Gipfel Rio + 20: Umweltorganisation unter Beschuss
Der WWF will die Umwelt schützen, aber demonstrieren reicht ihm nicht. Seine Methode lautet: mitreden. So ist er von einem Gegner der Wirtschaft zu ihrem Partner geworden. Und hat vor dem Klimagipfel in Rio nun selbst ein Imageproblem.
Es geht mal wieder um den Regenwald. Und die Kämpfer des WWF, die gegen seine Abholzung sind, schaffen es, an diesem Tag an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Da sind einmal die Aktivisten des World Wide Fund for Nature, die im alten Zentrum von Rio de Janeiro rückwärts durch die Straßen laufen. Sie gucken dabei nach hinten, was natürlich ein Symbol für Rückschrittlichkeit und Blindheit sein soll. Aber es macht den Demonstranten, die Banner mit Parolen und einem Pandabär, dem Wappentier des WWF, hochhalten, auch sichtlich Spaß. Sie könnten jederzeit über ihre eigenen Füße stolpern.
Und da sind die anderen vom WWF, die Berater. Sie sind zur selben Zeit im Kongresszentrum damit beschäftigt zu reden. Wenige Tage vor dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Rio sind die ersten Minister aus anderen Erdteilen, auch solchen, in denen es keinen Regenwald gibt, eingetroffen. Aber sie kommen nicht unvorbereitet. Die Umwelt hat Lobbyisten. In 30 Ländern ist die WWF-Stiftung mit nationalen Ablegern aktiv. Die treten an Politiker heran, um mit ihnen über den Regenwald zu sprechen und darüber, dass Brasilien jedes Jahr riesige Waldflächen durch Rodungen verliert.
Monatelang hat der WWF hinter den Kulissen für ein besseres Waldgesetz gekämpft. Nun sind die WWF-Demonstranten gegen das Gesetz. Es reicht ihnen nicht weit genug. Die Hoffnungen ruhen jetzt auf Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Sie hat einen Teil des Gesetzes durch ihr Veto gestoppt. Ob mehr daraus wird? Viele brasilianische Abgeordnete sind Großgrundbesitzer im Amazonas und eine mächtige Agrarlobby. Nun streiten Mitglieder von Rousseffs Regierung mit den angereisten Politikern über einen „Kompromisstext“ für das Abschlussdokument des Rio-Gipfels. Und der WWF ist mittendrin.
Als eine der beiden größten Umweltorganisationen wird sie von den meisten Regierungen der Welt inzwischen nicht mehr als Gegner, sondern eher als Partner betrachtet. Ihre Dienste lässt sie sich von Firmen bezahlen.
Alois Vedder ist einer von diesen Kämpfern, aber man sieht es ihm nicht mehr an. Der Mann mit Anzug und Hornbrille hat schon zweieinhalb Stunden in einem Shuttlebus hinter sich, als er das Tagungsgelände 40 Kilometer vor der Stadt erreicht. Bevor die Staats- und Regierungschefs zum Rio-Gipfel anreisen, wird hier bereits an der Abschlusserklärung gefeilt. Als Politikdirektor beim WWF Deutschland ist Vedder kaum von den Diplomaten der Regierungsdelegation zu unterscheiden. Er weiß sich auszudrücken, seine Umgangsformen sind geschliffen. Seit 15 Jahren ist er beim WWF. „Ich kam von Greenpeace und musste mich an einiges gewöhnen“, sagt er.
Damit meint er vor allem die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Schwergewichte des Naturschutzes. Während Greenpeace Umweltsündern mit Aktionen zusetzt, die sie in der Öffentlichkeit schlecht aussehen lassen, so dass sich die Firmen notgedrungen mit den Aktivisten irgendwann an einen Tisch setzen, sucht der WWF von Anbeginn das Gespräch. Vedder beschreibt die Strategie so: „Für fast jedes Produkt der Welt gibt es ein paar Firmen, die den größten Marktanteil haben. Wenn es gelingt, diese Unternehmen zu einem umweltverträglicheren Verhalten zu bewegen, ist das ziemlich wirkungsvoll.“
Und wenn es nicht gelingt?
Vedder druckst bei solch einer Frage herum. Seine Organisation ist nicht dafür gemacht, selbst öffentlichen Druck aufzubauen. Sie will überzeugen. Sie macht Angebote. Vedder wünscht sich, wenn es mal nicht so läuft, „mehr Druck von außen mit guten Argumenten“. Denn nur wenn es den gäbe, sagt er, könne der WWF nach Innen auf die Unternehmen Einfluss ausüben. „Wir sind für so etwas dankbar“, sagt Vedder.
