Vizekanzler düpiert Umweltministerin: Mieses Klima zwischen SPD-Ministern
Aus Sorge um die Braunkohleregionen blockiert Vizekanzler Gabriel den Klimaschutzplan 2050 von Umweltministerin Hendricks - angeblich nur wenige Tage.
Am Tag danach muss sich der Sprecher der Umweltministerin winden. „Sie hat keine Luftsprünge gemacht, als sie die Nachricht gehört hat“, sagt Michael Schroeren. Warum der Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel den Klimaschutzplan 2050 seiner Parteifreundin und Umweltministerin Barbara Hendricks in letzter Minute aufgehalten habe, wird Schroeren weiter gefragt. Die Antwort: ein stummes Schulterzucken.
Regierungssprecher Steffen Seibert versucht in der gemeinsamen Pressekonferenz, die Situation zu retten: „Es war eine gemeinsame Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Gabriel, dass der Plan nicht ins Kabinett kommt.“
Zurücktreten will Hendricks nicht
Das ist formal richtig. Und doch ist es ein seltener Vorgang, dass die zuständige Ministerin noch am Dienstag davon ausgeht, dass ihr mühsam auch mit der Union ausgehandelter Klimaschutzplan am Mittwoch durch das Kabinett geht und im ZDF von einem „Durchbruch“ spricht, während ihr Parteivorsitzender in der Runde der Koalitionsspitzen sein Veto gegen den Plan einlegt. Der Affront ist so offensichtlich, dass Hendricks Sprecher am nächsten Tag gefragt wird, ob seine Ministerin an Rücktritt gedacht habe. Pflichtschuldig sagt Schroeren, dazu gebe es „keinen Anlass“.
Was hat Gabriel dazu gebracht, seine Genossin so vorzuführen? Der Minister begründet die Vollbremsung in letzter Minute mit seiner Sorge um die Braunkohleregionen. Der „Funke-Mediengruppe“ sagte er, bevor es überhaupt zu einer Verringerung der Kohleverstromung kommen könne, müsse es in den Regionen Perspektiven und Ersatzarbeitsplätze geben. Auch ein Gremium für den Kohleausstieg, das Hendricks noch dieses Jahr an den Start bringen wollte, lehnte Gabriel ab: „Mit mir wird es eine solche Kohleausstiegskommission nicht geben. Erst müssen realistische Ideen und auch das Geld auf den Tisch, wie wir vor Ort Arbeit, Einkommen und Wohlstand sichern. Danach reden wir über die schrittweise Abnahme der Bedeutung der Kohleverstromung. Nicht umgekehrt.“
Widerstand von Gewerkschaft und Industrie
Der Einspruch Gabriels kam umso überraschender, da sein Ressort den ersten Entwurf von Hendricks schon im Sommer grundlegend überarbeitet und insbesondere die Passagen zu Energie und Kohle deutlich abgeschwächt hatte. Die im Text vorgeschlagene Kommission, die sich mit Zeitplan und Folgen eines Kohleausstiegs befassen sollte, blieb allerdings im Konzept. Später hatte auch Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) auf Druck des Wirtschaftsflügels der Union weitere Passagen geändert. Zuletzt hatten die CSU-geführten Ressorts für Verkehr- und Landwirtschaft noch Bedenken gegen den Plan, die aber am Montag ausgeräumt worden waren.
Wichtiger als die Vorbehalte der Union waren Gabriel aber die offene Gegenwehr der Industrie-Gewerkschaft IG-BCE und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) – schließlich sieht sich der Minister auch als Industriepolitiker. Die IG-BCE kämpft verbissen für die Braunkohle, und der BDI warnt seit Jahren vor der Energiewende. Der SPD-Chef selbst hatte gesagt, er erwarte, dass die Braunkohle noch bis in die 2040er-Jahre eine Rolle spielen werde. Damit widersprach er Hendricks ganz offen. In der letzten Fassung des Klimaplans wurde schon gar kein Zeitplan für den Kohleausstieg mehr genannt.
Dass es Hendricks gelungen war, sich mit den CSU-Ministern für Verkehr und Landwirtschaft zu einigen, war für Gabriel ebenfalls Anlass zu Kritik: „Verkehr und Landwirtschaft schonen, dafür aber die Belastungen immer mehr auf die Energieerzeugung und die Industrie zu verlagern, führt am Ende zu höheren Stromkosten und dem Verlust an industriellen Arbeitsplätzen“, sagte er.
Umweltverbände greifen Gabriel an
Trotz des offen ausgetragenen Streits versicherten am Mittwoch alle Beteiligten, man werde sich bis zum Wochenende einigen, sodass Hendricks doch noch mit einem abgestimmten Plan zur Weltklimakonferenz nach Marrakesch fahren kann. Das Kabinett soll dann nächsten Mittwoch zustimmen.
Die Kritik der Umweltverbände war Gabriel gleichwohl sicher. Hendricks sei „von ihrem eigenen Parteichef düpiert“ worden, so WWF-Klimaexpertin Regine Günther. „Gabriel sollte sich überlegen, ob er das Vertrauen in Politik durch zynische Taktiererei weiter untergraben will“, forderte Christoph Bals von Germanwatch. „Hier wurde eine wichtige Chance vertan“, kritisierte der Chef-Ökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer.