Coronavirus-Infizierte aufspüren: Robert-Koch-Institut erwägt Handy-Tracking
Außergewöhnliche Maßnahmen werden diskutiert, um tatsächlich Infizierte schnell zu finden: Es soll überlebenswichtige Zeit für die Behandlung gewonnen werden.
Die Coronavirus-Krise wird unter Wissenschaftlern als gefährlicher Ausnahmefall angesehen – entscheidend ist demnach, die Verbreitung zu verlangsamen. So soll auch ein befürchteter Kollaps des Gesundheitssystems vermieden werden.
Um diese Ziele zu erreichen, wird nach Informationen von Tagesspiegel-Checkpoint in Wissenschaftskreisen und internationalen Tech-Unternehmen jetzt eine außergewöhnliche Maßnahme diskutiert: Anstatt zu versuchen, die Kontaktpersonen von Infizierten durch zeitintensive und am Ende trotzdem ungenaue persönliche Abfragen herauszubekommen, könnte ein Abgleich von Bewegungsdaten etwa eines Handys die Ausbreitung drastisch verlangsamen.
Nur so könne man genügend Zeit für alle anfallenden Behandlungen gewinnen, die für manche Patienten überlebenswichtig sind.
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Solche Ortsdaten werden zum Beispiel von Apple und Google minutenweise sehr genau für mehrere Wochen gespeichert. Für die Telekom verwies eine Sprecherin auf die hohen Datenschutzvorschriften, an die sich das Unternehmen halte. Daher sei es nicht möglich, die Bewegung einzelner, möglicherweise mit dem Coronavirus infizierte Kunden zurückzuverfolgen. Daten von Mobilfunkkunden würden bei der Telekom nur in anonymisierter Form vorliegen.
Darüber hinaus nutze man auch grundsätzlich keine Datensätze einzelner Nutzer. Die kleinste Einheit für eine Analyse umfasse immer mindestens die kombinierten Daten von 30 Nutzern. Zwar sei es grundsätzlich möglich, personenbezogene Bewegungs- und Kommunikationsdaten zur Verfügung zu stellen. Dies geschehe aber ausschließlich auf richterliche Anordnung hin für die staatlichen Ermittlungsbehörden, betonte die Sprecherin.
Doch wäre so ein Vorgehen mit den hiesigen strengen Datenschutzregeln vereinbar? Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sieht bestimmte Bedingungen vor, damit eine Datenverarbeitung rechtmäßig und zulässig ist. Neben der expliziten Einwilligung der Betroffenen gilt dies nach Artikel 6 DSGVO auch unter der folgenden Voraussetzung: „Die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen.“ Trotzdem wäre der Abgleich von Bewegungsdaten nach Einschätzung von Datenschutzexperten schwierig.
Es sei „auf den ersten Blick keine spezifische Rechtsgrundlage ersichtlich“, die die Erhebung von Bewegungsdaten zur Eindämmung des Coronavirus ermögliche, sagt eine Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV).
Ähnlich sieht es der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Ulrich Kelber. "Ein staatlich erzwungener Zugriff auf die Handydaten von Infizierten – wie er scheinbar aktuell in China praktiziert wird – wäre hier rechtlich gesehen mehr als problematisch“, sagte Kelber dem Tagesspiegel.
Neben der Frage, auf welcher Rechtsgrundlage ein entsprechendes Vorgehen erfolgen sollte, müsste auch die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs hinterfragt werden. Zu rechtfertigen sei eine derartige Maßnahme nur mit Zustimmung der Betroffenen, so Kelber weiter. „Die Betroffenen müssen vorher ausführlich über den Zweck der Erhebung, die Nutzung der Daten und die Speicherdauer informiert werden, damit Sie die potentiell für sie entstehenden Risiken abwägen können.“
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In Berlin und anderen Bundesländern übermitteln die Gesundheitsämter die Namen möglicher Kontaktpersonen zum Teil noch per Fax. Sie sind zudem auf die Erinnerung der Infizierten und die Kenntnis der Namen möglicher Kontaktpersonen angewiesen. Bei vielen täglichen Begegnungen im öffentlichen Raum ist das jedoch nahezu unmöglich.
Nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) wäre das Auslesen von Bewegungsdaten aus dem Mobiltelefon eine gute Möglichkeit, um Kontaktpersonen von Infizierten aufzuspüren und so die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. „Wir wissen inzwischen, dass das technisch möglich ist“, sagt RKI-Präsident Lothar Wieler.
Ein kleines Team des RKI habe mit Mitarbeitern anderer Institutionen in den vergangenen beiden Tagen eine entsprechende „Skizze“ erstellt: „Das sind erste Überlegungen.“ Es werde in Ruhe besprochen, ob das für die Gesellschaft akzeptabel wäre. Für ihn sei klar, dass das nur möglich wäre, „wenn der einzelne seine Daten auch spenden würde“.
Die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz (KI) werden in der Medizin heute schon umfangreich genutzt. Dabei geht es etwa um die Bilderkennung bei pathologischen Befunden oder in der Krebsbehandlung.
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Allerdings klagen Mediziner, Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker in Deutschland immer wieder darüber, dass hiesige Datenschutz-Bedenken häufig dem Patientenwohl entgegenstünden. Das zeige auch das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG), das Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gerade auf den Weg schickt – und das der Bekämpfung von Epidemien künftig Steine in den Weg legen könnte, so die Befürchtung.
Das PDSG regelt Datenschutzbestimmungen für die elektronische Patientenakte (ePA), die im kommenden Jahr allen gesetzlich Versicherten angeboten werden muss. In der Akte sollen Patientendaten zusammengeführt werden, die Versicherten bestimmen, ob sie die ePA nutzen und worauf ihre behandelnden Ärzte Zugriff bekommen. Mit dem PDSG werde Daten- über Seuchenschutz gestellt, beklagt der Deutsche Landkreistag. Die kommunalen Gesundheitsämter hätten bei Epidemien keinen Zugriff auf die ePA-Daten, könnten diese also auch nicht zur Eindämmung von Infektionskrankheiten nutzen.
„Aufgaben im Zuge der Gefahrenabwehr“
Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) soll laut Gesetzentwurf zwar an das System angeschlossen werden, über die die ePA-Inhalte ausgetauscht und eingespeist werden. Allerdings hätten Amtsärzte nur sehr eingeschränkte Zugriffsrechte: Nämlich ausschließlich auf elektronische Impfdokumentationen und U-Untersuchungshefte. Ausgeschlossen wäre damit die Nutzung aller anderen Daten, zum Beispiel beim Ausbruch von Tuberkulose-Erkrankungen.
Solche Daten würden, sagte die beim Landkreistag für Digitalisierungsfragen zuständige Leiterin Ariane Berger, bislang von den Gesundheitsämtern genutzt werden können, „sofern sie elektronisch vorliegen“. Die Möglichkeit fiele mit dem PDSG weg. Gerade vor dem Hintergrund der beginnenden Coronavirus-Epidemie wirke eine solche Regelung völlig kontraproduktiv, meint Berger. Die jetzt vorgesehen Regelungen für den ÖGD würden „es diesem unmöglich machen, seine Aufgaben im Zuge der Gefahrenabwehr“ zu erfüllen.