Verkehr, Auto und autofreie Städte: Berlin macht Rückzieher, andere Städte nicht
Abgasfreier Verkehr? In Berlin ist der autofreie Kiez erst einmal abgesagt worden. Andere Städte demonstrieren, wie Mobilität in Metropolen grüner, leiser, freundlicher sein kann. Den Anfang machte Seoul.
Vor einem guten halben Jahr stieg in der südkoreanischen Millionenstadt Suwon das weltweit erste „Ecomobility Festival“. Einen Monat lang wurden Verbrennungsmotoren von den Straßen verbannt. Auch wenn vordergründig wieder alles beim Alten ist, sollen Stadtbild und Verkehr dauerhaft grüner werden.
Die Ampel ist rot, ein Fahrrad bleibt stehen, hinter ihm ein Pushcar. Als das Licht auf Grün springt, heult kein Motor auf, keine Auspuffe arbeiten, nirgendwo riecht es nach Benzin. Stattdessen tönen Klingeln, das Tempo ist langsamer als sonst, dafür aber auch der Geräuschpegel niedriger. Kein Stau, keine große Unfallgefahr. Der Verkehr fließt, und eine gute Minute später, wenn die Fahrer auf der Hauptstraße wieder Rot haben, wiederholt sich das Bild. Jedes Mal bleibt die Innenstadt ohne Abgase.
Ein träumerischer Blick in die Zukunft? Zunächst ist es einer in die nahe Vergangenheit. Im vergangenen September verzichtete der Bezirk Haenggung-dong in Suwon, 45 Kilometer südlich von Südkoreas Hauptstadt Seoul, für einen Monat bei allen Transporten auf die Nutzung fossiler Brennstoffe. Autos wurden von den Straßen verbannt, Verkehrsmittel mussten ohne Motoren funktionieren. Nie zuvor hatte eine Stadt über einen so langen Zeitraum auf so viel Bequemlichkeit im Transportwesen verzichtet. Suwons Bürger leisteten weltweit Pionierarbeit.
Einen Monat autofrei in Suwon
Nichts Geringeres als das „Paradigma der Transportplanung“ sollte hier umgekehrt werden, wie der deutsche Kreativdirektor des Festivals, Konrad Otto-Zimmermann, angekündigt hatte. „Das bedeutet: Beginne mit Fußgängen. Was du nicht laufen kannst, dafür nimm das Fahrrad. Und wenn das nicht geht, steige auf irgendein anderes nicht-motorisiertes Fahrzeug um, wie Push- oder Pullkart, was auch immer hilft. Und wenn das nicht möglich ist, gibt es den öffentlichen Verkehr.“ Trotz anfänglichen Widerstands der Anwohner, wie auch derzeit in Berlin-Pankow, wo über einen ähnlichen Ansatz für das kommende Jahr nachgedacht wird, hielt Suwon durch. Tatsächlich war einen Monat lang kein Auto in Betrieb.
Der Bürgermeister Yom Tae-young hatte seine Bewohner vorbereitet: „Wir müssen uns mit der unbequemen Wahrheit anfreunden, dass uns die fossilen Brennstoffe irgendwann ausgehen werden“, sagte er zur Festivaleröffnung. Zu einer dreitägigen Konferenz waren im Voraus 600 Politiker und Bürokraten aus 40 Ländern gekommen. Sie wollten wissen, wie diese Großstadt Suwon, oder zumindest ein Teil davon, das schaffen sollte: Einen Monat ohne Autos? In einem Land, aus dem mit Hyundai und Kia zwei der größten Autohersteller der Welt kommen? In einer Gesellschaft, die sich binnen weniger Jahrzehnte zu einer Industrienation gemausert hat und wo das Auto auch deshalb als wichtiges Statussymbol gilt?
Das Städtebündnis Iclei hatte die Idee
Die Idee für das Festival kommt vom UN-initiierten und in Bonn ansässigen Städteverband Iclei (International Council for Local Environmental Initiatives). 2011 stellte dieser das Konzept der motorfreien Stadt erstmals vor und suchte nach Standorten für die Umsetzung. Wegen der großen Herausforderung näherte man sich Suwon an: ein Ort mit alter Stadtstruktur, engen Straßen, dicht aneinandergebauten Häusern und daher einem hohen Geräuschpegel.
Die Veränderung durch die Abwesenheit motorisierter Fahrzeuge würde hier besonders auffallen, so die Überlegung. Während etwa in den fahrradfreundlichen Niederlanden 36 Prozent der Reisen mit dem Rad zurückgelegt werden, und im benachbarten Japan immerhin ein Fünftel, liegt dieser Anteil in Südkorea nur bei 1,5 Prozent. Das industriell geprägte Suwon, wo unter anderem der Elektronikkonzern Samsung einen wichtigen Standort unterhält, liegt noch unter dem nationalen Durchschnitt.
Vor dem Festival war Haenggung-dong ein vernachlässigter Stadtteil
Der Bezirk Haenggung-dong ist eine der unterentwickelten Gegenden der Stadt. Über Jahre wanderten Betriebe ab, Grundstückpreise liegen niedriger als in anderen Stadtteilen. „Wir wollten dem Viertel neues Leben einhauchen, etwas für die lokale Wirtschaft tun und vielleicht auch damit eine neue Marke für die ganze Stadt schaffen“, sagt Bürgermeister Yom.
Haenggung-dong hat eine Größe von rund 63 Fußballfeldern, auf die 4300 Einwohner kommen 1500 angemeldete Autos. Obwohl es beim „Ecomobility Festival“ nur um einen Monat ging, war der Widerstand anfangs groß. Vor allem lokale Betriebe protestierten, weil ihre Lieferungen unterbrochen und ihr Handel ins Stocken kommen würde. Bürgermeister Yom machte weiter und stieß Stadtentwicklungsinitiativen an. „Erst als die Menschen den Fortschritt in ihrem Viertel sahen, begannen sie, uns zu unterstützen.“ Die Gehwege wurden verbreitert, Blumenbeete angelegt, Straßenlaternen errichtet. Das Viertel wurde heller, freundlicher. Später lobten Anwohner nicht nur den reduzierten Lärmpegel und die Spielmöglichkeiten für Kinder. Auch der Einzelhandel in der eigens eingerichteten Fußgängerzone florierte.
Während des Festivals herrschten einerseits raue Sitten. Immer wenn ein Auto entgegen der Absprache im motorfreien Gebiet geparkt wurde, vergaben Offizielle der Stadt Tickets. Andererseits standen 400 abgasfreie Verkehrsmittel wie Fahrräder, Pushcars, Tandemräder und Anhänger zur kostenlosen Nutzung bereit. Im 15-Minutentakt fuhren sechs Shuttlebusse. Die Post wurde per Fahrrad geliefert, auch die Polizei war ohne Auto unterwegs.
Eine Million Besucher kamen in dem Monat nach Haenggung-dong, der Stadtteil wurde zumindest vorübergehend zum Symbol für einen grünen Verkehr. „Es war ein richtiger Erfolg“, lobte Park Heung-soo, Direktor für Transportpolitik der Stadt Suwon, nach dem Festival. Auch der Vorsitzende der Anwohnervereinigung in Haenggung-dong, Do Jong-ok, ist zufrieden. „Vorher waren die Gehwege nur einen Meter breit und darauf waren auch noch Pfeiler, Fußgänge waren daher gerade für ältere Menschen nicht einfach.“
Das Festival hat auch andere Städte inspiriert
Vertreter anderer Städte fühlen sich inspiriert. „Mehr Straßen zu bauen, um Transportprobleme zu lösen, ist wie Feuer mit Öl löschen zu wollen“, sagt Gil Penosa von der Städtevereinigung 8-80 in Toronto. Aber mittlerweile ist ein gutes halbes Jahr vergangen. Nur noch Kenner des Viertels sehen, wie Haenggung-dong erst letzten Spätsommer umgekrempelt wurde. Autos fahren wieder mit altbekannter Frequenz, an den Kreuzungen sind Hupen zu hören, kaum Fahrradklingeln, Abgase schwelen in der Luft. Wer aber Bescheid weiß, erkennt Veränderungen. Die breiteren Gehwege sind geblieben, die Laternen, das Grün. Mitten im Viertel wurde ein Parkplatz zu einer Art Spielwiese umfunktioniert, auf der sich Kinder austoben und kleine Geschäfte Getränke verkaufen.
