Berlins Regierungschef in Los Angeles: Michael Müller - so far, so good
Ob das eine gute Idee ist: verreisen? Amerika. Los Angeles. Doch Berlins Regierender Bürgermeister beschließt: Jetzt erst recht. Und kommt in der Ferne bei sich an.
Vielleicht ist er der einzige echte Mensch hier. Kann schon sein in dieser Stadt, in der alles nur scheint. Sogar die Filmstudios hier oben in Hollywood. Da sind nicht einmal mehr die Kulissen wahrhaftig. Die tun nur so, als würden sie benutzt, um den Kameras vorzugaukeln, dass dies hier eben nicht Los Angeles ist, sondern New York. Oder Berlin. Oder das Harry-Potter-Schloss Hogwarts. Machen sie aber gar nicht. Keiner dreht hier. Sie stehen nur da für die Touristen. Zum Gucken. Michael Müller guckt auch.
Er sitzt in einem offenen Waggon auf dem Gelände der Universal Studios und blickt auf eine gecrashte Boeing am Wegesrand und auf die Karren aus The Fast and the Furious. Schaut auf einen Straßenzug, der gerade künstlich geflutet wird – und auf Saurierkadaver. Fährt vorbei an Problemen, die nur Show und vor allem nicht seine sind. Und ja, für diesen Luxus muss man als Regierender Bürgermeister Berlin derzeit verlassen.
Es ist die erste Station seiner viertägigen Reise anlässlich der 50-jährigen Städtepartnerschaft zwischen Los Angeles und Berlin. Sie wird ihn zum Bürgermeister von Los Angeles führen, auf die Dächer der Stadt, in Galerien, in eine Universität, auf Partys und zu der Frage, ob hier einfach keine Rolle spielt, wer keine Rolle spielt.
Während seine Rolle in der Heimat von den eigenen Parteikollegen gerade in Frage gestellt wird, ist sie in L.A. klar: Er ist der Regierende Bürgermeister der vielleicht hipsten und coolsten Stadt der Welt. Zu Besuch in der Stadt, die gerne das gleiche von sich behauptet. Er wird begleitet von einer Delegation Berliner Unternehmer, denen er Türen öffnen soll zu einem der wichtigsten Märkte der Vereinigten Staaten. Müller ist Berlin. Berlin ist Müller. Kann das aufgehen?
An einem Nachmittag steht er im Anzug vor dem Hilton Hotel in der Grand Avenue, in einer Hand die Krawatte, die er abnimmt, wann immer es möglich ist. In der anderen hält er eine plakatgroße Plakette, darauf prangt sein Name in einem roten Hollywood-Stern. Ein Geschenk von Eric Garcetti, dem Bürgermeister von Los Angeles. Auf der Rückseite steht: Gift of Fame Enterprises. Die Firma stellt originalgetreue Hollywood-Sterne her für Leute, die nicht berühmt genug sind für einen echten auf dem Boulevard. Ist aber sowieso nicht sein Ding, der Glamour. Er steigt in den Fahrstuhl zu seinem Zimmer und sagt: „So, jetzt zieh’ ich mir Jeans an und dann gehe ich spazieren.“
Er wurde bejubelt für seine Attitüde
Michael Müller geht gern spazieren. Meist so schnell, dass seine Entourage kaum hinterherkommt. Wenn er spazieren geht, bestimmt er das Tempo. Die Richtung auch. Die anderen werden schon nachlaufen. Könne schon sein, hat er Ende 2014 gesagt, als sie ihn auf dem Parteitag zum Nachfolger von Klaus Wowereit machten, dass es in Zukunft „vielleicht ein bisschen langweiliger“ werde. Alle haben ihn bejubelt damals für seine So-bin-ich-halt-Attitüde.
Der Jubel ist verstummt. Das mag auch daran liegen, dass es dann ja nicht so richtig langweilig geworden ist. Die SPD, so viel ist seit der Bundestagswahl klar, hat in Berlin nur noch eine historisch niedrige Zustimmung von 17,6 Prozent, hinter CDU und Linken. Der Volksentscheid über die Schließung von Tegel ging für den Senat – der dafür war – überdeutlich verloren, der Wohnungsbau kommt nicht voran, Air Berlin ist pleite, und den BER hat auch noch niemand eröffnet.
