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Die britische Premierministerin Theresa May und Kanzlerin Angela Merkel im vergangenen Juli im Kanzleramt.
© Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa

Brexit-Verhandlung: Merkels harte Position: Erst das Geld, dann der Handel

Die 27 verbleibenden EU-Staaten wollen mit Großbritannien erst über die künftigen Handelsbeziehungen reden, wenn die Höhe der britischen Austrittsrechnung geklärt ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine harte Verhandlungsposition bei den bevorstehenden Gesprächen über den EU-Austritt Großbritanniens angekündigt. Vor dem EU-Sondergipfel zum Brexit am kommenden Samstag machte die Kanzlerin unter anderem klar, dass gleich zu Beginn der Verhandlungen mit London auch über das Geld gesprochen werden soll – also über die Austrittsrechnung, die Großbritannien beim Ausscheiden aus der Gemeinschaft bezahlen muss.

Welche Verhandlungslinie hat die Bundesregierung?

Bei ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag stellte Merkel am Donnerstag klar, dass Großbritannien nach dem Brexit aus Sicht der EU nur noch den Status eines Drittlandes haben wird. Damit könne London allerdings nicht über die gleichen Rechte verfügen wie ein EU-Mitglied, betonte die Kanzlerin. „Ich habe das Gefühl, dass sich einige in Großbritannien darüber noch Illusionen machen“, fügte sie hinzu.

Damit zielte Merkel auf die Frage, in welchem Umfang Großbritannien auch nach dem EU-Austritt Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben kann. Zwar hatte die britische Regierungschefin Theresa May bereits im vergangenen Januar verdeutlicht, dass der Brexit auch das Ausscheiden Großbritanniens aus dem Binnenmarkt bedeutet. Allerdings dürfte Großbritannien bei den mittelfristigen Verhandlungen über die künftigen Handelsbeziehungen zur EU durchaus ein wirtschaftliches Interesse daran haben, dass die Hürden beim Export britischer Güter auf den Kontinent auch in Zukunft so niedrig sind wie möglich. Merkel verdeutlichte hingegen mit ihrer Formulierung, dass Großbritannien auch einen wirtschaftlichen Preis dafür wird bezahlen müssen, wenn London künftig bei der Personenfreizügigkeit in der EU nicht mehr mitmacht.

Die Kanzlerin wies allerdings auch darauf hin, dass eine möglichst enge Zusammenarbeit mit London in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch ungeachtet des EU-Austritts im deutschen Interesse ist. May weiß, dass Großbritannien für die verbliebenen 27 EU-Länder bei der gemeinsamen Terrorbekämpfung ein wichtiger Partner ist. Ob die britische Regierungschefin damit während der Brexit-Verhandlungen Druck auf die EU-27 ausüben wird, bleibt abzuwarten. Als May Ende März den offiziellen Antrag auf den EU-Austritt stellte, drohte sie jedenfalls schon einmal damit, die Zusammenarbeit mit den EU-27 in Sicherheitsfragen einzuschränken, falls die Gespräche über die künftigen Handelsbeziehungen nicht im Sinne Großbritanniens verlaufen sollten.

Worum geht es bei dem EU-Sondergipfel am Samstag?

Die 27 EU-Staaten wollen bei dem Treffen in Brüssel ohne Großbritannien sogenannte Leitlinien beschließen, die bei den Verhandlungen über die Austrittsvereinbarung gelten sollen. Vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU, der voraussichtlich im März 2019 erfolgen wird, müssen in dieser Vereinbarung unter anderem zwei Fragen geklärt sein: Welche Rechte haben EU-Bürger in Großbritannien und umgekehrt Briten auf dem Gebiet der EU-27? Und wie hoch soll die Austrittsrechnung sein, die Großbritannien beim Ausscheiden aus der EU bezahlen muss?

Nach dem Entwurf der Leitlinien sollen EU-Bürger, die sich vor dem Brexit im März 2019 im Vereinigten Königreich niederlassen und fünf Jahre dort bleiben, das Recht auf einen dauerhaften Aufenthalt erhalten. Garantien, die „durchsetzbar und nicht diskriminierend“ sind, soll es umgekehrt auch für Briten mit einem Wohnsitz im Gebiet der EU-27 geben.

Zum Knackpunkt könnten indes die Verhandlungen über die Austrittsrechnung für Großbritannien werden. Ums Geld, darauf wies auch Merkel am Donnerstag vor dem Bundestag noch einmal hin, soll es bereits in einem frühen Stadium der Austrittsgespräche gehen. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat bereits angekündigt, dass die Austrittsrechnung für London „sehr gesalzen“ sein werde. Von einer Summe von bis zu 60 Milliarden Euro ist in EU-Kreisen die Rede. Die Zahl ergibt sich unter anderem aus offenen Beiträgen der Briten zum EU-Budget, Pensionszahlungen für EU-Beamte und Garantien für Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB).

Unter dem Beifall der Abgeordneten erklärte Merkel im Bundestag, dass es bei den Finanzverhandlungen mit London auch um den Zeitraum nach dem Brexit gehen müsse. Mit anderen Worten: Großbritannien kann die Zahlungen an die EU nicht einfach einstellen, wenn das Land im März 2019 aus der Gemeinschaft austritt. Denn die Verpflichtungen aus dem mehrjährigen EU-Budget reichen weiter – bis Ende 2020.

Wie geht es in den Verhandlungen nach dem Brüsseler Gipfel weiter?

London strebt im Verlauf der kommenden zwei Jahre zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Gespräche über die künftigen Handelsbeziehungen mit der EU an. Doch die EU-27, so sieht es deren Verhandlungsstrategie vor, wollen die Briten zunächst einmal zappeln lassen: Bevor die Höhe der britischen Austrittsrechnung und die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien nicht geklärt sind, sollen die Handelsgespräche nicht in Angriff genommen werden. Dies könnte im kommenden Herbst der Fall sein. Dass die EU-27 an der geplanten Verhandlungsabfolge – erst der Streit um Geld, dann die Handelsgespräche – nicht rütteln wollen, machten auch Kommissionschef Juncker und der EU-Chefverhandler Michel Barnier am Mittwoch bei einem Abendessen mit May deutlich.

Allerdings dürfte sich in den kommenden Wochen bei den Verhandlungen erst einmal nicht viel tun. Dies liegt vor allem an den vorgezogenen Neuwahlen, die May für den 8. Juni anberaumt hat. In der Zwischenzeit können sich auch die 27 EU-Staaten noch einmal sortieren. Sie wollen voraussichtlich Ende Mai der EU-Kommission ein Verhandlungsmandat erteilen, mit dem der Kurs von Merkel und Co. über die Leitlinien hinaus weiter festgezurrt wird.

Sind die 27 EU-Staaten auf einer Linie?

Bis jetzt ist das der Fall. Die verbleibenden EU-Staaten haben sich seit dem Brexit-Referendum vom Juni 2016 an die Vereinbarung gehalten, dass keine Vorverhandlungen mit London geführt werden sollen, bevor London den Scheidungsantrag bei der EU eingereicht hat. Nachdem May im vergangenen Monat das EU-Austrittsgesuch übermittelt hat, laufen die Fäden in Brüssel beim Ex-Kommissar Barnier zusammen. Der Franzose führt die Gespräche im Namen der EU-27. Trotz dieser Aufstellung sind aber künftige Meinungsverschiedenheiten unter den Europäern denkbar. Streit könnte es insbesondere in der Frage geben, wie Europas Nettozahler die Finanzlücke stopfen, die durch den Brexit im EU-Budget entsteht.

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