Auch 60 Prozent der motorenfreien Fahrzeuge wurden der Verwaltung von Suwon übergeben. Eine Straßenbahn soll gebaut und das Tempo der Autos auf 30 Stundenkilometer reduziert werden. Schulkinder werden verstärkt die Vorzüge nicht-motorisierter Transportalternativen gelehrt. „Die Menschen haben gemerkt, dass es nicht nur möglich ist, in einer Nachbarschaft ohne motorbetriebene Fahrzeuge zu leben, sondern dass es auch Spaß macht und für die Verkehrsteilnehmer sicherer ist“, sagt Yom Tae-young. Bis sich aber die Mentalität umkrempelt, scheint es auch in Suwons Haenggung-dong noch ein weiter Weg. Die ebenfalls neu eingeführten autofreien Wochenenden schätzen die meisten Bewohner bisher eher als eine nette Abwechslung. Vom autobetriebenen Alltag.
Berlin: Vorerst wird weiter Gas gegeben
Gescheiterte Neuauflage
Die Initiatoren wollten es den Bürgern als einmalige Chance verkaufen, der überraschte Bezirksbürgermeister sprach von „Zwangsbeglückung“ und die Betroffenen hatten das Gefühl, ihnen würden die Autos weggenommen. Diese Gemengelage ist übrig geblieben, nachdem die Pläne für ein Ecomobility-Festival rund um den Helmholtzplatz im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg im Mai 2014 bekannt geworden waren. Der Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) hatte die Pläne monatelang vorangetrieben, ohne Kollegen und Betroffene einzuweihen. Deshalb erfuhren es die Beteiligten erst am vergangenen Sonntag aus dem Tagesspiegel.
Gut geeignet
Aus Sicht der Organisatoren wäre der Helmholtzkiez ideal: 20 000 Einwohner auf etwa 800 mal 800 Metern bedeuten eine zehnmal so hohe Einwohnerdichte wie im Berliner Durchschnitt – also kurze Wege. Auch fährt die Tram mitten durchs Viertel und die S-Bahn hält gleich nebenan. Die 3500 konventionellen Fahrzeuge, die ausgesperrt werden sollten, ergeben eine Quote von 175 Autos pro 1000 Einwohner. Das ist nur gut die Hälfte des Berliner Durchschnitts, der ohnehin der bundesweit geringste ist. Berlin ist zwar die deutsche Stadt mit den meisten Ladesäulen für E-Autos, aber im Helmholtzkiez gibt es noch keine.
Gebremster Ehrgeiz
Die Organisatoren des Festivals wollen nun eine kleinere Alternative mit frühzeitiger Beteiligung der Anwohner prüfen. Details sind noch offen. Für Autofahrer ist Berlin komfortabel: Abgesehen von einzelnen Einkaufsstraßen gibt es keine Fußgängerzonen, keine Citymaut und kaum symbolische Restriktionen wie die zwar diskutierte, aber verworfene sonntägliche Sperrung des Ku’damms. Nur einmal im Jahr (das nächste Mal am 1. Juni) werden Stadtautobahn und Avus zugunsten der Fahrradsternfahrt gesperrt. Autofreies Wohnen war zwar fürs Tempelhofer Feld im Gespräch, ist aber nicht konkret geplant. Stefan Jacobs
Amsterdam: Autofahrer ärgern
Eine verkehrsberuhigte Stadt will die linke Stadtverwaltung Amsterdams. Autofahrer sollen entmutigt werden, innerhalb des Autobahnrings zu fahren, weil das sehr teuer wird. Die rechte Opposition benutzt andere Worte dafür. Sie nennt das: Autofahrer ärgern.
Die wichtigste Entmutigungsmaßnahme ist der Preis. Es ist teuer, in Amsterdam zu parken. Man kann das Zentrum mit dem Auto ziemlich schnell erreichen. Die Stadtverwaltung sagt immer, Geschäfte und Betriebe im Zentrum sollen für ihre Lieferanten gut erreichbar bleiben. Aber von ihren Kunden wird gefordert, nicht mit dem Wagen zu kommen – oder den Preis dafür zu zahlen. Man zahlt fast überall in Amsterdam. Innerhalb des Ringes mindestens 2,40 Euro pro Stunde, und wer im Zentrum parken will, zahlt fünf Euro pro Stunde. Auch sonntags ab 12 Uhr. 2013 haben Autofahrer in Amsterdam 166 Millionen Euro Parkgebühren gezahlt. Das sind neun Millionen mehr als 2012.
