zum Hauptinhalt
Kinder sitzen nach dem Brand im Camp Moria auf der Straße.
© Angelos Tzortzinis/AFP
Update

Nach Bränden im Flüchtlingscamp Moria: Merkel und Macron wollen Übernahme von 400 Kindern durch EU

Berlin und Paris setzen sich für eine EU-Initiative ein. Die griechischen Behörden sind indes überzeugt, dass Asylbewerber die Feuer auf Lesbos gelegt haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron wollen, dass die EU nach den Bränden im griechischen Flüchtlingslager Moria in einer gemeinsamen Aktion 400 unbegleitete Minderjährige übernimmt. Die Zahl gilt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin für alle teilnehmenden Länder – wie viele davon Deutschland übernehmen würde, stehe noch nicht fest, hieß es. Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis habe sie darum gebeten, sagte Merkel bei einer Diskussion in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin.

Macron hatte zuvor erklärt, Frankreich plane gemeinsam mit Deutschland einen Vorschlag, um Flüchtlinge nach dem Brand in Moria aufzunehmen. Es sollten auch andere europäische Partner gewonnen werden: „Wir müssen mit Griechenland solidarisch sein“, sagte er auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika. Es gehe nun um eine „gute Antwort der Solidarität“ an Griechenland, sagte der 42-Jährige.

Die griechische Regierung hat aber einer schnellen Verlegung weiterer Flüchtlinge nach dem Großfeuer im Lager Moria eine Absage erteilt und gezielte Brandstiftung als Auslöser der Katastrophe festgestellt. Zugleich wurden bis Donnerstag schon 400 Minderjährige, die ohne Begleitung ihrer Eltern unterwegs sind und wie viele andere ihre Bleibe im Flüchtlingscamp Moria verloren hatten, von der Insel Lesbos in die Hafenstadt Thessaloniki geflogen. Eine Fähre und mehrere Schiffe sollen zudem mehr als 1000 Migranten aufnehmen.

Der stellvertretende Migrationsminister Giorgos Koumoutsakos schloss aber aus, dass auch erwachsene Migranten die Insel verlassen dürfen. Im Nachrichtensender Skai sagte er: „Wer denkt, er könne zum Festland und dann nach Deutschland reisen, der soll es vergessen.“

Die ersten minderjährigen Flüchtlinge landen auf dem griechischen Festland.
Die ersten minderjährigen Flüchtlinge landen auf dem griechischen Festland.
© Panagiotis Balaskas/dpa

Im Camp selbst herrscht unterdessen weiter Chaos: Die Feuerwehr konnte in der Nacht mehrere kleinere neue Brände löschen, die die übrig gebliebenen unbeschädigte Zelte zerstört hatten. Die Polizei setzte Tränengas ein, weil einige jugendliche Migranten versuchten, in die Hauptstadt der Insel zu kommen. Einige der Migranten hatten die Polizei mit Steinen angegriffen, berichtet ERT.

Das rigorose Vorgehen der Einsatzkräfte hat einerseits mit der Angst eines unkontrollierbaren Ausbruchs der Corona-Epidemie zu tun. 35 Migranten sind bereits positiv auf das Virus getestet worden. Bislang konnten die Behörden nur acht von ihnen ausfindig machen. Andererseits will die griechische Polizei unbedingt weitere Brandstiftungen verhindern, die das Chaos weiter anfachen würden.

Athen will in den nächsten Tagen 19.000 Coronatests auf Lesbos durchführen, teilte Regierungssprecher Stelios Petsas mit. Er sprach von einer „gigantischen“ Aufgabe, die obdachlosen Flüchtlinge unterzubringen sowie die bestätigten Infektionsfälle ausfindig zu machen. Mehr als 12.000 Migranten und Geflüchtete auf Moria sind demnach nun obdachlos.

Das griechische Fernsehen zeigte am Donnerstag erneut Bilder von Menschen, die am Straßenrand lagen und auf Hilfe warteten. Einige Menschen übernachteten auf einem Friedhof. Humanitäre Organisationen und die Behörden planten am Donnerstag Essen und Wasser zu den Menschen zu bringen, hieß es.

Die griechischen Behörden gehen mittlerweile fest davon aus, dass die Feuer von den Asylbewerbern ausgelöst wurden. „Das Feuer wurde von Menschen gelegt, die Asyl beantragt haben – als Reaktion auf die wegen des Coronavirus verhängte Quarantäne“, sagte Regierungssprecher Petsas am Donnerstag.

Es handele sich um Menschen, die „ihr Gastland nicht respektieren“, so Petsas. Mit solchen Aktionen jedoch torpedierten diese Menschen jede Lösung. „Wir sagen es ihnen klipp und klar: Sie werden nicht wegen des Feuers die Insel verlassen. Das können sie vergessen.“ Gelungen sei den Brandstiftern lediglich, Tausende Menschen – darunter Familien – obdachlos zu machen, kritisierte Petsas.

