Sprachforscherin Elisabeth Wehling: „Wir gehen Trump immer noch auf den Leim“
Berkeley-Linguistin Elisabeth Wehling im Interview über die Rhetorik von Rechtspopulisten, über alternative Fakten und über die Sprache von Martin Schulz.
Frau Wehling, Sie sind zurzeit auf allen möglichen TV-Kanälen als Expertin gefragt. Wie lebt es sich als Framing-Guru?
Es ist gut, dass das Thema im öffentlichen Bewusstsein ankommt. Es war mir immer wichtig, dass unsere Erkenntnisse nicht uns Wissenschaftlern vorbehalten bleiben, die wir im stillen Kämmerlein vor uns hin forschen. Aber mit meinem aktuellen Buch hat die Sache Fahrt aufgenommen, das stimmt.
Sie waren zum Beispiel gern gesehener Gast im ORF während des Bundespräsidentenwahlkampfs.
Ich bin gern in Österreich. Da haben sich in den letzten Jahren einige schöne Kontakte ergeben.
Konnten Sie helfen?
Ich hoffe! Ein Großteil meiner Arbeit besteht immer noch darin zu erklären, was politisches Framing überhaupt ist. Da grassieren die wildesten Missverständnisse.
Helfen Sie uns!
Frames sind Deutungsrahmen, die wir alle im Kopf haben. Sie strukturieren unser Denken, indem sie unsere Welterfahrung zu einer Sache aufrufen. Wenn Sie zum Beispiel das Wort Zimt lesen, aktiviert Ihr Gehirn unter anderem die Region, die fürs Riechen zuständig ist.
Und das politische Framing?
Politischer Streit ist ideologischer Streit. Gutes politisches Framing bedeutet, seine moralische Sicht auf Fakten transparent zu machen. Was ist in einer Situation moralisch relevant? Beispiel: Wenn Sie finden, Einkommen sei eher ein Problem der Entlohnung als der Eigenleistung, macht es Sinn, anstatt von einkommensschwachen Menschen von entlohnungsschwachen Unternehmen zu sprechen. Gutes Framing erlaubt schnellen und einfachen Zugang zu den ideologischen Prämissen politischer Vorschläge.
Sie sind Sprachkritikerin mit Forschungshintergrund und beraten andere dabei, sich präzise auszudrücken. Was würden Sie zum Beispiel dem Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz, raten?
Die Bühne des Wahlkampfes zu nutzen, um die Werte der Sozialdemokratie sprachlich wieder fassbarer zu machen. Hier hat die SPD, ebenso wie andere Parteien, großen Nachholbedarf. Dabei geht es nie um das Austauschen einzelner Schlagwörter. Framing ist ein ideologischer Klärungsprozess, in dem man das eigene politische Denken auf Herz und Nieren prüft. Erst dann folgt die Sprache.
Klare Wort bedeuten klare Inhalte?
So kann man es sagen. Schritt eins: Wer bin ich politisch? Schritt zwei: Ermögliche ich es meinen Mitbürgern, meine politische Seele zu begreifen? Beides herauszufinden ist nicht einfach, aber es muss sein, wenn ich Erfolg haben will. Und dann Schritt drei: Sprache adjustieren.
Können Sie auch einen politischen Gegner seiner falschen Begrifflichkeiten entkleiden? Ist das auch ein Ziel Ihrer Arbeit?
Primär geht es mir darum, zu zeigen, wie vermeintlich wertfreie Begriffe unser Denken vereinheitlichen. Beispiel: „Steuerlast“ definiert Steuern als Schaden am Menschen. Wer mehr Steuern fordert, hat aber eine andere Sicht auf die Sache. Keine Partei behauptet von sich, Menschen schaden zu wollen, im Gegenteil. Aber die sprachliche Einheitsschiene – Steuerlast, Steuerbürde, Steuererleichterung – baut die ideologische Vielfalt zum Thema ab. Das betrifft in Deutschland viele Debatten.
Und der politische Gegner?
Es gibt Gruppen, die tun unserer Gesellschaft nicht gut. Dazu gehören die Neo-Faschisten der AfD. Ich dekonstruiere Sprachbilder solcher Gruppen. Ich werbe dafür, nicht jeden sprachlichen Köder der AfD zu schlucken und breitzutreten. Wenn wir Ideen wiederholen, propagieren wir sie in den Köpfen der Menschen – ob wir es wollen oder nicht. Selbst wenn wir „dagegen“ sind. Das Negieren von Ideen stärkt sie – denken Sie nicht an einen rosaroten Elefanten!
