also, die nicht nur von gelernten Lehrern, sondern auch von Seiteneinsteigern vermittelt werden können.

Schulen müssen Initiative ergreifen

Dazu müssen sie aber gut angeleitet und in ihren Kollegien offen aufgenommen werden. Überall, wo dies gelingt, kann auch Schule gelingen – sofern die Länder alles tun, um den Seiteneinsteigern darüber hinaus die Möglichkeit zu bieten, ihre Referendariate und damit das unerlässliche didaktische Wissen nachzuholen.

Am Ende aber liegt der Ball wieder im Feld der Schulleiter und Pädagogen. Jeden Morgen um acht Uhr müssen sie entscheiden, ob sie ihren Schülern zugewandt und optimistisch entgegentreten oder lieber damit hadern, in einem schlecht regierten Bundesland zu leben; ob sie beispielsweise Workshops für Flüchtlinge anbieten oder lieber den Personalmangel beklagen. Die ganze Bandbreite ist möglich, jeden Tag.

Und deshalb gibt es auch Schulen wie das Berliner Dreilinden-Gymnasium, das in den Ferien nicht verschlossen war, sondern ein Sommercamp anbot und am letzten Ferientag mit Schülern aus Willkommensklassen eine Performance zu Beethovens Neunter Sinfonie aufführte. Schulen wie die Elisabeth-Selbert-Schule in Hameln, die auch schwierigsten Schülern zu einer Ausbildung verhilft, oder die Gesamtschule Barmen in Wuppertal, in der jeder einzelne Schüler Verantwortung übernimmt. Darum kann Schule großartig sein. Überall.

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