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Stillstand. Bei den EU-Beitrittsverhandlungen bewegt sich derzeit nichts.
© Thierry Charlier/AFP

EU und Türkei: Keine Abbruch-Stimmung

Falls Martin Schulz als Kanzler den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit Ankara forcieren sollte, hätte er es schwer: Der Großteil der EU-Staaten hat derzeit kein Interesse daran.

Steht nach dem TV-Duell ein weiterer Schwenk der Türkei-Politik der EU bevor? Die Ankündigung des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, dass er sich auf europäischer Ebene für einen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit Ankara einsetzen werde, dürfte zunächst keine unmittelbaren Folgen haben – zumindest dann, wenn sich an der Positionierung der übrigen EU-Staaten zur Türkei nichts ändert. Denn nach gegenwärtigem Stand befürwortet lediglich Österreich offen einen Abbruch der Gespräche. Zu einem solchen Schritt wäre aber eine Einstimmigkeit unter den derzeit noch 28 EU-Staaten geboten.

Mit seiner überraschenden Forderung, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei abzubrechen, war Schulz am Sonntagabend beim Fernseh-Duell noch über die bisherige Linie von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hinausgegangen, der zufolge die Türkei angesichts des brutalen Vorgehens von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen die Opposition nicht EU-beitrittsfähig sei. So hatte Gabriel vor zwei Wochen in der ZDF-Sendung Maybrit Illner gesagt, dass die Türkei „in diesem Zustand“ auf gar keinen Fall in die EU kommen könne. Schulz hingegen erweckte am Sonntagabend den Eindruck, dass er sich als Kanzler grundsätzlich für einen Abbruch der Beitrittsgespräche stark machen werde – egal wer in der Türkei an der Macht ist. „Wenn ich Kanzler werde, werde ich (...) die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union abbrechen“, hatte der SPD-Kanzlerkandidat gesagt.

Europäische Diplomatenkreise: Die meisten EU-Staaten wollen Verhandlungen nicht abbrechen

Aus europäischen Diplomatenkreisen hieß es am Montag, dass der Großteil der EU-Staaten kein großes Interesse daran habe, die Beitrittsgespräche abzubrechen, weil die Verhandlungen ohnehin eingefroren seien. Nach der von Gabriel und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits verkündeten Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik, die unter anderem eine Verschärfung der Reisehinweise vorsieht, sei auch auf EU-Ebene neue Bewegung in die Diskussion über das Verhältnis zur Türkei gekommen, hieß es weiter. Zu der Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik war es nach der Festnahme des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner im Juli in Istanbul gekommen.

Welche konkreten Ergebnisse eine mögliche neue Wende der Haltung der Bundesregierung auf EU-Ebene zeitige, müsse man allerdings erst einmal abwarten, hieß es in europäischen Diplomatenkreisen. Ein Sprecher der EU-Kommission verwies unterdessen am Montag auf eine Äußerung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus der Vorwoche. Juncker hatte gewarnt, dass sich die Türkei „mit Riesenschritten von der EU“ entferne. Zudem hatte Juncker darauf hingewiesen, dass die türkische Regierung „eine Mitgliedschaft des Landes in der EU unmöglich“ mache. Juncker hat allerdings davon abgeraten, dass die EU aktiv die Verhandlungen abbricht. Erdogan würde daraus versuchen, innenpolitisch Kapital zu schlagen.

EU-Vorbeitrittshilfen für Türkei fließen ohnehin nur spärlich

Von 2014 bis 2020 sind an sogenannten Vorbeitrittshilfen 4,5 Milliarden Euro für die Türkei vorgesehen. Die Mittel sind dafür gedacht, die Türkei an die Standards der Europäische Union heranzuführen und so für den Beitritt zur Gemeinschaft zu ertüchtigen. So sind zur Förderung der Demokratie, der Rechtstaatlichkeit und der Wahrung der Menschenrechte Zahlungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro vorgesehen. Weitere 1,5 Milliarden Euro sollen die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung im Land stärken. Für den Agrarbereich und die ländliche Entwicklung sind 912 Millionen Euro vorgesehen.

Das Geld fließt aber ohnehin in letzter Zeit nicht so richtig. Von den 4,5 Milliarden Euro sind bislang erst rund 250 Millionen Euro ausgezahlt. Hintergrund sind die zunehmenden Spannungen zwischen der EU und der Türkei. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn hat erklärt, dass die Beihilfen nur dann komplett gestoppt werden können, wenn die Mitgliedstaaten die Beitrittsverhandlungen förmlich aussetzen oder ganz abbrechen. Der SPD-Außenexperte Rolf Mützenich sagte dem Tagesspiegel, wenn man die Zahlung der EU-Vorbeitrittshilfen für Ankara stoppen wolle, „dann muss man die Grundlage dafür schaffen“ – sprich die Beitrittsverhandlungen abbrechen.

Die Türkei bekommt die Beihilfen, seitdem sie offiziell den Status Beitrittskandidat hat, also seit 2005. In der ersten Finanzperiode als Beitrittskandidat waren 4,6 Milliarden Euro für die Türkei vorgesehen. Davon sind dem Vernehmen nach eine Milliarde noch nicht ausgezahlt.

Kein Land außerhalb der EU erhält so viel Geld aus Luxemburg wie die Türkei

Zudem vergibt die Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg seit 2007 jedes Jahr Kredite in die Türkei im Volumen von mehr als zwei Milliarden Euro. 2016 bekam kein Land außerhalb der EU mehr Geld aus Luxemburg als die Türkei. So finanzierte etwa die Förderbank der Europäischen Union zuletzt eine Hochgeschwindigkeitstrasse der Bahn von Istanbul nach Ankara sowie einen Tunnel unter dem Bosporus. Wenn die EIB ihr Kreditgeschäft mit der Türkei einstellen oder einschränken würde, so dürfte dies die wirtschaftliche Entwicklung im Land schwer beeinträchtigen. Bevor es so weit kommt, bedarf es aber einer Grundsatz-Entscheidung durch die EU-Mitgliedstaaten.

Gespräche über Ausweitung der Zollunion sind vom Tisch

Sowohl Merkel als auch Schulz treten dafür ein, dass die Türkei künftig Einschränkungen bei der Zollunion mit der EU hinnehmen muss. Während Merkel sich gegen eine Ausweitung der Zollunion ausgesprochen hat, erklärte Schulz am Sonntagabend, dass die Union regelrecht beendet werden müsse. Seit Jahren gibt es keine Beschränkungen beim Export und Import von vielen Waren, auch Zölle werden bei vielen Produkten nicht erhoben. Von der Zollunion sind aber bislang alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse sowie Kohle- und Stahlprodukte ausgenommen. Über die Ausweitung der Zollunion sollte verhandelt werden. Diese Gespräche sind aber vom Tisch. Die EU ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Türkei. 40 Prozent seines Außenhandels bestreitet das Land mit der Europäischen Union. Eine Aufkündigung der Zollunion zwischen Ankara und der EU würde die Wirtschaft genauso treffen wie förmliche Sanktionen.

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