Es ist schwierig in Amsterdam zu parken
Autofahrer wissen, es wird immer schwieriger, der Parkgebühr zu entgehen. Wer parkt, muss sein Kennzeichen in den Parkscheinautomat oder in eine Handy-App eingeben. Mit sieben Scanwagen, jeder ausgerüstet mit sechs Kameras, fährt der Stadtkontrolldienst Cition durch die Straßen. Ein Computer vergleicht die fotografierten Kennzeichen geparkter Autos mit den Daten der Zahlungen. Hat ein Fahrer nicht gezahlt, bekommen Parkwächter auf einem Motorroller automatisch eine Nachricht. In wenigen Minuten sind die dann zur Stelle, um einen Strafzettel auszustellen. In einer halben Stunde können mit einer Kamera hunderte Kennzeichen kontrolliert werden.
Deshalb wissen viele Besucher, dass man am besten nicht mit dem Auto innerhalb von Amsterdam fährt. Am Rand der Stadt gibt es sieben Park& Ride-Plätze, wo man viel billiger parkt und mit Straßenbahn, Metro oder Bus weiterfahren kann. In den vergangenen Jahren wurde auch das Carsharing stark gefördert.
Und dann gibt es natürlich das Fahrrad. Viele Amsterdamer haben auf das Auto verzichtet. Parkausweise sind teuer, es kann Jahre dauern, bis man einen bekommt, und dann ist es noch immer schwierig, einen Parkplatz zu finden. Nur 31 Prozent der Einwohner besitzen ein Auto. Unter den 18- bis 29-Jährigen sind es noch weniger: 16 Prozent. Fast 40 Prozent der Verlagerung des Verkehrs geschieht mit dem Fahrrad. Kein Wunder – wenn man weiß, dass die 800 000 Einwohner Amsterdams zusammen 880 000 Fahrräder besitzen. Marc Leijendekker
Rom: Das Chaos zähmen
Der römische Stadtverkehr ist chaotisch und laut Statistik einer der lebensgefährlichsten in Europa. Das liegt nicht nur an der chronischen Missachtung aller Regeln (bis auf eine: Erlaubt ist, was Meter bringt), sondern auch daran, dass in Rom so viele private Fahrzeuge zugelassen sind wie nirgendwo sonst in der EU: Auf 2,8 Millionen Einwohner kommen fast ebenso viele Autos und Zweiräder, das macht rechnerisch 978 Geräte auf 1000 Einwohner; London und Paris – zum Vergleich – liegen bei 398 und 415.
Zum Schutz der historisch wertvollen Innenstadt ist der Autoverkehr zumindest dort seit 15 Jahren begrenzt. Hinein darf nur, wer darin wohnt oder zu arbeiten hat; die „Citymaut“, praktisch nur im Jahresabonnement zu haben, kostet je nach Typ und Hubraum zwischen 94 und 1032 Euro; Zweit- und Drittautos sind noch deutlich teurer. Für alle geöffnet wird die Innenstadt nur nach 18 Uhr; frei- und samstags allerdings gilt ein Nachtfahrverbot von 23 bis 3 Uhr. Nur was auf zwei Rädern einherfährt, ist frei von jedweder Beschränkung.
Der Generalverkehrsplan von 1999 wird derzeit grundlegend überarbeitet, weil seine Basis nicht mehr stimmt. Zum Beispiel sind viele Römer und Zuwanderer seither ins Umland gezogen (dort sind die Wohnungspreise entschieden günstiger). Das aber hat zur Folge, dass die Pendlerbewegungen um mehr als die Hälfte zugenommen haben; knapp zwei Drittel davon erfolgen mit Privatfahrzeugen.
Der Nahverkehr ist auf dem Stand von 1999
Demgegenüber ist der öffentliche Nahverkehr auf dem Stand von 1999 stehen geblieben. Auf seinem historischen Minimum stagniert hat auch der Ausbau von Busspuren; der öffentliche Fuhrpark ist stark veraltet; eine dritte U-Bahn-Linie befindet sich erst im Bau. Sprich: Die Lage – laut Stadtverwaltung – ist „kritisch“.