Unions-Politiker fordern Aufnahme von Flüchtlingen

Wer genau für den Ausbruch der Feuer verantwortlich ist, ist allerdings weiter unklar. Unter den Helfern kursieren Gerüchte, faschistische Gruppen wollten das Lager gänzlich zerstören. In der Vergangenheit hatte es aber auch schon öfter im Lager gebrannt, weil Gaskocher versehentlich Stofffetzen in Brand setzten oder defekt waren. Dabei war es auch zu Todesfällen gekommen.

Ebenso unklar wie die genaue Ursache ist weiterhin, was nun mit den mehr als 12.000 Migranten passiert. Die Bundesregierung als derzeit amtierende EU-Ratspräsidentschaft setzt weiter auf eine europäische Lösung und hält sich mit einseitigen Aufnahmeangeboten zurück. Allerdings forderte Entwicklungsminister Gerd Müller nun, 2000 Migranten aufzunehmen.

Deutschland solle mit einem entsprechenden „Zeichen der Humanität“ vorangehen, sagte der CSU-Politiker am Mittwochabend in der ARD. Mehrere Bundesländer hatten konkrete Zahlen von Migranten genannt, die sie bereit seien zusätzlich aufzunehmen.

Weitere Artikel zum Thema:

Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Brand, habe Innenminister Horst Seehofer (CSU) mitgeteilt, „dass Deutschland möglichst gemeinsam mit anderen EU-Staaten – notfalls zunächst auch alleine – 5000 Flüchtlinge vom griechischen Festland aufnehmen sollte“, sagte der CDU-Politiker am Donnerstag dem „SWR“.

Brand betonte allerdings, dass es sich Flüchtlinge handeln müsse, die bereits ein Asylverfahren in Griechenland durchlaufen haben. Denn: „Es darf natürlich auch nicht das Signal gesendet werden, dass Europa erst reagiert, wenn man selbst die Flüchtlingslager anzündet.“ Auch Norwegen kündigte bereits an, nach dem Brand 50 Menschen aus dem Lager aufzunehmen, vorzugsweise Familien.

„Dieser Gewaltausbruch einiger darf nicht belohnt werden“

Aufgrund der Meldungen, dass die Asylbewerber in Moria selbst das Feuer ausgelöst hatten, gibt es allerdings auch ablehnende Stimmen. „Dieser Gewaltausbruch einiger darf nicht belohnt werden. Weder durch eine Verlegung in andere europäische Länder noch bei der Dauer oder dem Ergebnis des Asylverfahrens“, sagte Hessens Europaministerin Lucia Puttrich der „Bild“-Zeitung.

Protestdemonstration in Berlin nach der Brandnacht in Moria.
Demonstranten in Berlin fordern die Flüchtlingsaufnahme aus Moria.
© John MacDougall/AFP

„Die Bilder des brennenden Flüchtlingscamps lassen uns auch fragen, was einige Menschen dazu bringt, ihre sichere Unterkunft in Europa anzuzünden“, so die CDU-Politikerin. Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Marian Wendt will keine Aufnahme der von dem Brand betroffenen Migranten in Deutschland. „Wer Feuer legt und Löschmannschaften angreift, kann nicht nach Deutschland geholt werden“, sagte er der Zeitung.

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Auch andere europäische Länder blockten bei der Frage nach der Flüchtlingsaufnahme ab. „Wir müssen sehr vorsichtig sein, dass wir hier nicht Signale ausschicken, die dann eine Kettenreaktion auslösen, der wir vielleicht nicht mehr Herr werden“, sagte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg im ORF. Würde das Lager durch Verteilung der Migranten auf europäische Staaten geräumt, wäre es bald wieder voll.

Die niederländische Justiz-Staatssekretärin Ankie Broekers-Knol sagte dem TV-Sender RTL Nieuws: „Die Niederlande haben immer den Standpunkt vertreten, dass wir keine Menschen übernehmen.“

Um Druck auf die Politik aufzubauen, gingen in Deutschland mehrere Tausend Menschen bei Demonstrationen auf die Straße. In Berlin beteiligten sich am Mittwochabend laut Polizei rund 3000 Menschen, in Leipzig 1800, in Hamburg mehr als 1200 und in Frankfurt am Main 300.

Sie verlangten die sofortige Evakuierung aller Lager auf den griechischen Inseln und die Aufnahme der Menschen. Einzelne Staaten müssten dabei vorangehen, da eine europäische Lösung nicht in Sicht sei, erklärte die Organisation „Seebrücke“. Auch die Internationale Liga für Menschenrechte hatte zu den Kundgebungen unter dem Motto „Wir haben Platz!“ aufgerufen.

Die Demonstranten zeigten Plakate mit Aufschriften wie „Moria evakuieren“ und „Shame on you EU“ („Schande über Dich, EU“). Eine Evakuierung des Lagers sei wegen der dort herrschenden unhaltbaren hygienischen Zustände schon vor dem Feuer nötig gewesen, sagten Redner. (mit dpa, AFP)

Zur Startseite