Dem Journalisten Wilfried Huismann ist die WWF-Methode der „strategischen Partnerschaft“ suspekt geworden. Als „Pakt mit dem Panda“ hat der dreifache Grimme-Preisträger sie in einem Film über den Einfluss des WWF auf Unternehmensentscheidungen bezeichnet. Wobei der Grund des Übels für ihn in der Ursprungsgeschichte liegt.
Die Umweltstiftung ging 1961 aus einem exklusiven Kreis von Wissenschaftlern und Unternehmern hervor. Besorgt um die Vernichtung des Lebensraums großer Wildtiere, schlossen sich Prinz Bernhard von den Niederlanden und weitere passionierte Großwildjäger, aber auch Leute wie der deutsche Naturschützer und Zoodirektor Bernhard Grzimek zusammen. Einen gewissen aristokratischen Geist will Huismann bei seinen Recherchen zum 50-jährigen Bestehen in der WWF-Zentrale in Gland noch immer gespürt haben. Er habe ein ungutes Gefühl gehabt und Reste kolonialen Gebarens gegenüber Ureinwohnern wahrgenommen. „Die insgeheim spürbare Arroganz macht mich wütend“, schrieb er in seinem auf den Film folgenden „Schwarzbuch WWF“.
Das Buch bereitet den Umweltaktivisten zurzeit großen Ärger. Denn es scheint, was sie selbst als ihre Erfolge betrachten, zu diskreditieren. Huismann schildert, wie er im ältesten Tigerreservat Indiens, gegründet 1974, Beweise fand, dass der WWF für die Vertreibung von Ureinwohnern verantwortlich sei. Das sei kein Einzelfall gewesen, behauptet er. Im Namen des Naturschutzes hätten immer wieder Vertreibungen in beträchtlichem Umfang stattgefunden, vor allem in Afrika, schreibt er.
Diese Vorwürfe beziehen sich auf eine vergangene Ära. Doch der WWF glaubte sich gegen sie nicht anders helfen zu können, als einen renommierten Medienanwalt einzuschalten und Huismann gerichtlich zu bekämpfen. Buchhändler wurden angeschrieben mit der Aufforderung, das Buch nicht zu verkaufen. Und plötzlich haben die Jäger des Bösen selbst ein Imageproblem. Die Öffentlichkeit sieht den Journalisten von einer mächtigen Organisation verfolgt, deren Macht viel weniger weit reicht, als ihr Auftreten vermuten lässt.
Das Gericht empfahl Huismann und dem WWF, sich gütlich zu einigen.
Normalerweise hat der WWF genau das auch vor – Zusammenarbeit. So hat er es mit dem Einzelhandelskonzern Edeka gehalten. Seit sich dessen Konkurrent Rewe relativ erfolgreich darum bemüht, sein Image und sein Sortiment in Sachen Umweltverträglichkeit zu verbessern, muss auch der größte Einzelhändler mehr tun.
Edeka beherrscht mehr als die Hälfte des deutschen Markts für Tiefkühlfisch. Alois Vedder sagt, wenn ein so großer Spieler im Markt auf Fische umstellt, die aus nachhaltig bewirtschafteten Beständen stammen, hat das Auswirkungen auf den Markt als Ganzes. Bis Anfang 2012 wollte Edeka mit Hilfe des WWF hundert Prozent seines Fischangebots aus verlässlich ökologischen Quellen beziehen. Es sind dann doch nur 87 Prozent geworden. Aber aus Vedders Sicht ist das trotzdem ein Erfolg.
Edeka hätte sich für diese Strategie auch einer Unternehmensberatung anvertrauen können. Und tatsächlich ist die Partnerschaft mit dem WWF ein langfristiges Projekt. In den kommenden Jahren will der Einzelhandelsriese sein Sortiment an billigen Eigenmarken qualitativ verbessern und ökologisieren. „Den Panda bekommt Edeka aber nur für die Produkte, die zumindest einen Bio-Standard erfüllen“, sagt Vedder.
