Syrische Flüchtlinge im Libanon und der Türkei: Mit Bulldozern und Razzien aus dem Land gedrängt?
Die Türkei und der Libanon haben Millionen Syrer aufgenommen – nun werden die Flüchtlinge oft schikaniert. Ist das der Versuch, sie nach Jahren loszuwerden?
Bei syrischen Flüchtlingen in Istanbul geht die Angst um. Die Polizei fahndet nach Syrern ohne gültige Aufenthaltspapiere für die Stadt. Wohnungen und Betriebe sollen durchsucht worden sein.
Die Behörden reagieren damit auf den wachsenden Unmut in der Bevölkerung wegen der 3,6 Millionen Syrer im Land. Syrische Aktivisten werfen den türkischen Behörden vor, einige Flüchtlinge gegen ihren Willen ins syrische Kriegsgebiet zu deportieren. Ankara dementiert.
In der vergangenen Woche seien etwa 400 Syrer aus Istanbul in die syrische Provinz Idlib gebracht worden, sagt Halid Hoca im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Hoca, ein ehemaliger Chef der syrischen Exil-Opposition in der Türkei, berichtet, einige Syrer seien mit gefesselten Händen in Busse gebracht worden.
In Istanbul leben etwa 550.000 offiziell registrierte Syrer. Hinzu kommen fast 30.000 Flüchtlinge, die aus anderen Landesteilen oder direkt aus Syrien ohne staatliche Registrierung in die Stadt gekommen sind.
Aktivisten warnen vor Abschiebungen nach Idlib
Das Istanbuler Gouverneursamt stellt den nicht in der Metropole registrierten syrischen Flüchtlingen nun ein Ultimatum: Sie sollen bis zum 20. August die Stadt verlassen und in die türkischen Orte zurückkehren, in denen sie gemeldet sind. Schutzsuchende, die auf illegalem Wege ins Land gekommen seien, würden wie bisher abgeschoben, heißt es in der Erklärung.
Damit bezog sich die Behörde offenbar auf Flüchtlinge aus Afghanistan, die bereits jetzt in ihr Heimatland zurückgebracht werden. Von der Abschiebung von Syrern war keine Rede.
Es sei nichts dagegen einzuwenden, Syrer ohne Wohnerlaubnis für Istanbul in andere türkische Städte zu schicken, sagt Aktivist Hoca. Doch nun habe die Regierung plötzlich mit Abschiebungen nach Idlib begonnen – die letzte Rebellenhochburg in Syrien.
Sie wird größtenteils von militanten Islamisten beherrscht. Hoca sagt, die abgeschobenen Flüchtlinge seien dort der Verfolgung durch die Extremisten und den Bombardements der syrischen und russischen Luftwaffe ausgesetzt. Am Montag starben bei einem Luftangriff auf einen Markt Dutzende Menschen.
Der türkische Innenminister Süleyman Soylu bestreitet Abschiebungen. Er sagte dem Nachrichtensender NTV, Syrer hätten einen Schutzstatus. Flüchtlinge aus anderen Ländern wie Afghanistan werden dagegen in ihre Heimatländer zurückgebracht.
Soylu zufolge wurden seit Jahresbeginn 43.000 Menschen außer Landes geschickt, die ohne gültige Papiere ins Land gekommen waren. Soylu bestätigte aber, dass die Polizei mit Razzien in Istanbuler Betrieben nach illegal beschäftigten Syrern sucht. Wer nicht freiwillig gehe, werde in Auffanglager gebracht.
Viele Syrer in der Türkei schlagen sich mit schlecht bezahlter Schwarzarbeit durch, nur wenige haben offizielle Arbeitsgenehmigungen. Diese Lage zwinge die Flüchtlinge dazu, auch ohne Aufenthaltsschein in großen Städten wie Istanbul Jobs zu suchen, sagen Menschenrechtler.
Ende der Politik der offenen Tür
Jahrelang hatten die Türken die Anwesenheit der Syrer in ihrem Land mit großem Verständnis hingenommen. Aber vor allem die Wirtschaftskrise hat die Stimmung umschlagen lassen. In einer Umfrage sagten fast 90 Prozent, sie lehnten das Argument der Regierung ab, die Aufnahme der Syrer sei eine humanitäre Pflicht.
Das hat auch politische Folgen. Oppositionspolitiker finden bei den Wählern Gehör für ihre Forderung nach einem Ende der „Politik der offenen Tür“, mit der Präsident Recep Tayyip Erdogan den Syrern ein neues Zuhause gab. Das zeigte sich zuletzt bei den Niederlagen von Erdogans Partei AKP bei den Kommunalwahlen. Seither signalisiert Erdogan eine härtere Gangart gegenüber den „Gästen“.
Auch im Libanon hat sich die Stimmung längst gedreht. Wurden die schutzsuchenden Syrer anfangs ohne großes Murren aufgenommen, sind sie nun immer häufiger staatlich verordneten Schikanen ausgesetzt. Hilfsorganisationen sind sich sicher: So soll den Flüchtlingen das Leben möglichst unerträglich gemacht werden – mit dem Ziel, dass die Menschen das Land wieder verlassen.
Der jüngste Ankündigung der Regierung in Beirut ist besonders drastisch. Im Mai erklärten die Behörden Unterkünfte aus Stein für illegal, weil sie keine Baugenehmigung hätten und ordnete deren Abriss an. Bis auf Hüfthöhe müssten die Bewohner ihre ärmlichen Hütten zerstören, anderenfalls würden Bulldozer und die Armee das ab dem 1. Juli übernehmen. Nur Zelte und Behausungen aus Planen, Plastik und Holzlatten seien künftig noch zulässig.
Tausende Syrer rissen daraufhin im vorauseilenden Gehorsam ihre provisorisch gemauerten Kleinhäuser eigenhändig ein, die Armee zerstörte, was nicht den Vorgaben entsprach. Hunderte Familien verloren ihr Dach über dem Kopf.
Bis zu 1,7 Millionen Syrer leben im Libanon
Dass es zu derartigen Zwangsmaßnahmen kommt, lässt sich einfach erklären: Der Libanon stöhnt unter der Last der syrischen Flüchtlinge wie kein anders Land. Mehr als eine Million Menschen sind als Schutzsuchende registriert, die Regierung in Beirut spricht sogar von 1,7 Millionen, und das bei sechs Millionen Einwohnern.
Zwar durften die Syrer nach Beginn des Kriegs ins Land, wurden aber nie als Flüchtlinge offiziell anerkannt – aus Furcht, sie könnten sich wie einst die Palästinenser dauerhaft niederlassen. Doch nun leben die Syrer seit Jahren im Zedernstaat. Und der Unmut bei Einheimischen wächst. Die Mietpreise sind nach oben geschnellt, die Löhne in den Keller gegangen, weil viele Flüchtlinge zu Dumpingpreisen arbeiten.
Mittlerweile werden die Syrer generell für Libanons wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht. Kein Wunder, dass die Verzweiflung der Beschuldigten wächst. Ebenso wie die Furcht, wieder vertrieben zu werden.