Interview zur Umweltpolitik: „Merkel und Gabriel sind vor der Industrie eingeknickt“
Der Präsident des WWF Deutschland, Detlev Drenckhahn, über die befriedigende Energiewende, guten Fisch – und schlechte Autos.
- Dagmar Dehmer
- Lutz Haverkamp
Am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg sollten einen Monat lang keine Autos mit Verbrennungsmotor fahren. Viele Anwohner sprachen von Zwangsbeglückung. In Bayern demonstrieren die Bürger gegen riesige Strommasten, die im Zuge der Energiewende Strom von Nord nach Süd transportieren sollen. Nimmt die Politik die Menschen nicht mit?
Zunächst muss man sehen, dass die Energiewende nach wie vor große Zustimmung genießt. Trotzdem haben viele Menschen manchmal das Gefühl, ihnen wird etwas aufgestülpt. Hier muss mehr passieren, um die Leute mitzunehmen. Das ist auch eine Frage der Umweltbildung, die immer noch nicht ausreichend in die Schule und unter die Menschen gebracht wird. Hier sind auch die Umweltorganisationen gefordert, es muss deutlich werden, dass die Energiewende viele Veränderungen mit sich bringt, aber dass es eben auch sehr viel zu gewinnen gibt.
Sind die Menschen zu bequem?
Es geht um einen Wertewandel. Es ist sehr schwierig, jeden einzelnen Menschen zu erreichen. Ich bin der Meinung, dass die Politik auch unbequeme Entscheidungen für die Zukunft treffen muss, die natürlich Menschen und Interessengruppen verprellen können. Nehmen Sie das Beispiel der Stromtrassen vom Norden Deutschlands in den Süden. Die Menschen fühlen sich bedroht und sehen die großen Zusammenhänge nicht. Der WWF ist für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur, aber der Bau muss von Aufklärung und einem Dialog mit den Bürgern flankiert werden.
Der Bau der großen Nord-Süd-Trasse beginnt im Braunkohlerevier in NRW. Das erhöht wohl kaum die Glaubwürdigkeit des Arguments, sie diene der Energiewende.
Das finde ich auch. Viele fürchten, dass ihnen nicht immer reiner Wein eingeschenkt wird. Den Leitungsausbau brauchen wir für die erneuerbaren Energien. Es wäre psychologisch besser erklärbar, wenn die Stromtrassen direkt aus dem windreichen Norden kämen. Unabhängig vom Netzausbau muss der Ausbau der Braunkohle verhindert werden.
Ist die Politik nicht ehrlich genug?
Ich halte die Politik in Deutschland für relativ transparent. Geheimpolitik ist hier nicht durchsetzbar. Nur eine Minderheit hat die Befürchtung, dass da irgendwelche Mächte im Spiel sind, die die Demokratie unterhöhlen und sie für ihre Zwecke steuern. Auf der anderen Seite ist aber klar, dass auch Industrie und Gewerkschaften sehr einflussreich sind und versuchen, die Politik über das Arbeitsplatzargument zu beeinflussen.
Gibt es denn noch eine Klimakanzlerin?
Angela Merkel hat verstanden, dass der Klimawandel für die Menschheit eine riesige Herausforderung und Bedrohung ist. Die Energiewende ist auf gutem Wege, man sollte sie nicht schlechtreden. Aber es müssen viele Dinge nachgesteuert werden. So gibt es für den Gebäude- und Verkehrssektor noch kein vernünftiges Konzept. Für anstehende Investitionen ist langfristige Planungssicherheit erforderlich.
Was würden Sie sich wünschen?
Es muss ein Fahrplan gesetzlich verabschiedet werden, der die konkreten Schritte festlegt, wie wir in allen Sektoren komplett auf erneuerbare Energien umstellen. Die Bundesregierung will bis 2050 etwa 90 Prozent der Treibhausgasemissionen vermeiden. Aber ein solches Konzept fehlt noch.
Und für die Gebäudesanierung?
Ich selbst besitze zwei Mietshäuser. Ich versuche, den Energieverbrauch der Mieter durch Sanierungen zu reduzieren, so ich kann. Aber eine bessere Wärmedämmung geht derzeit häufig auf Kosten der Vermieter. Die Folge ist, dass hier zu wenig passiert. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass Minister Gabriel das angehen wird. Es bleibt ihm keine andere Wahl.
Ihr Lob für Merkel und Gabriel steht aber im Widerspruch zur Tatsache, dass die beiden strengere Kohlendioxid-Grenzwerte für Autos in Brüssel – übrigens zum wiederholten Mal – verhindert haben.
Die Abhängigkeit von der Autoindustrie spielt immer noch eine zu große Rolle. Deutschland hat sich bei dieser Frage eindeutig falsch verhalten. Das war purer Protektionismus.
Ist die Umweltpolitik der Bundesregierung zu industriefreundlich, auch wenn man auf die Befreiung von der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen schaut?
Die Bundesregierung hätte bei der Befreiung von Industrieunternehmen von der EEG-Umlage viele Ausnahmen und damit Begünstigungen zurücknehmen müssen. Kanzlerin und Wirtschaftsminister sind vor der Industrie eingeknickt. Das muss korrigiert werden, um Mittelstand und Bürger finanziell zu entlasten.
Der WWF versucht, selbst auf die Industrie einzuwirken und setzt sich mit Unternehmen aus verschiedenen Branchen an einen Tisch. Bringt das was?
