Gegen 750.000 Dollar Kaution: Mitangeklagter im Mordfall George Floyd auf freiem Fuß
Thomas Lane wurde wegen Beihilfe zum "Mord zweiten Grades", also Totschlag, angeklagt. Eine juristische Besonderheit aber könnte die Anklage verschärfen.
Acht Minuten und 46 Sekunden kniete in Minneapolis der Polizist Derek Chauvin auf dem Nacken des Afroamerikaners George Floyd. Seine drei Kollegen Alexander Keung, Tou Thao und Thomas Lane hatten zuvor noch bei der Verhaftung geholfen und schritten nicht ein.
Chauvin ist inzwischen wegen "Mord zweiten Grades", also wegen Totschlag, angeklagt. Seine indirekt beteiligten Kollegen müssen sich ebenfalls wegen Beihilfe verantworten. Thomas Lane wiederum ist inzwischen aus dem Gefängnis entlassen worden. Das berichtete die Tageszeitung „Star Tribune“ aus Minneapolis.
Wie CNN noch vor einer Woche meldete, sei die Kaution für alle vier Angeklagten zunächst auf eine Million US-Dollar festgelegt worden. Laut „Star Tribune“ wurden diese nun für den Hauptangeklagten Chauvin auf 1, 25 Millionen US-Dollar erhöht, für die drei Mitangeklagten allerdings auf 750.000 Dollar abgesenkt.
Gegen Zahlung dieser Summe durfte Lane nun das Gefängnis verlassen, bestätigte ein Sprecher des Sheriffs Office von Minnesota. Das Geld soll per PayPal über eine Fundraising-Website gesammelt worden sein, wie Lanes Anwalt, Earl Gray bestätigte.
Wieviel Geld auf diese Weise eingenommen wurde, konnte der Anwalt nicht konkretisieren. Auch wer das Fundraising initiiert hatte, sei ihm nicht bekannt. Auf der Website soll zu lesen gewesen sein, dass die Höhe der Kaution „unangemessen hoch“ wäre, und Lane „alles tat, was er konnte“ um Floyds Leben zu retten. Die Seite ist inzwischen offline.
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Earl Gray sagte, sein Klient sei nun an einem sicheren Ort. Er soll am 29. Juni zu einer Anhörung vor Gericht erscheinen. Die drei anderen Angeklagten seien alle weiterhin in Haft, schreibt die „Star Tribune“.
Allerdings könnte eine Besonderheit in der Rechtsprechung im Bundesstaat Minnesota nun zum Problem für die vier Polizisten werden - die sogenannte „Felony Murder Theory“, zu Deutsch in etwa „Mordverbrechen“. Im „Post Reports“-Podcast der Washington Post vom 8. Juni erklärte Paul Butler, Jura-Professor an der Rechtsuniversität in Georgetown, dass das Strafrecht in Minnesota davon ausgehe, dass auch ein unabsichtlicher herbeigeführter Tod - allgemein als Totschlag bekannt - unter Umständen als Mord angesehen werden kann.
„Angenommen, ein Mann bedroht jemand anderen mit einer Waffe und sagt 'Gib mir deine Wertsachen' und der Mann stirbt durch den Schreck an einem Herzinfarkt – dann kann dies vom Gericht als Mord ausgelegt werden“, sagte der ehemalige Staatsanwalt.
„Felony Murder Theory“ bewertet Totschlag unter Umständen als Mord
Im konkreten Fall beschreibt Butler, dass George Floyd den Polizisten mehrmals gesagt hat, dass er nicht mehr atmen könne. Einer der Polizisten habe außerdem versucht, den Puls Floyds zu messen, diesen aber bereits nicht mehr gefunden. Dennoch habe Derek Chauvin weiter auf dem Nacken des Afroamerikaners gekniet. Somit könnte diese Strafrechtstheorie in der Verhandlung gegen die Polizisten zur Anwendung kommen, sagte Buttler.
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Wie schwierig die Verurteilung von Polizisten in den USA sei, erklärte er zusätzlich anhand einiger Zahlen. In den vergangenen 20 Jahren seien insgesamt etwa 100 Polizisten überhaupt wegen Mordes angeklagt worden. Dabei erschoss alleine im vergangenen Jahr die Polizei über tausend Menschen. Schwarze Personen haben dabei ein dreimal so hohes Risiko, erschossen zu werden als weiße, wie Zahlen des Datenprojekts „Mapping Police Violence“ aufzeigen.
100 Anzeigen wegen Mordes, kaum Verurteilungen
Von diesen hundert Anzeigen, sagte Butler, seien allerdings weniger als zehn überhaupt verurteilt worden. Die Mehrheit werde freigelassen. Als Gründe nennt Butler unter anderem die Möglichkeit der Polizisten, auf Selbstverteidigung zu plädieren.
„Außerdem sind die meisten Gerichte tendenziell auf der Seite der Polizisten“, sagte er. Die Intention zu Töten sei schwierig nachzuweisen. Die meisten Zeugen, die vernommen werden, seien dann meistens ebenfalls Polizisten. So werde es den Beamten einfach gemacht, die Aufklärungsarbeit zu „sabotieren“.
Außerdem vergingen bei den meisten Fällen von Polizeigewalt zunächst ein bis zwei Tage, bevor der betreffende Polizist überhaupt vernommen wird – eine Menge Zeit, um „sich seine Geschichte zurechtzulegen“, so Butler.