In der SPD fragen sie gerade wieder etwas lauter, ob das nicht mit ihm zu tun haben muss. Die Debatte um eine Nachfolge von Müller, zunächst nur als Parteichef, hat die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey längst eröffnet. Fraktionschef Raed Saleh, Müllers ewiger Konkurrent, hält sich bereit.
Deswegen schauen sie alle auf ihn, als Müller am ersten Abend der Reise in Los Angeles auf künstlichem Rasen steht, hoch oben zwischen den Dächern der Stadt in einem Biergarten, der irgendwie deutsch anmuten soll. Er ist umringt von den Berliner Unternehmern, die in der Delegation der Industrie- und Handelskammer unterwegs sind.
Wende-Bürgermeister Walter Momper, Parlamentspräsident Ralf Wieland, einige Abgeordnete – sogar einer von der AfD – sind dabei, als Michael Müller sich das Mikrofon schnappt und einfach ausspricht, was sowieso alle denken: Ja, er habe schon überlegt, ob man in einer solchen Zeit jetzt die Stadt verlassen sollte und sei es nur für ein paar Tage. Aber, habe er dann eingesehen, gerade in so einer Situation müsse man fliegen! Sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, Verlässlichkeit zeigen.
Die umstehenden Wirtschaftsleute klatschen ein bisschen zu euphorisch. Denn längst hat unter ihnen das Gerücht die Runde gemacht, dass Müller in der Tat noch kurz zuvor mit dem Gedanken gespielt hatte, die Reise abzusagen. Nach zwei Jahren Planung! Dann, bemerkt einer der Unternehmer nach Müllers Rede, „wäre er aber auch durch gewesen“.
Die Begeisterung ist echt
Wenn Müller der Druck verunsichert, lässt er es sich nicht anmerken. Drei, vier Stationen pro Tag stehen in seinem Programm. Mehr ist nicht zu schaffen, die Wege in Los Angeles sind weit, der Verkehr ein Desaster. Im Bus studiert er vor jedem Termin seine Briefings, geht wieder und wieder seine Ansprachen durch. Die sind auf Englisch, was ihm ein bisschen schwer fällt, da will er nichts falsch machen. Aber tatsächlich sind es die Momente wenn er frei spricht, sich löst vom Geschriebenen, in denen er am meisten bei sich ist. Dann holpert die Sprache, aber die Amerikaner spüren, dass die Begeisterung echt ist. Vor allem wenn er von seiner Stadt spricht.
Es gibt einen in Los Angeles, der das Konzept von Schein, Sein und wie das eine zum anderen wird, durchdrungen hat wie kein zweiter: Eric Garcetti. Der wurde im März mit mehr als 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt und tut jetzt so, als sei er mit Leib und Seele Bürgermeister von Los Angeles. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass er eigentlich Präsident werden möchte. Oder Gouverneur. Zumindest Senator.
Müller sagt, er habe gleich beim ersten Treffen mit ihm gespürt, dass aus dem mal Großes werden könnte. „Is’n guter Typ.“ Sagt aber auch: „Er ist, wie er ist, und ick bin wie ick bin.“
Am Donnerstag hält Müllers schwarzer Bus direkt vor der City Hall in Downtown. In großen Schritten nimmt Müller die Stufen zum Eingang, wo Eric Garcetti schon wartet, lacht, winkt und Müller einfach in den Arm nimmt. „So good to see you, Michael!“ Er führt ihn zu seinem Büro, im Flur hat er Fotos von sich selbst aufhängen lassen. Beim Kayak-Fahren, beim Einkaufen auf dem Bauernmarkt, vor Sehenswürdigkeiten in anderen Städten.
Garcetti ist witzig, sein Lächeln weiß, es wirkt spontan – muss harte Arbeit gewesen sein. Müller weiß schon, dass er neben so einem ein bisschen blass wirken muss. Abends im Hotel wird er mit seinen Mitarbeitern scherzen, dass er dafür die Mundwinkel so weit nach unten ziehen kann, wie kein anderer. Er macht es vor. So – die Lippen formen sich zu einem dünnen umgedrehten U – sehe das dann aus. Da müsse er nur an die Leute denken, die ihm immer seine Unzulänglichkeiten vorhalten. Dann gehe das von ganz alleine. Da muss er doch grinsen.