Nicht in allen Bereichen der Unternehmen, aber in einigen. Ein jüngeres Beispiel ist die Kooperation des WWF mit dem Einzelhandelsverbund Edeka, die sehr umfassend und weitreichend ist. Sie ermöglicht uns, die Zulieferer dazu zu bewegen, sich an bestimmten akzeptierten Zertifikaten und Richtlinien der Nachhaltigkeit auszurichten. Die Verbraucher bekommen dadurch automatisch nachhaltigere Produkte angeboten. Das ist eine außerordentlich wirksame Methode einer Markttransformation. Wenn wir jeden einzelnen Menschen überzeugen wollten, müssten wir einen enormen Aufwand betreiben. Deswegen ist es viel effizienter, an Stellschrauben zu drehen, die einen großen Hebel in der Transformation der Märkte zu mehr Nachhaltigkeit haben. Edeka ist einer der größten Fischhändler Deutschlands. Ziel ist es, dieses riesige Sortiment bis 2015 zu 100 Prozent aus nachhaltigen Quellen zu beziehen.
Der WWF setzt sich auch mit der bösen Industrie an einen Tisch. Das finden nicht alle gut.
Wir setzen uns auch mit Unternehmen an den Tisch, die besonders negative Auswirkungen auf Natur und Umwelt haben. Das sehen viele mit Skepsis. Aber als eine lösungsorientierte Organisation reden wir trotzdem mit solchen Firmen und versuchen, sie zu überzeugen, die negativen Auswirkungen auf Natur und Umwelt deutlich zu reduzieren. Das ist immer eine Gratwanderung. Wichtig: Wir nehmen kein Geld von Umweltzerstörern.
Wer sind denn problematische Unternehmen?
Zum Beispiel die Fischerei. Mit ihren großen Industrieschiffen fischt sie ganze Bestände weg und zerstört den Meeresboden. So gibt es vor Neufundland fast keinen Kabeljau mehr, weil die Gleichgewichte durch die Überfischung verschoben sind und die kleineren Fischarten – die Beutefische des Kabeljaus – so stark Überhand genommen haben, dass sie die gesamte Kabeljaubrut wegfressen. So etwas muss für die Zukunft verhindert werden. Deshalb sind Nachhaltigkeitsstandards wie der MSC-Standard für die Fischbestände so wichtig. Wer sich an diese Standards nicht halten will, läuft Gefahr, bald gar keinen Fisch mehr zu verkaufen.
Welche Branchen zeigen noch gar keine Einsicht?
Der Palmöl-Sektor ist sehr schwierig. Als WWF werden wir beschuldigt, dass wir Zertifikaten zugestimmt haben, die nicht scharf genug sind. Aber das Problem ist, dass die Hauptabsatzmärkte von Palmöl China und Indien sind. Und die sind überhaupt nicht an irgendwelchen Zertifikaten interessiert, sondern nur an niedrigen Preisen. Wenn wir mit unseren mühsam errungenen Standards erreichen, dass von einem Urwaldgebiet 30 Prozent und vor allem die ökologisch wertvollsten Abschnitte erhalten bleiben, obwohl das Unternehmen 100 Prozent der Konzession hätte nutzen dürfen, sind 30 Prozent mehr als null Prozent. Dass wir damit der Zerstörung der übrigen 70 Prozent zustimmen, ist Nonsens. Der WWF versucht, 100 Prozent der Wälder zu schützen, wenn es möglich ist. Es geht aber nicht ohne die Wirtschaft. Die müssen wir überzeugen, so unangenehm und langwierig die Verhandlungen auch sind. Der Weg ist dornenreich, aber anders können wir keine Änderungen herbeiführen.
Erfährt der Durchschnittskunde im Supermarkt genug, wenn er das Aufgedruckte der Verpackung liest?
Ich glaube nicht. Da ist zu viel Kleingedrucktes. Es fehlt an Orientierung. Wenn der Panda zusätzlich zu einem Siegel wie dem Umweltengel auf der Packung klebt, erfüllt das Produkt einen hohen Anspruch. Aber das setzt Vertrauen in die Siegel voraus. Bevor das WWF- Logo auf ein Produkt kommt, gibt es lange interne Verhandlungen und Untersuchungen bis hin zu den Produktionsstätten. Da muss vom Inhalt, der Zertifizierung und der Verpackung alles zusammenpassen.
Der WWF arbeitet vor allem im weltweiten Naturschutz. Wie überzeugen Sie Leute vor Ort davon, ein Naturschutzgebiet zu akzeptieren?
Ich habe als Frontmann hautnah die Debatten erlebt, als es um den Nationalpark Wattenmeer ging. Der Widerstand vor Ort war damals geradezu feindselig. Im Wattenmeer würden sich inzwischen mehr als 80 Prozent der Leute wehren, wenn der Nationalpark wieder abgeschafft werden sollte. Sie haben erkannt, dass sie durch den Naturschutz eine Menge Vorteile haben. In Deutschland hat niemand wirkliche Einbußen, wenn ein Naturschutzgebiet oder ein Nationalpark ausgewiesen wird. Das sieht in armen Ländern oft anders aus. Dort liegt unser Schwerpunkt darin, Naturschutz und Armutsbekämpfung zusammenzubringen, um so für die Natur und die Menschen Vorteile zu erreichen.