Wie Trump die Medien verändert hat: Möglichst neutraler Journalismus kommt an seine Grenzen
Denn Ausgewogenheit nutzt nur den kruden Ideen des Präsidenten. Er sieht die Medien als Opposition. Da hilft nur transparente Parteilichkeit. Ein Gastbeitrag.
Jan-Werner Müller ist derzeit Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin sowie am Cluster „Contestations of the Liberal Script“ der HU und FU Berlin.
Was kann Donald Trump eigentlich? Offenbar nicht viel mit Immobilien. Laut Recherchen der „New York Times“ brachte er das väterliche Erbe mit Fehlinvestitionen durch. Richtig Geld verdiente er hingegen mit seiner Reality-TV-Show, wobei dies jedoch nach weiteren gescheiterten Projekten bald auch wieder weg war, und der Präsident heute wohl auf rund 400 Millionen Dollar Schulden sitzt.
Seine Kernkompetenz besteht also darin, die Illusion eines erfolgreichen Unternehmers zu verkaufen, nicht zuletzt, weil er meisterlich Medien manipuliert. Seine Präsidentschaft ist nicht nur ein Stresstest für die politischen Institutionen, sondern auch für Journalisten. Viele von ihnen bereuten ihre Rolle im Wahlkampf 2016 – und laufen doch auch dieses Jahr wieder in von Trump gestellte Fallen.
In den 1980er Jahren rief Trump regelmäßig unter Pseudonym bei der Klatschpresse an, um für ihn schmeichelhafte Stories zu lancieren. Doch jeder wusste, dass es sich bei dem Mann, der sich als PR-Agent John Barron ausgab, um Trump höchstpersönlich handelte. Journalisten machten das Spiel auch mit, weil sie nicht den direkten Draht zu einem Mann verlieren wollten, der immer für ein paar reißerische Spalten gut war.
Dieses Muster findet sich Jahrzehnte später wieder: Dieses Frühjahr wurde klar, dass Trump bei seinen Pressekonferenzen systematisch Fehlinformationen über Covid-19 verbreitete. Aber viele Fernsehsender konnten es nicht über sich bringen, einfach abzuschalten oder die Show nicht mehr live, sondern mit Zeitverzögerung zu zeigen und Unwahrheiten zu korrigieren. Schon 2016 hatte man viele Trump-Wahlkampfveranstaltungen direkt übertragen und Trump damit de facto Werbezeit im Wert von Milliarden geschenkt. Damals gab der Chef von CBS unumwunden zu, Trump sei schlecht für Amerika, aber verdammt gut für den Sender.
Die Pressesprecherin inszeniert Streit mit Journalisten, die dann diffamiert werden
Die Tendenz, Trump immer wieder entgegenzukommen, hat auch etwas mit einem Berufsethos zu tun, das seit einem Jahrhundert den meisten US-Journalisten vermittelt wird: Berichterstattung muss objektiv sein, und Objektivität beweist man am besten durch Neutralität: Man hält Kamera und Mikrofon hin, oder beschreibt, was die politische Klasse von sich gibt; der Rest gehört auf die Meinungsseite.
Was aber, wenn diese Art von Berichterstattung, so sie denn für den Präsidenten nicht schmeichelhaft sein sollte, als Meinungsmache delegitimiert wird? Trump hat die Medien mit seinem Vorwurf von „Fake News“ unter Druck gesetzt. Sein ehemaliger Berater Steve Bannon erklärte gar, sie – und nicht etwa die Demokraten im Kongress – seien „die Opposition“.
Und die Pressesprecherin des Weißen Hauses hat nicht mehr die traditionelle Aufgabe, die Politik des Präsidenten zu erklären und das Pressecorps mit Informationen zu versorgen; stattdessen inszeniert sie Streit mit Journalisten, die dann als Feinde des Volkes diffamiert werden.
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Manche Medien meinten, sich des Vorwurfs der Parteilichkeit am besten damit zu erwehren, ihre Neutralität noch dezidierter unter Beweis zu stellen. Eine bewährte Strategie besteht darin, beide politische Seiten gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen. So musste denn sogar für Trumps Spekulationen über die positiven Effekte von selbstgespritzten Desinfektionsmitteln noch eine Expertenstimme gefunden werden, die die Idee nicht rundheraus als gemeingefährlich abtat.