Das Gespräch zwischen Müller und Garcetti ist nicht öffentlich. Aber vorher tauschen sie für die Kameras noch Geschenke aus. Müller bekommt den Hollywood-Stern und Garcetti eine Armbanduhr. Garcetti lässt sie sofort auf den Boden fallen und es ist das erste Mal, das Müller laut und ehrlich lacht während dieser doch sehr förmlichen Reise.
Weil es ja gar nicht um die Geschenke geht, sondern um etwas, dass sich beide nicht kaufen können. Für eine nationale Karriere braucht Garcetti ein internationales Profil. Da kommt der Besuch des Regierenden Bürgermeisters von Berlin mit einer ganzen Delegation aus Kultur, Politik und Wirtschaft sehr gelegen.
Die Sorgen der Genossen? Kleinkariert
Und Müller kriegt von Garcetti etwas, dass ihm die Gegner zuhause nicht so leicht zerreden können: ein echtes Projekt. In einer Zeit, in der US-Präsident Donald Trump aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen will und wissenschaftliche Erkenntnisse für Schwachsinn erklärt, auf deutliche Distanz zur Kanzlerin geht und die deutsch-amerikanischen Beziehungen noch schwieriger sind als zu Zeiten von Bush Jr., machen Garcetti und Müller einfach weiter. Am Abend unterzeichnen sie ein Papier, wonach Los Angeles’ Wasser und Stromwerke künftig Knowhow mit der Berliner Energieagentur austauschen sollen. Tags darauf kann Müller bekanntgeben, dass dank eines neuen Stipendienprogramms bald Klimaforscher aus Kalifornien an deutschen Unis arbeiten werden.
Da sind die Sorgen der Genossen zuhause ziemlich kleinkariert. Oder wirkt das jetzt nur so?
Letzter Abend in Los Angeles. Michael Müller trägt schwarzes Hemd, zum schwarzen Anzug, geht über den roten Teppich ins Theatre at Ace Hotel. Dort findet die Premiere der TV-Serie „Babylon Berlin“ statt. Nicht die richtige natürlich, die war schon in Berlin, aber fürs internationale Publikum gibt es nochmal eine. Bevor es losgeht, rufen sie Müller auf die Bühne. „I wish you a very good evening“, sagt er. „I think this is a very important work"
Dann vermischt sich auf der Leinwand das Berlin der 1920er Jahre mit der Fantasie von Regisseur Tom Tykwer und der Romanwelt von Volker Kutscher zur einer visuellen Explosion aus Gewalt, Tanz, Sex, Musik, Drogen, Licht und Finsternis. Von allem zu viel und alles auf einmal.
Als die Lichter wieder angehen, wird die Bühne vor der Leinwand zur Party-Zone mit Musik und Champagner. Müller eilt in den VIP-Bereich oberhalb des Saals, wo es etwas ruhiger ist. Er hat ja schon die echte Premiere mitgemacht und kann sich nun für einen wenig beachteten Aspekt begeistern: die Druckerei in der Serie. Da, wo am Ende in einer minutenlangen Gewaltorgie alle erschossen werden, da stimme einfach jedes Detail. „Ich könnte mit jeder Maschine darin umgehen.“ Sehe genauso aus, wie bei ihm früher. Da hätten sie gleich in der Druckerei drehen können, in der er damals gelernt hat, bevor er in die Politik ging.
Er wirkt gelöst, die Reise, sagt er, habe sich gelohnt. Ganz besonders der Spaziergang. Mit den Architekten von Graft, die bald den deutschen Pavillon für die Biennale entwerfen, ist er durch L.A. gelaufen, hat sich die Disney Concert Hall angesehen und Galerien in Vierteln, die noch diesen heruntergekommenen Chic haben, den hier alle mit Berlin verbinden, der aber hier wie dort langsam verschwindet, bis er Eigentumswohnungen weicht. Er hat einen Blick geworfen in die Sammlung zeitgenössischer Kunst im Museum „The Broad“, hat in einer alten Eisenbahnerkantine für die ganze Delegation Kaffee geholt und fand, das war ein richtig gelungener Tag.
Im VIP-Bereich kommt immer mal wieder jemand vorbei und möchte ein Selfie mit Müller. Sie mögen ihn hier so, wie er ist. Noch einmal anstoßen, bevor es am Sonntag zurück nach Berlin geht, zurück nach Tegel. Die Champagner-Gläser übrigens, bemerkt Müller noch und klopft vorsichtig dagegen, die sind aus Plastik.