Neuer Ärger für Theresa May: Minister wollen offenbar Brexit-Nachverhandlung erzwingen
Fünf Minister drohen der britischen Premierministerin Theresa May mit Rücktritt. Sie verlangen Nachbesserungen beim Brexit-Abkommen.
Die britische Premierministerin Theresa May muss mit neuem Ärger in ihrem Kabinett wegen des Brexit-Abkommens rechnen. Wie unter anderen die „Times“ unter Berufung auf Kabinettskreise am Samstag berichtete, drohen fünf Minister mit Rücktritt, sollte May keine Änderung zum sogenannten Backstop durchsetzen.
Mit Backstop werden jene Vorkehrungen im Austrittsabkommen bezeichnet, die verhindern sollen, dass Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland notwendig werden. Es ist der umstrittenste Teil des Abkommens.
Brexit-Hardliner in Mays Konservativer Partei befürchten, dass die gefundene Notfalllösung zum Dauerzustand wird. Sie sieht vor, dass Großbritannien als Ganzes de facto Teil der Europäischen Zollunion bleibt. Das Problem: Als Mitglied der Zollunion kann Großbritannien keine neuen Freihandelsabkommen wie beispielsweise mit den USA abschließen. Das gehört aber zu den wichtigsten Versprechungen des Brexit-Befürworter aus dem Wahlkampf vor dem Referendum von 2016. Ihnen zufolge wird Großbritannien durch die EU-Mitgliedschaft davon abgehalten, wieder zu alter Größe als globale Handelsnation zurückzukehren.
Auch für die nordirisch-protestantische DUP, von deren Stimmen Mays Minderheitsregierung abhängt, ist der Backstop nicht akzeptabel. Sie fürchten, Nordirland könnte durch die Regelung langfristig enger an Irland als an Großbritannien gebunden werden. Es ist deshalb unklar, wie May eine Mehrheit für den Deal im Parlament bekommen will.
Die Chancen, dass sich die EU auf substanzielle Nachverhandlungen einlässt, gelten als gering. An der Backstop-Regelung hatten Unterhändler in Brüssel monatelang gefeilt.
Putsch-Gefahr in Parlamentsfraktion
Im Streit um das Abkommen haben bereits Brexit-Minister Dominic Raab und Arbeitsministerin Esther McVey ihre Ämter niedergelegt. An Raabs Stelle trat inzwischen der bislang als unscheinbar geltende Stephen Barclay, er soll sich vor allem um die Brexit-Vorbereitungen innerhalb Großbritanniens kümmern. Für McVey kehrte die May-Verbündete Amber Rudd ins Kabinett zurück.
Neben der Rebellion im Kabinett muss May auch mit einem Putsch ihrer Parlamentsfraktion rechnen. Seit Tagen wird über einen unmittelbar bevorstehenden Misstrauensantrag spekuliert.
May verteidigte das Brexit-Abkommen in den vergangenen Tagen trotz allen Widerstands energisch. Sie erhält dabei Unterstützung von unerwarteter Seite: Zwei große konservative Boulevardzeitungen, die bisher als Sprachrohr der Brexit-Hardliner galten, der „Daily Express“ und die „Daily Mail“ rühren inzwischen die Werbetrommel für die Regierungschefin. In einem großen Interview mit der „Mail“ zeigte sich May am Samstag von ihrer menschlichen Seite. Sie berichtete, wie sie ihr Mann Philip mit irischem Whisky und Toast mit Bohnen wieder aufrichtete, nachdem sie in einer stundenlangen Parlamentsdebatte in die Mangel genommen worden war.
Droht ein Brexit ohne Abkommen?
May ist überzeugt, dass sie das maximale Ergebnis mit ihrem Brexit-Abkommen erreicht hat. „Keine enormen Geldüberweisungen mehr an die EU, eine Ende der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, raus aus der gemeinsamen Agrarpolitik, raus aus der gemeinsamen Fischereipolitik, raus aus der Zollunion, raus aus dem Binnenmarkt, unabhängiger Handels- und Küstenstaat“, zählte sie ihre Errungenschaften aus dem Deal auf. Doch all das fände zu wenig Beachtung.
Großbritannien wird die EU am 29. März 2019 verlassen. Sollte das britische Parlament dem ausgehandelten Abkommen nicht zustimmen, droht ein Austritt ohne Abkommen mit unabsehbaren Folgen für alle Lebensbereiche. Besonders für die Wirtschaft wäre mit großen Verwerfungen zu rechnen - nicht nur in Großbritannien
Davor warnt auch der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. Ein Brexit ohne Abkommen wäre „desaströs“ sagte er den Zeitungen der „Funke“-Mediengruppe am Samstag. „Er brächte in Europa Zehntausende von Unternehmen und Hunderttausende von Arbeitnehmern auf beiden Seiten des Ärmelkanals in größte Schwierigkeiten.“
Betroffen seien in diesem Fall vor allem die Branchen Fahrzeug- und Flugzeugbau, Chemie und Pharma, Maschinenbau und Elektroindustrie, aber auch viele Dienstleistungen, von Banken bis Tourismus, so Kempf. Deutsche Unternehmen rief er auf, für den schlimmsten Fall zu planen.
An die Abgeordneten des britischen Parlaments gerichtet sagte Kempf, sie müssten sich nun „ihrer großen Verantwortung bewusst sein“. Neuverhandlungen seien kein Ausweg. (dpa)