„Die Lage ist unsicher“: Moldaus Premierministerin ruft in Berlin zur Hilfe für ihr Land auf
Die Republik ist am Rande ihrer Aufnahmekapazitäten für ukrainische Flüchtlinge, abhängig von Russlands Gas und in Sorge vor möglichen Angriffen.
Die Premierministerin der Republik Moldau, Natalia Gavrilita, verdeutlichte am Dienstag in Berlin, in welche Lage der Krieg in der Ukraine ihr Land gebracht hat. „Moldau ist der verletzlichste Nachbar der Ukraine“, erklärte die Regierungschefin. Zusammengefasst stellt sich die Lage des kleinen europäischen Landes mit gerade einmal 2,6 Millionen Einwohnern so dar: Komplett abhängig von russischen Gasimporten, am Rande der Aufnahmekapazitäten für Ukraine-Flüchtlinge - und möglicherweise als nächstes im Visier einer denkbaren weiteren russischen Aggression.
[Alle aktuellen Nachrichten bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen]
Internationale Partner sagen Moldau Unterstützung zu
Gavrilita zählte zu den Gästen einer internationalen Geberkonferenz für Moldau, zu der Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gemeinsam mit ihren Amtskollegen aus Frankreich und Rumänien am Dienstag ins Auswärtige Amt eingeladen hatte. Mit dem Treffen will die internationale Staatengemeinschaft der Republik Moldau finanziell unter die Arme greifen und eine Übernahme von Flüchtlingen sicherstellen.
Aus der Sicht von Moldau ist gegenwärtig der Beschuss der ukrainischen Hafenstadt Odessa beunruhigend. Gavrilita antwortete bei der Pressekonferenz im Auswärtigen Amt diplomatisch auf die Frage, welche Folgen eine weitere Eskalation der Lage in Odessa für die abtrünnige Provinz Transnistrien haben könnte. Das Gebiet ist Bestandteil der Republik Moldau, dort sind aber russische Soldaten stationiert.
Gavrilita antwortete, dass sich Moldau „in einer Region mit hohem Sicherheitsrisiko“ befinde. Derzeit seien keine Vorbereitungen für einen russischen Angriff auf Moldau festzustellen, sagte sie. „Die Lage ist unsicher“, fügte sie aber hinzu. Deshalb müsse man gemeinsam mit den internationalen Partnern weiter an der Friedenssicherung arbeiten, „um sicherzustellen, dass dieser Krieg nicht noch stärker eskaliert“.
Moldau lässt sich von Odessa per Fußmarsch erreichen
Nach den Worten von Gavrilita werden insbesondere die Bombenangriffe auf Odessa in Moldau mit „großer Sorge“ verfolgt. Moldau lässt sich von Odessa per Fußmarsch erreichen. Die Region von Odessa weise die gleiche Bevölkerungsstruktur wie Moldau auf, erläuterte Gavrilita.
Wie die Regierungschefin aus Chisinau in Berlin erklärte, sind seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine 390.000 Flüchtlinge nach Moldau gekommen. Der Großteil ist weitergereist, unter anderem nach Rumänien. Aber 100.000 Flüchtlinge halten sich weiterhin in Moldau auf, die Hälfte von ihnen sind Kinder.
Bei den Flüchtlingen, die in Moldau stranden, handelt es sich häufig um Personen, denen das Geld für eine Weiterreise fehlt. Deshalb hilft auch das Auswärtige Amt bei der Verteilung von Flüchtlingen aus Moldau. Deutschland will insgesamt 2500 Geflüchtete übernehmen. 300 Personen sind bereits bei zwei Flügen nach Frankfurt am Main und Erfurt nach Deutschland gekommen. Für den kommenden Samstag ist der nächste Hilfsflug nach Deutschland geplant.
Verteilung von Flüchtlingen steht erst am Anfang
An der Hilfskonferenz für Moldau nahmen 47 Staaten teil. Baerbock sagte, dass es bislang eine Verständigung zur Verteilung von 12.000 Flüchtlinge aus Moldau in andere Staaten gebe. Die Verteilung der Flüchtlinge stehe allerdings erst am Anfang, betonte sie. Die Verteilungsflüge insbesondere für besonders hilfsbedürftige Personen würden fortgesetzt, sagte die Ministerin.
Darüber hinaus wollten die Teilnehmerstaaten nach gegenwärtigem Stand humanitäre Hilfe mit einem Volumen von 71 Millionen Euro zur Verfügung stellen, so Baerbock. Zudem soll die finanzielle Notlage Moldaus mit Krediten, Budgethilfen und anderen Finanzhilfen im Wert von 695 Millionen Euro gemildert werden. Bereits vor der Konferenz hatte Regierungssprecher Steffen Hebestreit angekündigt, dass die Bundesregierung dem Land einen ungebundenen Kredit über 50 Millionen Euro zur Verfügung stellt.
Bereits vor dem Krieg in der Ukraine und dem massenhaften Zustrom der Flüchtlinge war Moldau durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die steigenden Energiepreise in eine finanzielle Notlage geraten. Nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine sind die Energiepreise noch weiter in die Höhe geschnellt. Wie Regierungschefin Gavrilita erläuterte, treffe diese Entwicklung ihr Land härter als andere Staaten. Inzwischen gäben Haushalte in ihrem Land im Schnitt ein Viertel ihres Einkommens für die Energieversorgung aus.
Erschwert wird die Lage dadurch, dass Moldau bei der Stromversorgung vom Kraftwerk Kuchurgan abhängig ist, das sich in Transnistrien befindet. Baerbock nannte die Integration in den europäischen Strommarkt neben dem Ausbau erneuerbarer Energien als eine der Optionen, um die Energieabhängigkeit Moldaus von Russland zu verringern.