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Tempolimit, 30, 30 Zone, Potsdam 11.06.2020 Foto: Sebastian Gabsch
© Sebastian Gabsch PNN

Tempo 30 in der Stadt: Mit Vollgas auf die Barrikaden

Ein Tempolimit in der Stadt erhitzt die Gemüter, dabei wird die Verkehrswende nicht ohne auskommen. Auch der ÖPNV müsste dann umstellen.

Es ging nur um Lastenräder, aber es klang, als hinge vom Ausgang des Streits der Fortbestand der Republik ab. Vor wenigen Wochen bekämpften sich Anhänger und Gegner dieses auf den ersten Blick harmlos wirkenden Verkehrsmittels und lieferten damit ein Beispiel dafür, wie politisch vermint das Thema Mobilität im Wahlkampf war.

Auch die Auseinandersetzung um Tempolimits läuft entlang der sorgfältig abgesteckten ideologischen Linien. Wie sehr gerade eine innerstädtische Tempobegrenzung die Gemüter erhitzen kann, zeigt sich in Frankreich. Seit Mitte dieses Jahres gilt in Paris ein flächendeckendes Tempolimit. Damit hat Bürgermeisterin Anne Hidalgo die konservative Opposition auf die Barrikaden getrieben. Dabei hat eine Umstellung der innerstädtischen Höchstgeschwindigkeit weitreichende Auswirkungen und ist objektiv betrachtet ein wichtiger Baustein der dringend notwendigen Mobilitätswende. Die Frage ist nur, wie diese sinnvoll umgesetzt werden könnte.

Nach dem Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung im Mai 2020 empfohlen hatte, das innerstädtische Tempo auf 30 km/h zu begrenzen, zog im vergangenen Jahr auf der Deutsche Städtetag zumindest teilweise nach. Tempo 30 sollte als Regelgeschwindigkeit immerhin außerhalb von Hauptstraßen flächendeckend gelten.

Doch ein flächendeckendes Tempolimit im ganzen Stadtgebiet hätte weitreichende Folgen insbesondere für den öffentlichen Personennahverkehr. Denn der langsamere Betrieb werde teuer, erklärt Volker Deutsch, Fachbereichsleiter für integrierte Verkehrsplanung beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV): „In Stadtregionen können die jährlichen Mehrkosten einen zweistelligen Millionenbetrag erreichen“. Grund sind die zusätzlichen Kosten für Fahrzeuge und Personal, die durch einen langsameren Fahrbetrieb zu Buche schlagen. „Je nach Nahverkehrsmittel liegen die betrieblichen Mehrkosten bei rund 300.000 Euro pro Fahrzeug jährlich“, so Deutsch. Denn fahren Busse und Bahnen langsamer könnten die kalkulierten Wendezeiten nicht mehr ausreichen, damit die Linien die Fahrt zurück pünktlich antreten können. Laut Berechnungen des VDV müssten bei flächendeckendem Tempolimit die Verkehrsbetriebe pro Straßenbahnlinie einen Zug mehr, bei viel genutzten Buslinien zwei zusätzliche Fahrzeuge einplanen.

Miriam Dross, Leiterin des Fachbereichs Nachhaltige Mobilität im Umweltbundesamt (UBA) sieht das aber als Milchmädchenrechnung: „Eine nachhaltige Mobilitätswende wird die Verkehrsbetriebe in Deutschland sowieso Geld kosten, egal ob mit Tempo 50 oder Tempo 30.“ Auf lange Sicht würden die Vorteile hingegen überwiegen. Bereits vor fünf Jahren ermittelte das UBA in einem Bericht die Vorteile einer neuen städtischen Regelgeschwindigkeit von 30 km/h. So würde die Lärmbelastung an vielbefahrenen Straßen um rund drei Dezibel verringert. „Das hat auch eine soziale Dimension. Denn zumeist leben Menschen mit geringerem Einkommen an lauten Straßen. Sie würden dadurch entlastet“, meint Dross.

Neben der Einsparung von CO2-Emissionen und einem sichereren Verkehr würde sich Tempo 30 auch positiv auf die schlechten Feinstaubwerte der Städte auswirken. Die Schmutzpartikel entstehen vornehmlich durch die Reibung der Reifen auf dem Asphalt beim Bremsen und Beschleunigen. Bei langsameren Geschwindigkeiten ist es gleichzeitig leichter, den Verkehr im Fluss zu halten. Deswegen ist man bei dem Aachener Busbetreiber ASEAG aufgeschlossen, wenn es um das Thema innerstädtisches Tempo 30 geht. In Aachen hat man bereits gute Erfahrungen mit Tempo 30 abseits der Hauptverkehrsachsen gemacht. Das bestätigt auch

Frauke Burgdorff, Verkehrsplanerin der Stadt Aachen. Ein generelles Tempo 30 sieht auch sie allerdings kritisch: „Meine Formel ist, die jeweiligen Gegebenheiten differenziert zu betrachten, statt anhand ideologischer Richtlinien.“ Ihrer Meinung nach müsse umgedacht werden: „Tempo 30 sollte neuer Standard werden, mit der Möglichkeit in Ausnahmefällen höhere Geschwindigkeiten zuzulassen.“ Diese Forderung stellten auch die Grünen in ihrem Programm zur Bundestagswahl.

Problematisch ist dabei allerdings, dass laut Straßenverkehrsordnung in Tempo-30-Zonen aktuell die Rechts-vor-Links-Regelung Anwendung findet. Das wirkt sich einerseits auf die Reisezeiten mit dem ÖPNV aus, andererseits gefährdet das den Verkehrsfluss.

Dross plädiert daher den Vorrang des ÖPNVs zum Beispiel durch eigene Ampelschaltungen weiter zu verstärken und die so längeren Fahrtzeiten zu kompensieren. In einem Punkt stimmt sie allerdings dem VDV zu: Egal ob mit oder ohne Tempobeschränkung wird der Bedarf an Fahrern für den ÖPNV steigen. Laut eines vom VDV in Auftrag gegebenen Leistungskostengutachtens werden für die Mobilitätswende bis Ende des Jahrzehnts 110.000 weitere qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebraucht.

Und in einem weiteren Punkt sind sich alle Beteiligten einig: bei einer generellen Umstellung auf Tempo 30 darf die Attraktivität des ÖPNVs gegenüber dem Auto nicht leiden. Das wäre ein herber Rückschlag für eine klimaneutrale Verkehrswende. 

David Renke

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