Völlige Ausgewogenheit kann ein falsches Bild vermitteln - wie beim Thema Klimwandel
Das Dilemma ist von Themen wie Klimawandel her bekannt: Auch Fifty-Fifty-Ausgewogenheit kann ein falsches Bild vermitteln. Ein viel kritisierter Bericht einer amerikanischen Nachrichtenagentur behauptete jüngst, die Präsidentschaftskandidaten würden zwei verschiedene Versionen der Realität anbieten: eine, in der die Pandemie schon vorbei sei, und eine, in der den Amerikanern bei deren Bewältigung dringend geholfen werden müsse. Es ist ganz so, als hätte sich der Reporter die berüchtigte Theorie der ehemaligen Trump-Beraterin Kellyanne Conway zu eigenen gemacht, wonach Journalisten Fakten und „alternative Fakten“ einfach nebeneinander zu präsentieren hätten.
Wer nicht ganz so naiv ist, hat immer noch die Möglichkeit, sich auf eine andere altgediente Strategie zurückziehen: Der Wahlkampf wird als „horserace“, als Pferderennen, dargestellt, bei dem die Journalisten besser als die Leser verstehen, wer wohl als erster durchs Ziel gehen wird. Der Medienkritiker Jay Rosen hat darauf hingewiesen, dass viele Journalisten sich hier ganz bewusst als Insider inszenieren – ganz so, als bildeten sie mit den Politikern eine verschworene Gemeinschaft, die weiß, wie die Dinge wirklich laufen.
Ihre Berichterstattung wirkt zwar weniger objektiv (schließlich ist es Interpretationssache, wer gerade besonders gerissen agiert), aber immer noch so neutral wie ein Bundesligakommentator, der ja auch ein tolles Dribbling loben kann, ohne dadurch die Mannschaft des Dribblers anzufeuern.
Rosen hat vorgeschlagen, diese Sportlogik durch eine „Bürgeragenda“ zu ersetzen, bei der die zentrale Frage laute, welche Probleme die Wähler eigentlich als dringendste empfänden. Journalisten sollten erst einmal herausfinden, welche Themen den Bürgerinnen und Bürgern wichtig sind, die Positionen der Kandidaten dazu analysieren, und sie dazu dann in Interviews hart befragen.
Das ist ein attraktiver Vorschlag, der Versprechen sowohl von Neutralität und Objektivität einlösen könnte, Medien aber auch mehr an investigativer Arbeit abverlangt. Man darf jedoch auch fragen, ob Objektivität und Neutralität immer zusammengehen müssen. Journalisten bilden die politische Realität nie nur mechanisch ab. Mit jeder Entscheidung, dass eine Story die Aufmerksamkeit des Publikums wert ist, bezieht man bereits Position.
Parteinahe Zeitungen sind nicht anrüchig - wenn ihre Parteilichkeit transparent ist
Früher waren in Europa parteinahe Zeitungen ganz normal, in manchen Ländern beherrschten sie fast den gesamten Markt. Man wusste, woran man war, und prinzipiell ist nichts Anrüchiges an dem, was der britische Historiker Timothy Garton Ash als „transparente Parteilichkeit“ bezeichnet. Jedem ist deutlich, dass George Orwell den Spanischen Bürgerkrieg nicht nach dem Prinzip, man müsse doch mal beide Seiten gleichermaßen zu Wort kommen lassen, beschrieben hat – aber das macht ihn als Zeugen nicht weniger vertrauenswürdig.
Das Problem mit einem Sender wie Fox News ist denn auch nicht, dass er Nachrichten aus der Perspektive der „konservativen Arbeiter“ (so der Fox-Journalist Bill O’Reilly) darstellen möchte, sondern dass er heuchlerisch die eigene Parteilichkeit verneint (offizielles Motto: „Wir berichten. Sie entscheiden.“). Und dass wider besseres Wissen Unwahrheiten verbreitet werden: Die Fox-Leute behaupteten lange, das Virus sei harmlos; im Frühjahr forderte man immer aggressiver ein „Re-Opening“ von Wirtschaft und Gesellschaft, während die eigenen Angestellten instruiert wurden, um Gottes willen zu Hause zu bleiben.
Bei dieser Wahl steht die Demokratie auf dem Spiel. 2016 hatten viele Journalisten noch die Entschuldigung, Trump werde eh nicht gewinnen, deswegen dürfe man auch besonders kritisch gegenüber der zukünftigen Präsidentin Hillary Clinton sein. Heute sollten sie nicht für Joe Biden Partei ergreifen, aber schon für die Grundfesten der Demokratie, auf denen auch ihre Arbeit beruht.
Jan-Werner Müller