Prozess gegen deutsche Journalistin: Mesale Tolu darf Türkei überraschend verlassen
Die Ausreisesperre für die in der Türkei angeklagte Mesale Tolu wird aufgehoben. "Eine wunderbare Nachricht", heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Der Prozess gegen die deutsche Journalistin geht aber weiter.
Die wegen Terrorvorwürfen in der Türkei angeklagte deutsche Journalistin Mesale Tolu darf die Türkei verlassen. Ein Gericht habe die Ausreisesperre gegen Tolu aufgehoben, teilte der Solidaritätskreis „Freiheit für Mesale Tolu“ am Montagmorgen mit. Der Prozess werde allerdings weitergeführt. Tolus Mann, Suat Çorlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, werde vorerst in der Türkei bleiben müssen. Seine Ausreisesperre bleibe bestehen, heißt es in der Erklärung weiter.
Tolu selber bestätigte die Nachricht später per Twitter. "Die Meldungen über die Aufhebung meiner Ausreisesperre sind richtig", schrieb sie. "Ich bedanke mich bei meinem Unterstützerkreis und bei allen, die mit mir mitgefühlt und an meiner Seite sich für meine Freiheit eingesetzt haben."
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, begrüßte die Aufhebung der Ausreisesperre. "Das ist eine wunderbare Nachricht, ich freue mich sehr", sagte er dem Tagesspiegel. Roth hatte Tolu mehrfach auf seinen Reisen in die Türkei getroffen.
Im Juni vergangenen Jahres sagte Roth dem Deutschlandfunk am Rande eines Besuchs in der Türkei: "Es geht um die Medienfreiheit, um die unabhängige Arbeit von Journalistinnen und Journalisten generell, und die ist eben derzeit stark eingeschränkt." Die Inhaftierung von Journalisten sei mit den europäischen Werteprinzipien nicht vereinbar. Ankara sei Lichtjahre von einer europäischen Perspektive entfernt, weil die Türkei die notwendigen Werteprinzipien nicht einhalte.
Tolu wird nach Angaben ihrer Unterstützer schon in Kürze in Deutschland erwartet. "Wir, der Solidaritätskreis "Freiheit für Mesale Tolu" freuen uns, Mesale nach mehr als 17 Monaten, am 26. August, wieder in Deutschland begrüßen zu dürfen", heißt es in der Mitteilung weiter. Zudem wurde darauf verwiesen, dass der Prozess gegen die Journalistin weitergeführt werde und ihr dabei bis zu 20 Jahre Haft drohten. "Von einem rechtsstaatlichen Verfahren kann weder für Mesale, noch für alle anderen zu unrecht inhaftierten Menschen keine Rede sein."
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Der Fall Tolu hatte, zusammen mit dem des „Welt“-Reporters Deniz Yücel und des Menschenrechtlers Peter Steudtner, die Beziehungen zu Deutschland schwer belastet.
Die Entscheidung kam überraschend. Noch Ende April hatte das Istanbuler Gericht bei der Fortsetzung des Prozesses gegen Tolu entschieden, die Ausreisesperre gegen die 33-Jährige aufrechtzuerhalten. Am 18. Dezember war sie per Gerichtsbeschluss aus der Haft entlassen worden, aber mit einer Ausreisesperre belegt worden. Zuvor hatte sie mehr als sieben Monate in Istanbul in Untersuchungshaft gesessen. Zwischenzeitlich war ihr kleiner Sohn bei Tolu im Gefängnis. Die Verhandlung gegen Tolu, der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen wird - gemeint ist die linksextreme MLKP - soll am 16. Oktober fortgesetzt werden.
Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dagdelen, sagte: "Ich freue mich, dass Mesale Tolu die Türkei verlassen und mit ihrem kleinen Sohn endlich wieder in ihrer Heimatstadt Ulm leben kann. Die Aufhebung der Ausreisesperre für die deutsche Journalistin war überfällig. Statt aber wie in der SPD über Finanzhilfen für das islamistische Erdogan-Regime zu räsonieren, ist Druck auf die Türkei notwendig, damit auch die anderen deutschen Geiseln aus türkischer Haft kommen und ausreisen dürfen, darunter auch Mesale Tolus Mann Suat Corlu."
Türkische Annäherungsversuche
Die Entscheidung des Gerichts kommt inmitten einer Serie von Annäherungsversuchen der Türkei an Europa und speziell Deutschland. Mit den USA hat die Türkei sich wegen des in der Türkei festgehaltenen US-Pastors Andrew Brunson schwer überworfen. US-Präsident Donald Trump hatte Sanktionen und Strafzölle gegen die Türkei verhängt, um Brunson freizubekommen. Ankara erwiderte die Sanktionen. Das befeuerte eine Währungskrise - die Landeswährung Lira brach auf historische Tiefstände ein.
Am Mittwoch hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert, sein Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak sprach am Donnerstag mit seinem deutschen Kollegen Olaf Scholz.
Die Türkei hatte zudem schon am Dienstag zwei griechische Soldaten aus der Haft entlassen - ihre Festnahme hatte die Beziehungen zum Nachbarland Griechenland schwer belastet. Am Mittwoch kam dann überraschend auch Taner Kilic, Ehrenvorsitzende der in London ansässigen Menschenrechtsorganisation Amnesty International, aus der Untersuchungshaft frei. Kilic war vor mehr als einem Jahr ebenfalls wegen Terrorvorwürfen inhaftiert worden.
Beide Fälle schienen zuvor festgefahren. Die Türkei betont immer wieder die Unabhängigkeit der türkischen Justiz - Beobachter werten die Verfahren jedoch als politisch motiviert.
Finanzminister Albayrak hatte betont, dass eine Vertiefung der Beziehungen zu Europa und langfristige Zusammenarbeit die beste Antwort auf die Bedrohung durch die USA seien. Noch im vergangenen Jahr war das deutsch-türkische Verhältnis unter anderem wegen der Inhaftierung mehrerer Deutscher in der Türkei zerrüttet gewesen.
Noch sieben Deutsche in Haft
Allerdings gehen die Festnahmen weiter. Am vergangenen Mittwoch war ein weiterer Deutscher inhaftiert worden. Ihm werde vorgeworfen, über soziale Medien Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verbreitet zu haben, sagte sein Anwalt Ercan Yildirim der Deutschen Presse-Agentur. Sein Mandant Ilhami A. (46) sei am Mittwoch in der osttürkischen Provinz Elazig festgenommen worden. Kurz darauf habe ein Gericht entschieden, der Mann müsse in Untersuchungshaft. Zuerst hatte der NDR über den Fall berichtet.
Nach offiziellen Angaben sind in der Türkei derzeit sieben weitere Deutsche aus "politischen Gründen" in Haft. Darunter ist der 73-jährige Enver Altayli, der am 20. August ein Jahr lang ohne Anklageschrift in Einzelhaft sitzen wird, wie seine Familie der dpa sagte. Es gehe ihm gesundheitlich schlecht. Erst Ende Juli war der Deutsche Dennis E. im südtürkischen Hatay verhaftet worden. Auch ihm wird vorgeworfen, über soziale Medien Propaganda für die PKK verbreitet zu haben. Die PKK steht in der EU, den USA und der Türkei auf der Terrorliste.
Gegen andere Deutsche, die aus der Haft entlassen wurden und ausreisen durften wie der "Welt"-Reporter Deniz Yücel, gehen die Prozesse ebenfalls in Abwesenheit weiter. (mit dpa)
Matthias Meisner, Kai Portmann