Sind Sie eine Spacherklärerin?
Sicher. Nehmen Sie das Begriffsduo „oben“ und „unten“ in der Umverteilungsdebatte, wie in „die da oben müssen denen da unten helfen“. Wir alle lernen als Säuglinge, „oben“ mit „gut“ zu assoziieren: mehr Überblick, mehr Kontrolle. Wir reden davon, zu jemandem „aufzuschauen“, uns nicht zu „niederen“ Taten hinreißen zu lassen. Wer finanziell gut gestellte Menschen als „oben“ bezeichnet, löst im Gehirn seiner Hörer automatisch eine moralische Bewertung aus. Solche Dinge erkläre ich. Also bin ich Spracherklärerin.
Und was hat das alles mit Politik zu tun?
Wir wissen: Politische Entscheidungen basieren auf Alltagsideologie. Zum Beispiel der Frage, wie eine ideale Familie aussieht und nach welchen Werten Kinder erzogen werden sollten. Wem Strenge und Disziplin am Herzen liegen, tendiert zu konservativer Politik. Wer Fürsorge und Empathie den Vorrang gibt, zu progressiver. Wer im Bundestagswahlkampf 2017 die Alltagsmoral hinter seinen politischen Vorschlägen sichtbar macht, wird viele Menschen erreichen.
Will überhaupt jemand hören, was Sie zu erzählen haben? Nichts tut doch so weh, als eine Wahrheit über sich hören zu müssen.
Stimmt. Manchmal löse ich Widerstand und Ärger aus. Oft aber auch Erleichterung darüber, dass etwas Neues beginnen kann. Wer Sprachfallen erkennt, kann seine Kommunikation optimieren. Abgesehen vom Fachlichen habe ich als Outsider auch mehr Freiheit, Probleme anzusprechen und den Finger da hin zu legen, wo es zu Recht weh tut.
Aber jetzt: Ihr Tipp für Martin Schulz!
Martin Schulz ist authentisch und spricht eine klare Sprache. Das funktioniert immer gut – wie wir auch bei Donald Trump sehen. Schulz steht für 2017 vor der Herausforderung, der SPD insgesamt zu einer deutlicheren Sprache verhelfen zu müssen. Klarere Worte für ihr politisches Weltbild zu finden. Ein Prozess, der weit über die Dauer eines Wahlkampfes hinausreicht. Und ein Prozess, dessen Vernachlässigung dazu führen kann, dass man sich langfristig gedanklich abschafft.
Sie haben den Wahlsieg von Donald Trump vorhergesagt, gewettet und 500 Dollar gewonnen. Warum haben Sie nicht eine Million gesetzt?
Ich hatte leider keine Million, die ich hätte setzen können.
Donald Trump wird bei uns gern als bloßer Rüpel gesehen. Ist er cleverer als wir denken?
Trump hat sich perfekt der Methoden des politischen Framings bedient und dabei auch auf Experten zurückgegriffen, die schon für George W. Bush Framing gearbeitet und unter anderem den Irak-Krieg sprachlich vorbereitet haben.
Sie haben gesagt, Trump habe das Vokabular eines Viertklässlers.
Trump hat nicht die Sprachkompetenz eines Viertklässlers, sondern hat im Wahlkampf ein reduziertes Vokabular benutzt, weil er wusste, dass das die Menschen erreicht. Das war eine strategische Entscheidung. Dass wir in Deutschland diskutieren, wie es kommen konnte, dass so ein „unbedarfter“ Mann die Wahl in den USA gewinnen konnte, ist ein Ergebnis seiner Strategie. Er hat sich als simpel, ungeschliffen und nicht-strategisch begreifbar gemacht. Das war seine Marke. Es hat geklappt.
Und wir sind in die Falle getappt. Wir sind also die Doofen.
Das kann man so sagen. Und wir gehen ihm immer noch auf den Leim. Eine der Trumpschen Nebelkerzen lautet zum Beispiel „alternative Fakten“. Alles schreit auf und diskutiert das Thema tagelang, während Trump im Hintergrund Politik macht, die der Schlagzeilen würdiger wäre: Reduzierung der Mittel für Frauengesundheit weltweit, Kappen der Gesundheitsversorgung für Amerikaner, Rücknahme der Entscheidung Obamas gegen die Keystone-Pipeline. Es erstaunt mich, wie sich die Medien von Trumps Nebelkerzen ködern lassen.
