Hilfe für die Türkei: Ist die SPD-Chefin von allen guten Geistern verlassen?
Andrea Nahles' Vorschlag, der Türkei unabhängig vom politischen Streit zu helfen, ist falsch. Hilfe für Erdogan liegt nur bei harten Auflagen im deutschen Interesse. Ein Kommentar.
Ist die SPD-Chefin von allen guten Geistern verlassen? Ihr Vorschlag, der Türkei ohne Rücksicht auf die politischen Konflikte mit Präsident Erdogan zu helfen, packt das Problem von der falschen Seite an. Jetzt ergibt sich vielmehr eine Gelegenheit, den unsäglichen Kurs zu korrigieren, den das Land unter Erdogan eingeschlagen hat.
Die Türkei sei "ein Nato-Partner, der uns nicht egal sein kann", sagt Andrea Nahles. Es ist gut, dass sie die Einsicht ausspricht: In einem Bündnis hat man Verpflichtungen. Das hört man von der SPD-Spitze ja nicht sehr oft, schon gar nicht wenn es darum geht, dass Deutschland seine militärischen Zusagen in der Allianz einhalten soll.
Erdogan verweigerte Besuch bei deutschen Soldaten
Aber sie wendet die richtige Erkenntnis falsch an. Die Türkei ist auf dem Papier ein Nato-Partner. Sie verhält sich aber nicht so. Mehrfach hat sie Alliierten die Nutzung ihrer Flughäfen verweigert. Erdogan war sogar so dreist, Bundestagsabgeordneten den Besuch deutscher Soldaten in der Türkei zu verweigern, die dort im Einsatz waren, um die Türkei zu schützen. In Syrien bekämpft Erdogan die kurdischen Milizen, obwohl diese den USA und anderen Nato-Staaten, die den IS bekämpften, als Bodentruppen dienten.
Deutschland sollte m.E. in dem Konflikt Türkei-USA einfach die Füße stillhalten. Wenn wir jemandem helfen müssen, dann den Kurden in Syrien und im Irak. Da könnte sich Frau Nahles mal profilieren, wenn ihr dazu etwas einfallen würde.
schreibt NutzerIn Gophi
Erdogan versucht, seine besonderen Interessen gegenüber Deutschland, den USA und anderen Verbündeten oft mit erpresserischen Methoden durchzusetzen: Er lässt deutsche und amerikanische Staatsbürger unter dem Vorwand verhaften, sie seien Anhänger der Gülen-Bewegung. Und er stellt dann Bedingungen für ihre Freilassung. Generell ist die Türkei nicht mehr auf dem Weg zu einem demokratischen Rechtsstaat, der sich an die Europäische Union annähert. Erdogan etabliert eine autoritäre Herrschaft mit diktatorischen Vollmachten für sich als Präsident.
Und Nahles sagt allen Ernstes, sie wolle der Türkei "unabhängig von den politischen Auseinandersetzungen mit Präsident Erdogan" helfen?
Die Türkei ist in einer gefährlichen Wirtschaftskrise, weil Erdogan auch gegen die ökonomischen Grundregeln verstößt, politisch motivierte viel zu niedrige Zinssätze statt marktgerechter Zinse anordnet und viel mehr Geld für megalomane Großprojekte ausgibt, als das Land erwirtschaftet. Damit macht er sich verwundbar.
Aktuell verschärft sich die Krise, weil Erdogan trotz seiner geschwächten Position weiter versucht, seine engsten Verbündeten zu erpressen - in diesem Fall die USA mit der Weigerung, einen amerikanischen Pfarrer freizulassen, den die Türkei unter dem Vorwand ins Gefängnis steckt, auch er sei Anhänger der Gülen-Bewegung.
Türkei nicht in den Zusammenbruch treiben
In dieser Lage wäre der richtige Platz für Deutschland eher an der Seite der USA als an der Seite Erdogans. Gewiss darf es nicht darum gehen, die Türkei mutwillig in den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu treiben. Sondern es läge im deutschen Interesse, die Lage zu nutzen, um eine Kursänderung Erdogans zu verlangen: Korrektur der falschen Wirtschaftspolitik, was wohl nur mit einem Hilfsprogramm des IWF geht; ein Ende der Erpressungsversuche gegenüber Nato-Verbündeten; und eine Regionalpolitik in Syrien und den Kurdengebieten, die die Interessen der Nato-Partner berücksichtigt und sich nicht allein danach richtet, wie Erdogan den Kurdenkonflikt innenpolitisch instrumentalisieren kann.
Das wäre gerade das Gegenteil von Nahles' Vorschlag, der Türkei ohne Rücksicht auf die politischen Ursachen der Krise und der Konflikte zu helfen. Für den Moment wäre es völlig falsch, der Türkei rasch Finanzhilfen anzubieten und den Druck auf Erdogan zu mindern. Vielmehr sollte sich die Bundesregierung mit anderen westlichen Partnern abstimmen, wie man Erdogan dazu bringt, von einem irrlichternden Autokraten wieder zu einem einigermaßen berechenbaren und verlässlichen Partner zu werden. Hilfe darf es nur unter harten Auflagen geben. Der Rückführungspakt mit der Türkei ist ein Beispiel dafür, dass dieses Konzept funktioniert: finanzielle Hilfe bei klar festgelegtem partnerschaftlichem Verhalten.
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