Den Smogproblemen versucht Rom in atmosphärisch heiklen Jahreszeiten mit Fahrverboten zu begegnen: So sind an den Donnerstagen der einen Woche nur Fahrzeuge mit geradzahligen, die Woche darauf dann nur ungeradzahlige Kennzeichen erlaubt. Die Wirkung ist minimal: Die meisten Römer sind im Besitz von mindestens zwei Verkehrsmitteln, und sie kennen Tricks, wie sie bei der Zuteilung der Kennzeichen sowohl zu geraden als auch zu ungeraden Zahlen kommen.
Immerhin sind seit einigen Wochen motorisierte Zweiräder der älteren, besonders umweltschädlichen Jahrgänge verboten. Sichtlich zugenommen – aber auf geringer Basis – hat im vergangenen Jahr das „Car-Sharing“, das sowohl von der Kommune als auch von privaten Unternehmern angeboten wird. Ein italienischer Trend ist die Zunahme der Autos mit Gasantrieb, während elektrische Fortbewegung im privaten Bereich keine Rolle spielt.
In den nächsten vier Jahren will die Kommunalverwaltung nun „weg von den Verboten“ (an die sich sowieso nur wenige halten), dafür aber eine Reihe von Anreizen schaffen, um den öffentlichen Nahverkehr und andere alternative Modelle „gegenüber dem Auto wettbewerbsfähig zu machen“.
Nur die menschliche Muskelkraft hat in Rom keine Chance. Die Leihfahrräder, die die Stadt immer wieder anbietet, werden binnen weniger Tage geklaut. Ferner ist Rom für schweißtreibende Hügel berühmt. Und der Restverkehr bleibt für jeden Radler zu abschreckend chaotisch. Paul Kreiner
Kopenhagen: Grüne Welle für das Rad
Kopenhagen gilt als Fahrrad-Mekka schlechthin. 52 Prozent der Hauptstädter und 36 Prozent der Vorortpendler wählen für den Weg zu Ausbildung und Arbeit das Rad. Nirgendwo in Europa sind so viele Radfahrer unterwegs wie auf der Nørrebrogade, die als eine der Haupteinfallstraßen von den Vororten in die City führt. Die Zählstation auf der Dronning Louises Bro in der City registriert täglich an die 36 000 Fahrräder. Extrabreite Radwege beherrschen dort das Bild; der Autoverkehr hat Platz abtreten müssen, mit nur einer Spur in jeder Fahrtrichtung ist er in die Straßenmitte verlagert worden. Keine parkenden Autos am Straßenrand, keine Autotür, die sich plötzlich öffnen und zur Gefahr für den Radler werden kann.
Die Liste der Annehmlichkeiten für Kopenhagens Radfahrer ist lang und wird stetig erweitert. So stehen seit April 250 intelligente Stadträder, ausgerüstet mit Tablet-PC, Elektromotor und superstarken Reifen, zum Leihen bereit, 1550 weitere sollen bald folgen. Herkömmliche Räder kann man seit langem per Münzeinwurf so einfach leihen wie einen Einkaufswagen im Supermarkt. Seit 2006 gibt es „grüne Wellen“ für Radfahrer, die Mitnahme des Rads in der S-Bahn ist kostenlos. Fast alle Hauptstraßen haben Radwege, die mit bis zu fünf Metern nicht nur als breiteste, sondern auch als ebenste in Europa gelten.
Fahrradfahren mit Komfort
Seit Jahrzehnten hat Kopenhagen, teils unter heftiger Gegenwehr der Auto-Lobby, systematisch auf das Fahrrad gesetzt. So war die Umgestaltung der Nørrebrogade umstritten – trotz großer Proteste blieb die Stadt aber bei ihrem Plan. Schon Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre wählte Kopenhagen, das sich im vorhergehenden Jahrzehnt immer mehr zu einer herkömmlichen „Autostadt“ mit drögen Blechkolonnen entwickelt hatte, vor dem Hintergrund der Ölkrise ganz bewusst einen eigenen Weg. Statt nur die Autowege auszuweiten, investierte man massiv in den Aufbau eines feinmaschigen Radwegenetzes. Um die Jahrtausendwende beschloss man, das Projekt Fahrradstadt generalstabsmäßig anzugehen – mit jährlichen Fahrrad- Strategien, stetig erhöhten Investitionen und mehr Augenmerk auf Komfort.
Doch den Stadtplanern reicht das nicht. „Von gut zur Weltspitze“ lautet das Motto der Kopenhagener „Fahrradstrategie 2011–2025“. Im Blick hat man vor allem die Pendler, von denen schon Mitte der 1990er Jahre knapp 30 Prozent zu Arbeit und Ausbildung radelten; seit knapp zehn Jahren schwankt der Anteil um die 35-Prozent-Marke, ohne den erhofften Sprung nach vorn zu machen. Die Zielvorgabe von 50 Prozent bis 2015 sieht man mittlerweile denn auch eher als Vision. Um ihr näherzukommen, setzt man auf „Super- Fahrradwege“, angelegt wie Autobahnen mit Auf- und Abfahrten. 2012 wurde der erste Super-Fahrradweg eröffnet, der über insgesamt 17 Kilometer vom Vorort Albertslund in die City führt. Mit Attributen wie hervorragender Ausschilderung, grüner Welle für eine Radler-Geschwindigkeit von 20 km/h und teilweiser oder gänzlicher Trennung vom Autoverkehr sollen in den kommenden Jahren insgesamt 26 solcher Verbindungen zwischen Vororten und Innenstadt entstehen. Anne Rentzsch
London: Luft nach oben
Bürgermeister Boris Johnson verspricht den Londonern „Luft, so sauber wie in den Alpen“ – aber erst 2020, wenn die Innenstadt zu einer „Zone ultraniedriger Umweltemissionen“ werden soll. Aber noch droht eine 300-Millionen- Pfund-Strafe, die Brüssel für zu hohe Werte des besonders schädlichen Stickstoffoxids NO2 in Londons Luft erheben könnte.
Jährlich sterben wegen der horrenden Luftverschmutzung 4300 Londoner vorzeitig. An Hotspots wie vor dem Buckingham- Palast, liegen die Werte manchmal viermal über dem EU-Höchstwert. Früher war es noch schlimmer: Beim „Great Smog“ im Winter 1956 starben 12 000 Menschen, wie Johnson die Londoner erinnert. Damals wurde über Nacht der Kohlebrand in Häusern verboten – und das viel belachte „elektrische Feuer“ der Engländer erfunden. Johnson fordert einen ähnlichen „Sprung nach vorn“, steht aber wegen seiner gelassenen Gangart in der Kritik. Grüne Politiker waren entsetzt über seinen angeblichen Versuch, während Olympia Feinstaub in der Nähe von Messstationen durch Sprays zu binden. Sie kritisieren, dass es mit den oft versprochenen Elektro-Taxis nicht vorangeht, und halten seinen hochgelobten neuen Londoner „Hybrid Bus“ für Augenwischerei. Auch die Londoner Umweltzone innerhalb der Ringautobahn M25 ist eine halbherzige Sache: Sie gilt nur für Lastwagen und Busse.
2003 wurde die Citymaut eingeführt
Umweltgruppen fordern autofreie Tage oder Fahrverbote wie jüngst in Paris. Aber das hält nun wiederum Johnson für Augenwischerei. „Sonderaktionen bringen nichts“, sagt das Bürgermeisteramt, man verlagere Verkehr und Verschmutzung nur in andere Gebiete. Auch deshalb wurde nach einem Referendum die Erweiterung der Londoner Citymaut-Zone nach Westen wieder abgeschafft – ebenso der Straftarif von 25 Pfund (30 Euro) für die bei wohlhabenden Westlondonern beliebten 4x4-Fahrzeuge oder „Chelsea Traktoren“.
Die Erfolge der Citymaut, von Ken Livingstone 2003 eingeführt, sind mäßig. Der Verkehr läuft kaum schneller, viel Verkehr wurde auf die Stunden vor Beginn und nach Ende der Mautzeit verlagert. Luftverschmutzung ging in Zentrallondon zurück, am Gesamtbild der Londoner Luft änderte sich aber wenig.
„Schneller und verbindlicher Einsatz neuer Technologie statt Mätzchen“ lautet Johnsons Mantra. Er kritisiert die Autoindustrie dafür, dass die Normen EU 4 und EU 5 wenig gebracht hätten, weil Emissionsgrenzen „nur in Tests, nicht in der Realität des Straßenverkehrs“ eingehalten würden. Elektro-Taxis, umweltfreundlichere Busse, gar ein neuer elektrischer Doppeldecker stehen auf dem Programm. Und ab 2020 sollen in der Londoner Innenstadt nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden – damit alle Alpenluft schnuppern dürfen. Matthias Thibaut
Paris: Den Bürgern die Stadt zurückgeben
Für Franzosen war es nie ein Thema. Während in deutschen Großstädten schon seit vielen Jahren über Maßnahmen gegen Feinstaub diskutiert wurde, gab es in Frankreich lange Zeit nicht einmal einen Begriff, mit dem das Problem dieser vor allem durch den Autoverkehr verursachten Luftverschmutzung Eingang in die öffentliche Debatte gefunden hätte. Das änderte sich schlagartig im März dieses Jahres.
Infolge eines Hochdruckgebiets über Nordfrankreich mit warmen sonnigen Tagen, kalten Nächten und wenig Wind lag Paris unter einer grauen Dunstglocke. Die Spitze des Eiffelturms war nur noch schemenhaft zu erkennen. Mit 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft hatte die Konzentration von Feinstaubpartikeln das Doppelte der zulässigen EU-Norm von 80 Mikrogramm weit überschritten. Zum ersten Mal seit 1997 sah sich die Regierung gehalten, ein teilweises Fahrverbot für Autos anzuordnen. Das Verbot wurde dann zwar in Folge eines Wetterumschlags am nächsten Tag wieder aufgehoben. Aber das Phänomen der vom Auto herrührenden Umweltbelastungen ist den Franzosen seitdem bewusst.
Umweltschützer fordern nun ein automatisches Fahrverbot bei Überschreiten der Smog-Grenzwerte. Doch das wäre kaum durchsetzbar – und würde an den Ursachen nichts ändern. Stattdessen setzen die Verantwortlichen in Paris darauf, dass die Einsicht, wie viel Auto die Stadt verträgt, auch ohne umwälzende Einschnitte wächst.
Die Luftverschmutzung soll um 50 Prozent sinken
„Ich will die Stadt den Parisern zurückgeben“, hatte Bürgermeister Bertrand Delanoe 2001 bei seiner Wahl erklärt. Bis 2020 wollte er den Autoverkehr um 40 Prozent, die Luftverschmutzung um 50 Prozent verringern. Davon ist Paris weit entfernt. Doch zum Ende seiner Amtszeit konnte Delanoe einiges präsentieren, wie er das Auto im Stadtverkehr zurückgedrängt hat. Und die Pariser stimmen dieser Politik zu, wie der Ausgang der Kommunalwahlen im Frühjahr zeigte. Aus ihnen ging die von Delanoe als Nachfolgerin empfohlene Anne Hidalgo als Siegerin hervor.
Unter anderem hatte Delanoe die Busspuren ganz für Autos sperren lassen. Auf dem inneren Stadtring wurden Trambahnlinien gebaut. Ein System städtischer Leih-Fahrräder (Velib) wurde eingeführt. Es umfasst inzwischen alle Stadtteile und zahlreiche Vororte. In den oft engen Straßen wurden 700 Kilometer eigene Radwege geschaffen. Seit einiger Zeit gibt es auch Leihstationen für Elektroautos (Autolib).
Delanoes spektakulärste Maßnahmen betreffen jedoch die Schnellstraßen auf den Seine-Ufern. Bestimmte Abschnitte, an denen früher bis zu 4000 Autos in der Stunde durchbrausten, wurden durch begrenzte Sperrungen in Promenaden für Spaziergänger, Radler oder Rollschuhfahrer verwandelt. Der frühere Präsident Georges Pompidou hatte diese Expresswege 1967 noch mit dem Argument bauen lassen: „Man muss die Stadt dem Auto anpassen.“ Das war eine andere Zeit. Hans-Hagen Bremer
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