Berlins Regierender zum SPD-Vorsitz: Michael Müller will Andrea Nahles nicht für den Übergang
Drei Landesverbände lehnen es ab, die Fraktionschefin zur kommissarischen SPD-Vorsitzenden zu befördern. Berlins Regierender wünscht sich ein "geordnetes Verfahren".
In der SPD wächst der Widerstand gegen eine vorzeitige Übergabe des Parteivorsitzes an Andrea Nahles. Aus den Landesverbänden in Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen-Anhalt kam Widerspruch gegen das Vorhaben, Nahles bis zu einer Neuwahl der Parteispitze kommissarisch die Führung zu übertragen. Die Sozialdemokraten aus diesen Ländern forderten, in der Übergangszeit solle stattdessen einer der sechs Stellvertreter des bisherigen SPD-Chefs Martin Schulz die Aufgabe übernehmen. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange kündigte überraschend ihre Kandidatur für den Parteivorsitz an - als Alternative zu Nahles.
Präsidium und Vorstand der Sozialdemokraten wollten im Laufe des Tages über das weitere Vorgehen beraten. Erwartet wurde bisher, dass Schulz seinen sofortigen Rückzug vom Parteivorsitz verkündet. Führende SPD-Politiker hatten sich dafür ausgesprochen, Nahles rasch zur kommissarischen Parteichefin zu ernennen. Sie müsste dann binnen drei Monaten formal bei einem Parteitag gewählt werden.
Das Prozedere stößt aber auf viel Kritik. Der Landesparteirat in Schleswig-Holstein sprach sich dagegen aus, Nahles als kommissarische Parteivorsitzende zu benennen - und votierte stattdessen dafür, dass ein Bundes-Vize die Geschäfte kommissarisch fortführt, bis die Nachfolge beim Parteitag geregelt ist. Es gehe nicht gegen die Person Nahles, sondern darum, ein geordnetes Verfahren zu finden, damit nicht der Verdacht aufkomme, da werde etwas ausgeklüngelt, sagte der Bundestagsabgeordnete Sönke Rix, der Mitglied des Gremiums ist.
Auch die Landesverbände Berlin und Sachsen-Anhalt sind dagegen
Auch die SPD in Berlin und Sachsen-Anhalt stellten sich dagegen, Nahles im Schnellverfahren zur neuen Parteivorsitzenden zu machen. Sie plädierten ebenso dafür, die Führung übergangsweise in die Hände eines Parteivizes zu legen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sagte vor der Sitzung der SPD-Spitzengremien in Berlin, sein Landesverband wünsche sich, „dass die Vorsitzenden wieder, so wie es üblich ist, über ein geordnetes Verfahren von Delegierten auf einem Bundesparteitag gewählt werden und nicht eher im Jahresrhythmus ernannt werden.“
Auch Müller glaubt, dass die kommissarische Leitung Sache einer der sechs stellvertretenden Vorsitzenden sei. „Die sind auch dafür da, dass sie in solchen Situationen dann auch die Geschäfte führen können.“ Müller machte allerdings auch klar, dass sich die Forderung nicht gegen Nahles richte. Sein Landesverband unterstütze die Kandidatur der Fraktionschefin im Bundestag. Sie sei eine „starke und gute“ Kandidatin. Parteipräsidium und -vorstand wollten am Dienstag nacheinander über das weitere Vorgehen beraten.
Es gibt auch rechtliche Bedenken. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD, Harald Baumann-Hasske, sagte der „Welt“ zu dem Nahles-Plan: „Dafür gibt es satzungsmäßig keine Grundlage, dies ist in unseren Statuten nicht vorgesehen.“
Seit Gründung der Bundesrepublik gab es nur zwei vergleichbare Fälle bei der SPD: 2008 übernahm Frank-Walter Steinmeier kommissarisch die Führung, nachdem Kurt Beck im Streit um die Kanzlerkandidatur abgetreten war. Johannes Rau war 1993 kommissarisch Vorsitzender - nach dem Rücktritt von Björn Engholm im Zuge der Barschel-Affäre. Aber noch nie wurde jemand kommissarisch SPD-Chef, der nicht den Stellvertreterposten innehatte. (dpa)