„Der Panda“ ist die zweite Waffe des WWF. Ein Gütesiegel, das auf das Konsumverhalten des Menschen einwirken will. „Schützen durch Nutzen“ ist die Parole. Es gibt viele solcher Siegel des WWF. Eins für nachhaltigen Fischfang. Eins für nachhaltige Holzwirtschaft. Eins für globale Holzwirtschaft. Und eins für verantwortlich produziertes Palmöl. Es sind Instrumente einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Und wie bei der Frauenquote, dem Verzicht auf Holzschutzmittel oder dem CO2-Ausstoß bei Neufahrzeugen ist nicht ganz klar, ober der Nutzen den Schaden aufwiegt. Das zeigt am ehesten, wie zweischneidig die Methode WWF ist.
Nichts zerstört den tropischen Regenwald derzeit mehr als die wachsende Palmölproduktion in Malaysia und Indonesien. Die Klimabilanz ist katastrophal: Bei keinem anderen Geschäft werden so viele Treibhausgase frei. Und Palmöl ist der Alleskönner unter den Ölen. Es wird in der Lebensmittelindustrie verarbeitet, in der Kosmetikindustrie und teilweise auch zu Biokraftstoff verarbeitet. Der Weltmarkt wächst stetig. Und mit ihm die Zerstörung.
Vertreter des WWF luden also die großen Player der Palmölindustrie an einen Runden Tisch – um Argumente auszutauschen. Keine einfache Sache. Den Palmölkonzernen ist Nachhaltigkeit und Umweltschutz ziemlich egal. Ihre größten Märkte liegen in Indien und China, dort fragt kaum ein Kunde, ob Regenwälder zerstört werden, um das Palmöl zu produzieren. Am Runden Tisch konnten die WWF-Vertreter schließlich nur das Palmöl-Siegel durchsetzen. Wer sein Produkt zertifizieren will, darf keinen Primärwald mehr abhacken, nicht auf Flächen anbauen, die Lebensraum für bedrohte Arten sind, und keine indigenen Landbesitzer für den Bau von Plantagen enteignen. Keine große Errungenschaft. Aber ein Ansatz.
Für die Kritiker des WWF ist so ein Ergebnis symptomatisch für ein Versagen. Der WWF, so der Vorwurf, nobilitiert Umweltsünden, weil er Kompromisse als Erfolg ausgibt. So werde der Begriff Nachhaltigkeit vom Verhandlungsresultat des WWF missbraucht, und, wie Wilfried Huismann meint, die Ausweitung der Palmölwirtschaft sogar noch befördert.
Aber kann die Natur ein Verhandlungspartner sein?
Für die Umweltritter von Greenpeace ist die Zusammenarbeit mit der Industrie und die Vergabe von Siegeln indiskutabel. Es ist eine Frage des Prinzips. Als Kämpfer des Guten behalten sie in der Konfrontation so zumindest die moralische Überlegenheit. Die geht dem WWF bei seinen Deals oft verloren, er muss Erfolge vorweisen.
Das zeigt sich auch auf einem anderen Schauplatz. Während der WWF gemeinsam mit den Konzernen ein Siegel für nachhaltige Fischerei entwickelt, demaskiert Greenpeace die Industrie. Die Meeresbiologin Iris Menn fuhr vor ein paar Wochen auf einem Greenpeace-Schiff vor der Küste Westafrikas auf und ab. Sie dokumentierte, welche großen europäischen Fischereikonzerne dort die Meere leer fischen, so dass für die Küstenfischer Senegals oder Mauretaniens kaum noch etwas übrig bleibt.
Welche Strategie erfolgreicher ist, die integrative des WWF oder die konfrontative von Greenpeace, ist nicht entschieden. Angesichts der Tatsache, dass es bald kein Stück Meer mehr gibt, das nicht überfischt ist, braucht es vermutlich beide. In Rio kämpfen WWF und Greenpeace gemeinsam dafür, dass es auf hoher See Meeresschutzgebiete geben soll.
Auch die Welt kann das nur gemeinsam vereinbaren, und das schien eines der wenigen Themen zu sein, das trotz des Widerstands der USA ein Erfolg hätte werden können. Doch die Diplomaten fürchteten am Ende, wenn sie die Verhandlungen darüber noch einmal beginnen würden, an anderer Stelle mehr weggeben zu müssen. Also schwiegen sie und nahmen hin, dass die Meeresschutzgebiete im Gipfeldokument von Rio erwähnt, aber danach wohl noch immer nicht geschaffen werden.
Da haben weder Greenpeace noch der WWF Erfolg gehabt.