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Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Wahlkampftour in NRW. (Archiv)
© dpa/Guido Kirchner

Streit mit Ankara: Merkel weist Reisewarnung der Türkei zurück

Deutsche Politiker werten Ankaras "Reisewarnung" für Deutschland als Indiz für Erdogans Machtpolitik. Die Bundeskanzlerin bekräftigt am Sonntag: "Zu uns kann jeder türkische Staatsbürger reisen."

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die türkische Reisewarnung für Deutschland entschieden zurückgewiesen. "Ich will hier ganz deutlich sagen: Zu uns kann jeder türkische Staatsbürger reisen", sagte die CDU-Vorsitzende am Sonntag auf einer Wahlkampfveranstaltung im nordrhein-westfälischen Delbrück. "Bei uns wird kein Journalist verhaftet, kein Journalist in Untersuchungshaft gesteckt. Bei uns herrscht Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit - und darauf sind wir stolz", sagte Merkel. Sie verwies auf den in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der an diesem Sonntag Geburtstag hat. "Er sitzt nach unserer Sicht völlig unbegründeterweise im Gefängnis so wie mindestens elf andere Deutsche", kritisierte Merkel.

Zu den ersten, die am Wochenende auf die „Reisewarnung“ des türkischen Außenministeriums reagierten, gehörte Peter Altmaier (CDU). Per Twitter erklärte der Kanzleramtsminister, dass die Aufforderung aus Ankara an die Adresse von Deutschland-Reisenden und Türken in Deutschland „ein schlechter Witz“ sei. Zuvor hatte das türkische Außenministerium am Samstag eine „Reisewarnung für die Bundesrepublik Deutschland“ veröffentlicht. Dort hatte das Ministerium in Deutschland lebende Türken und türkische Bürger, die nach Deutschland reisen wollen, generell zur „Vorsicht“ aufgerufen. In der Mitteilung des Ministeriums hieß es weiter, Türken sollten auf „mögliche rassistische oder ausländerfeindliche Aggressionen“ „zurückhaltend“ reagieren und sich vor der Bundestagswahl von „politischen Debatten“ und Kundgebungen fernhalten.

Damit ist es diesmal nun der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der das angespannte Verhältnis zwischen Berlin und Ankara einer weiteren Belastungsprobe aussetzt. Vor einer Woche hatte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im TV-Duell den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert, worauf auch Kanzlerin Merkel in der Fernsehdebatte eilig ankündigte, sie werde im Gespräch mit den EU-Partnern prüfen, ob ein solcher Schritt möglich sei. Zudem hatte das Auswärtige Amt in Berlin in der vergangenen Woche nach der vorübergehenden Festnahme eines deutschen Ehepaars in Antalya noch einmal die Reisehinweise für die Türkei verschärft. Jetzt befeuert Erdogan seinerseits mit seiner „Reisewarnung“ die Debatte um das Verhältnis zur Türkei im deutschen Wahlkampf.

SPD-Fraktionsvize Schäfer: Friedliches Zusammenleben in Deutschland gibt die Antwort

Der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Axel Schäfer, sagte dem Tagesspiegel, die Reisewarnung aus dem türkischen Außenministerium sei ein „Märchen aus Absurdistan“. Die „wirkliche Antwort“ auf die Erklärung des Außenamts in Ankara werde dabei durch das tägliche Zusammenleben von Deutschen und Türken hierzulande gegeben. Der Alltag sei „friedlich, tolerant, erfolgreich“, sagte Schäfer weiter.

Nach der Auffassung von Manuel Sarrazin, des europapolitischen Sprechers der Grünen-Bundestagsfraktion, entbehrt die Warnung aus Ankara „jeglicher Grundlage“. Zudem zeige die Erklärung des Ministeriums, „wie sehr sich der türkische Rechtsstaat in der Auflösung befindet“. „Präsident Erdogan nimmt mit seiner Warnung gezielt Einfluss auf den in Deutschland stattfindenden Wahlkampf“, sagte der Grünen-Politiker weiter. Dem könne die Demokratie hierzulande nur entgegentreten, „indem wir offen über die Zustände in der Türkei reden und das ehrliche Gespräch mit unseren türkischstämmigen Mitbürgern und Mitbürgerinnen suchen“. Dazu gehöre aber auch, „offen über weiterhin bestehende Diskriminierung in unserer Gesellschaft zu reden und gleichzeitig den Menschen zu signalisieren, dass der richtige Ort, für ihre Belange einzutreten, die deutsche Demokratie ist“.

Linkspolitiker Korte: "Auftritte von Erdogan und Co. bleiben uns erspart"

„Erdogan spitzt nahezu täglich im Verhältnis zu Deutschland und Europa zu“, kritisierte der Linken-Fraktionsvize Jan Korte. „Die Bundesregierung muss endlich die Phase des Zeigefinger-Hebens beenden und zu konkreten Maßnahmen kommen“, sagte er dem Tagesspiegel. Der Linken-Politiker forderte eine komplette Einstellung der militärischen Zusammenarbeit mit Ankara, den Abzug aller Bundeswehrsoldaten aus der Türkei und ein „Ende des schmutzigen Flüchtlings-Deals“ zwischen der EU und der Türkei. Immerhin sieht Korte auch einen positiven Aspekt in der „Reisewarnung“: „Auftritte von Erdogan und Co. im Bundestagswahlkampf bleiben uns erspart.“

Und nach der Wahl?

Nun mag man darauf setzen, dass sich das deutsch-türkische Verhältnis nach dem Bundestagswahlkampf wieder entspannt. Dagegen spricht allerdings, dass sich seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 und der anschließenden massenhaften Festnahme vermeintlicher Oppositioneller in der Türkei nicht nur das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara, sondern auch zwischen der Türkei und der EU insgesamt merklich abgekühlt hat. Das Europaparlament forderte nach den Massenverhaftungen im vergangenen November mit breiter Mehrheit, die EU-Beitrittsgespräche auszusetzen.

Die Resolution des EU-Parlaments war für die EU-Mitgliedstaaten aber nicht bindend, und Erdogan erklärte seinerzeit denn auch: „Diese Abstimmung hat für uns keinen Wert.“ Schwerer wog da schon aus Ankaras Sicht, dass EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn im vergangenen März erklärte, die sogenannten Vorbeitrittshilfen für Ankara würden verringert. Eigentlich ist zwischen 2014 und 2020 eine Summe von 4,5 Milliarden Euro aus der EU-Kasse für Ankara vorgesehen. Tatsächlich sind bislang aber erst rund 250 Millionen Euro ausgezahlt worden.

Seit der Ankündigung Hahns hat sich das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei nicht verbessert – im Gegenteil. Nachdem sich im April eine knappe Mehrheit der Bevölkerung in dem Staat am Bosporus für Erdogans umstrittene Präsidialverfassung aussprach, ist an die von türkischer Seite gewünschten Gespräche über eine Ausweitung der bestehenden Zollunion nicht zu denken.

Keine EU-Mehrheit für Abbruch der Gespräche

Allerdings ist derzeit auf EU-Ebene – Schulz’ Vorstoß beim TV-Duell vor einer Woche zum Trotz – von einem Abbruch der EU-Beitrittsgespräche keine Rede. Ein solcher Schritt, der noch über eine bloße Suspendierung der Verhandlungen hinausgehen würde, wird im Kreis der 28 EU-Staaten neben Deutschland derzeit nur von Österreich unterstützt. Dies wurde am Freitag beim Treffen der EU-Außenminister in Tallinn deutlich.

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