zum Hauptinhalt
Tür zu: Andrea Leadsom verlässt Downing Street Nummer 10, den Amtssitz von Theresa May. (Archivbild)
© Tolga AKMEN/AFP

Theresa May vor dem Aus?: Ministerin Andrea Leadsom tritt zurück

Die Premierministerin kämpft im Parlament für den Brexit-Deal. Doch eine wichtige Ministerin tritt aus Protest zurück. Mays Tage im Amt scheinen gezählt.

Die britische Premierministerin Theresa May hat mit einer Kampfrede im britischen Parlament für ihre jüngsten Pläne zum EU-Austritt nicht den erhofften Durchbruch geschafft. Stattdessen musste sie einen weiteren Rückschlag hinnehmen: Am Mittwochabend trat ihre Ministerin für Parlamentsfragen, Andrea Leadsom, aus Protest gegen ihre Pläne zurück. Außerdem wurden Forderungen nach ihrem eigenen Rücktritt auch in den eigenen Reihen lauter.

„Wir müssen den Brexit durchziehen“, sagte May im Unterhaus am Mittwoch. Die Premierministerin will ihren bereits drei Mal vom Parlament abgelehnten Brexit-Deal den Abgeordneten Anfang Juni im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens ein viertes Mal vorlegen. Dafür kündigte sie Zugeständnisse an die Opposition und die Brexit-Hardliner an.

Unter anderem stellte May eine Abstimmung darüber in Aussicht, ob es ein Referendum über ihr Austrittsabkommen geben solle. Den Gesetzentwurf selbst will sie an diesem Freitag veröffentlichen. Doch die Reaktionen auf ihre Vorschläge fielen vernichtend aus.

Noch am Abend gab Mays Ministerin für Parlamentsfragen Leadsom ihr Amt auf. Sie glaube nicht, dass der Ansatz der Regierung den Wählerwillen aus dem Brexit-Referendum von 2016 erfülle, schrieb Leadsom an die Premierministerin. Die jüngsten Gesetzesinitiativen zum EU-Austritt seien vom Kabinett weder vernünftig geprüft noch gebilligt worden. Indirekt rief sie May zum Rücktritt auf. „Ich fordere Sie jetzt auf, die richtigen Entscheidungen im Interesse des Landes zu treffen.“

Leadsom nahm als „Leader of the House of Commons“ eine zentrale Rolle im Kabinett der Premierministerin Theresa May im Konflikt mit dem Parlament ein. Die Brexit-Befürworterin war nach dem Votum der Briten für den EU-Austritt 2016 und dem Rücktritt von David Cameron als Regierungschef zunächst gegen May angetreten, hatte sich dann aber aus dem Rennen zurückgezogen. Es galt nicht als ausgeschlossen, dass noch weitere Kabinettsmitglieder ihren Hut nehmen.

Corbyn: „Neu verpackte Version“ des abgelehnten Deals

Oppositionschef Jeremy Corbyn bezeichnete Mays Vorschläge als „wenig mehr als eine neu verpackte Version“ des bereits mehrfach abgelehnten Abkommens. Zudem könne May nicht dafür garantieren, dass sich ihr Nachfolger an ihre Versprechungen halten werde. May habe nur noch Tage im Amt, prophezeite Corbyn. „Es ist klar, dass kein Zugeständnis die Wahl des anstehenden Tory-Parteichefs überstehen würde.“ Er forderte eine Neuwahl.

Mehrere konservative Abgeordnete fordern May direkt zum Rücktritt auf. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Parlament, Tom Tugendhat, rief May dazu auf, ihren Rücktritt nach der britischen Wahl zum Europaparlament an diesem Donnerstag anzukündigen. „Es gibt noch eine letzte Gelegenheit, es richtig zu machen und in geregelter Weise zu gehen“, schrieb Tugendhat in der „Financial Times“. Umfragen sagen eine krachende Niederlage für Mays Konservative voraus.

Noch am Abend beriet Berichten zufolge der 1922-Ausschuss der Konservativen Partei über Mays Schicksal. Das Gremium ist für die Organisation der Wahl und auch der Abwahl des Parteichefs zuständig. Spekuliert wurde, das Gremium könne die Regeln ändern, um ein schnelles neues Misstrauensvotum gegen May als Parteichefin und damit als Premierministerin zu ermöglichen. Bislang kann ein Misstrauensvotum nur einmal in zwölf Monaten stattfinden. Ein Versuch war im vergangenen Dezember gescheitert. Zu der Regeländerung kam es laut Teilnehmern am Mittwoch nicht, doch werde May an diesem Freitag mit dem Ausschussvorsitzenden Graham Brady zusammentreffen.

Wenn May stürzt, ist eine Neuwahl wahrscheinlich

Im Falle eines Rücktritts oder einer Abwahl Mays müssten die Konservativen einen neuen Parteichef wählen, der dann auch das Amt des Regierungschefs einnehmen würde. May hat bereits zugestimmt, einen Zeitplan dafür nach der Abstimmung über ihren Brexit-Gesetzentwurf vorzulegen. Beschleunigt werden könnte ihr Sturz, sollten die Konservativen stärker als erwartet bei der Europawahl abgestraft werden. Die Ergebnisse werden erst am Sonntag veröffentlicht. Die Umfragen deuten auf einen Erdrutschsieg für die Brexit-Partei von Nigel Farage hin. Nichts ändern würde ein Führungswechsel an den knappen Mehrheitsverhältnissen im Parlament.

Eine Neuwahl gilt daher für den Fall, dass May stürzt, als wahrscheinlich. Fraglich ist, ob sich eine der großen Parteien dabei eine absolute Mehrheit sichern könnte. Sollte es weder für eine Tory- noch für eine Labourregierung reichen, gäbe es möglicherweise weiterhin keinen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse.

Für Nachverhandlungen mit der EU würde dann der politische Spielraum fehlen. Aus Brüsseler Sicht ist ohnehin nur eine Nachjustierung an der Politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen möglich, nicht aber an dem rechtlich verbindlichen Abkommen über den Austritt. Am ehesten scheint die Labour-Partei mit ihrem Plan für eine engere Anbindung an die EU ein erfolgversprechendes Konzept für neue Gespräche mit Brüssel zu haben.

Boris Johnson könnte Mays Nachfolger werden

Ein Brexit ohne Abkommen mit möglicherweise drastischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche ist das Ziel einiger konservativer Brexit-Hardliner wie Ex-Außenminister Boris Johnson. Er gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge Mays. Sollte bis zum Ende der Austrittsfrist am 31. Oktober nichts anderes vereinbart werden, würde es zu einem sogenannten No-Deal-Brexit kommen.

Ein Ausweg könnte ein zweites Referendum über den Brexit sein. Umstritten ist aber, welche Optionen dabei den Wählern vorgelegt werden. Premierministerin May will das Parlament darüber abstimmen lassen, ob es ein Referendum über ihr Abkommen geben soll. Was im Falle einer Ablehnung geschehen soll, ließ sie offen. Denkbar wären ein „No Deal“ oder ein Verbleib in der EU.

Theoretisch könnte Großbritannien den Brexit einfach absagen. Eine einseitige Rücknahme der Austrittserklärung ist einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zufolge noch bis zum tatsächlichen Austritt ohne Weiteres möglich. Die Briten hatten im Juni 2016 bei einer Volksabstimmung mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt. (dpa)

Zur Startseite