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Mesale Tolu steht mit ihrem Mann Suat Corlu am Donnerstag im Gericht.
© Linda Say/dpa

Mesale Tolu darf Türkei nicht verlassen: Die Türkei - ein Land wie ein Gefängnis

Ein türkisches Gericht bestätigt das Ausreiseverbot für die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu. Eine sachliche Begründung gibt es wieder nicht.

Seit Monaten hat Mesale Tolu auf diesen Augenblick gewartet. Vor der 29. Schwurgerichtskammer in Istanbul hat sie am Donnerstag endlich Gelegenheit, ihre Forderung nach Freispruch und dem Ende ihres Ausreiseverbotes zu begründen. Auf der Anklagebank spricht Tolu von ihrem kleinen Sohn Serkan, der in Deutschland in den Kindergarten gehen sollte, aber nicht kann, weil seine Eltern in der Türkei bleiben müssen. Seit einem Jahr geht das jetzt schon so.

Auch ihr Mann Suat Corlu und die anderen Angeklagten verlangen vor den Richtern das Ende ihrer Ausreiseverbote. Doch das Gericht bleibt hart. Alle müssen weiterhin in der Türkei bleiben; der nächste Verhandlungstag wird auf den 16. Oktober festgesetzt. Nach der Sitzung winkt Tolu zwei in Untersuchungshaft sitzenden Mitbeschuldigten nach, die in Handschellen zurück zum Gefängnis gebracht werden. Mehrere Monate lang saß Tolu 2017 selbst hinter Gittern, zeitweise hatte sie Serkan im Gefängnis bei sich. Seit Dezember ist sie auf freiem Fuß, doch muss in Istanbul bleiben.

Die aus Ulm stammende Übersetzerin ist ratlos: In ähnlichen Fällen hätten andere deutsche Angeklagte ohne Auflagen sofort ausreisen dürfen, sagt sie mit Blick auf den Menschenrechtler Peter Steudtner und den Journalisten Deniz Yücel. Bei ihr sei das von Anfang an anders gehandhabt worden.

„Es ist ein Schikane-Urteil“, schimpft die Linken-Politikerin Heike Hänsel, die wie der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, bei der Gerichtsverhandlung mit im Saal war. „Die Bundesregierung muss den Druck hier erhöhen.“

Eine sachliche Begründung für die Fortsetzung des Ausreiseverbots liefert das Gericht nicht. Tolu und ihre Mitangeklagten stehen wegen des Verdachts vor Gericht, linksextreme Terrorgruppen unterstützt zu haben. Es gebe keinerlei Beweise, schimpft Tolus Vater Ali Riza. „Die Akte ist leer.“

Steudtner, Yücel und andere durften ausreisen

Vor der Gerichtsverhandlung hatte sich Ali Riza Tolu noch darauf gefreut, seine Tochter und seinen Enkelsohn mit nach Deutschland nehmen zu können. Nun wird dies frühestens im Oktober geschehen. Dabei hatte die türkische Regierung in den vergangenen Monaten mehrmals signalisiert, dass sie an einem Ende der Krise in den Beziehungen zu Deutschland interessiert ist, die 2017 wegen der Inhaftierung von Bundesbürgern eskaliert war. Steudtner, Yücel und andere Deutsche sind seit dem vergangenen Sommer freigelassen worden, doch bei Tolu ist die türkische Justiz unerbittlich.

Auch bei Oppositionsjournalisten bleiben die türkischen Richter hart. Führende Reporter, Kolumnisten und Verlagsangestellte des regierungskritischen Blattes „Cumhuriyet“ wurden am Mittwochabend zu Haftstrafen von bis zu siebeneinhalb Jahren verurteilt. Wie Tolu bleiben sie vorläufig auf freiem Fuß, dürfen aber nicht ausreisen.

Und wie bei Tolu sind die Vorwürfe merkwürdig. So soll die strikt säkularistisch ausgerichtete Zeitung drei Organisationen geholfen haben, von denen sie ideologisch Welten trennen: der kurdischen Terrorgruppe PKK, der linksextremen DHKP-C und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen.

Türkische Journalisten erhalten viel Zuspruch

Einer der Verurteilten, der Reporter Ahmet Sik, saß vor Jahren, als Gülen noch ein Verbündeter von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan war, schon einmal im Gefängnis. Damals wurde ihm zur Last gelegt, die Gülen-Bewegung verleumdet zu haben.

Als Sik und die anderen „Cumhuriyet“-Mitarbeiter am Donnerstag zur Arbeit kommen, ist von Niedergeschlagenheit nichts zu spüren, im Gegenteil. Es gibt Musik, kämpferische Reden und viele Umarmungen. „Die können uns keine Angst mehr machen“, sagt der Chef des „Cumhuriyet“-Vorstandes, Akin Atalay, der am Mittwoch nach anderthalb Jahren Untersuchungshaft als letzter Angeklagter auf freien Fuß gesetzt wurde. Seinen Kollegen berichtet er davon, er habe sich beim Gang aus dem Gefängnistor gefühlt wie neugeboren. Der erste Schluck des türkischen Nationalschnapses Raki habe ganz besonders gut geschmeckt.

Mindestens anderthalb Jahre werde das Berufungsverfahren dauern, sagt der Kolumnist Aydin Engin. Bis dahin dürften die Journalisten des Oppositionsblattes vor dem Gefängnis sicher sein. Zudem erhalten sie viel Zuspruch von türkischen und westlichen Journalistenverbänden – und von ihren Lesern.

Viele Türken suchen spätestens seit dem Verkauf der Mediengroppe Dogan – mit der Zeitung „Hürriyet“ und dem Nachrichtensender CNN-Türk – an den regierungstreuen Konzern Demirören im März nach Alternativen: Seit dem Dogan-Deal hat sich die täglich verkaufte Auflage von „Cumhuriyet“ fast verdoppelt.

Susanne Güsten

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