Und die Meinungsforscher liegen in letzter Zeit mit schöner Regelmäßigkeit daneben.
Weil sie nicht abfragen, was die Menschen unbewusst bewegt, welche Ideologien ihr alltägliches Denken und somit politischen Entscheidungen steuern. Auch entgegen materiellen Interessen.
Hat die Macht des Faktischen ausgedient? Leben wir in Zeiten des Unfaktischen?
Das Modewort „post-faktisch“ halte ich für irreführend. Es suggeriert, dass Bürger von Emotionen getrieben faktenblind werden. Das Problem liegt anderswo: Fakten haben im politischen Streit keine Bedeutung per se. Sie erlangen sie durch moralische Interpretation. Der Hund liegt eher da begraben, wo „prä-faktische“ politische Weltbilder nicht mehr als Legitimation der eigenen Einordnung von Fakten kommuniziert werden. Die Sache auf „faktenblinde“ Bürger zu begrenzen, ist gefährlich kurz gefasst.
Fakten sind nichts, Ideologie alles?
Fakten sind zentral. Sie haben aber keine objektive Bedeutung, das ist ein Irrglaube. Andernfalls gäbe es keinen politischen Streit. Der Erfolg von Parteien wie der AFD beruht auch darauf, dass sie ihre Ideologie klar benennen. Wer die – wenn auch nur partiell – teilt, findet dort eine psychologische Heimat.
Gibt es alternative Fakten?
Gibt es nicht. Trump und seine Beraterin Kellyanne Conway meinen damit Lügen und wissen das auch. Ich halte übrigens auch die Debatte um Besucherzahlen bei der Inauguration für eine Trumpsche Rauchbombe, die ablenken soll. Und für einen Test, um die Medien einzuordnen: wer wiederholt die Ideen und Formulierungen, wer kritisiert?
Löst sich gerade der sogenannte mündige Bürger in Luft auf?
Nein, gar nicht. Aber er kann nur dann mündige Entscheidungen treffen, wenn er nicht nur die Fakten kennt, sondern auch die ideologischen Unterschiede der Parteien, die ihn vertreten wollen. Die Freiheit, sich zu entscheiden, gibt es nur dann, wenn Transparenz über Werte herrscht.
Wie gehen wir am besten mit Fake news um? Was halten Sie von Wahrheitstests, wie sie diskutiert werden?
Es ist nie ein gute Strategie, Frames des Gegners aufzugreifen. Wenn sich seriöse Medien auf die Angriffe als „Lügenpresse“ einlassen und beginnen, zu belegen, dass Sie ehrlich sind, haben sie sich schon im Angriff des Gegners verheddert. Davon abgesehen sind Faktenchecks gerade für nicht-etablierte online Medien sinnvoll, sie unterliegen in keinem vergleichbaren Maße dem kontrollierenden öffentlichen Auge. Aber noch einmal: Das Konzept der „Lügenpresse“ kommt von Mitbürgern, die seriöse Medien demontieren wollen. Sich darauf einzulassen, etwa gleich eine Sendung zum Thema „Lügenpresse – können wir den Medien noch trauen?“ zu machen, halte ich für falsch. Damit geht man der AfD auf den Leim.
Also keine Vertreter der AfD mehr in Talkshows?
Warum nicht? Aber es ist unumgänglich, sie sprachlich und konzeptuell hart anzugehen und ihrer Ideologie klare alternative Weltbilder eines guten, wohlwollenden, menschlichen Miteinanders entgegenzuhalten. Ein Schritt dahin ist auch, Debatten nicht ihre Slogans als vermeintlich besonders schmissige Headlines zu geben.
Und was wäre Ihr Rat an die anderen Medien?
Mit lauter Stimme das eigene Tun und die eigenen Werte vertreten. Sich nicht in die Defensive drängen lassen.
Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.
Elisabeth Wehling lehrt und forscht an der University of California in Berkeley. Mit ihrem Buch „Politisches Framing“ hat die Linguistin aufgezeigt, wie Sprache die Politik bestimmt.