zum Hauptinhalt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
© dpa/Michael Kappeler

Asylstreit in der Union: Merkel sollte die Vertrauensfrage stellen

Der Umgang mit Flüchtlingen ist zum zentralen Konflikt der Gesellschaft herangereift. Angela Merkel sollte sich ihres Rückhaltes in dieser Frage versichern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Es gibt diesen Augenblick in jeder Kanzlerschaft, in der sich der Amtsinhaber entscheiden muss. Und dieser Moment ist nun für Angela Merkel gekommen. Ausgerechnet für sie, die Meisterin der Kompromisssuche, die Strategin einer Macht, die auf Lavieren und Aussitzen baut. Nun muss auch sie ein Bekenntnis ablegen und gleichzeitig eins einfordern. Steht die Bundeskanzlerin zu ihrer Überzeugung? Und hat sie den Rückhalt ihrer Koalition aus CDU, SPD und vor allem Horst Seehofers CSU – oder nicht?

Der Umgang mit Flüchtenden und Asylbewerbern ist zum zentralen Konflikt der Gesellschaft herangereift, hat sie tief gespalten, und nun liegt der Streit in seiner ganzen Schärfe auf dem Tisch. Angela Merkel sollte, ja sie muss die Frage nach dem Vertrauen stellen. Das Grundgesetz ermächtigt die Amtsinhaberin zu diesem Schritt, wenn sie glaubt, sich des Rückhalts derer versichern zu müssen, die ihre Macht stützen.

Und Merkels Macht ist, daran gibt es wohl keinen Zweifel, in Frage gestellt nach all dem, was die CSU in der vergangenen Woche angerichtet hat. Für Kompromisse ist es längst zu spät. Wenn Angela Merkel weiter für ihre Politik kämpfen will, muss sie sich der Mehrheit im Bundestag versichern. Und vor allem: Sie muss klarmachen, dass sie es ist, die dieses Land regiert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel.
© imago/Emmanuele Contini

Der Aufstand der Christsozialen (und Teilen der CDU) verlangt eine solch klare Antwort. Denn es geht längst nicht mehr um Asylbewerber und deren Zurückweisung an der deutschen Grenze. Jeder weiß, dass es für die Probleme in der Asylpolitik keine nationalen Lösungen gibt, und jeder weiß auch, dass europäische Lösungen wegen der Uneinigkeit in der Gemeinschaft nur schwer zu erreichen sind.

Anders als Merkel will Horst Seehofer die Mühsal nicht länger auf sich nehmen, die multilaterale Problemlösungen mit sich bringen. Seine CSU hat sich für den nationalen Alleingang entschieden. Die Folgen für andere europäische Länder sind den Bayern offenbar egal.

Überzeugte Europäerin

Hinter dem Konflikt, den die CSU jetzt zur Entscheidung stellt, steht deshalb eine grundsätzliche Frage der Zukunft: Glauben wir an Europa, die Kraft seiner Vielfalt, und sind wir dafür bereit, auch schmerzhafte Wege zu gehen und Kompromisse zu akzeptieren? Oder entscheiden auch wir uns für das Trumpsche Prinzip des Stärkeren? Sollen die Italiener, die Österreicher und Ungarn doch sehen, wie sie mit den Zurückgewiesenen zurechtkommen.

Seit Angela Merkel regiert, tut sie das im Bewusstsein einer überzeugten Europäerin. Als die Gemeinschaft an ihrer finanzpolitischen Prinzipienlosigkeit zu zerbrechen drohte und in Deutschland die Stimmen der nationalen Abschottung lauter wurden, war es Merkel, die den Laden zusammenhielt. Gegen den Widerstand auch aus ihren eigenen Reihen.

Und als 2015 hunderttausende Flüchtende um Hilfe suchten, entschloss sich Merkel – die wusste, dass der Fortbestand Europas erneut auf dem Spiel stand –, die deutschen Grenzen nicht zu schließen und fortan auch jene Asylbewerber nicht mehr abzuweisen, die in Italien oder Griechenland schon registriert wurden.

Wenn Merkel für Klarheit sorgt, dann wird es also nicht nur um sie selbst gehen und um die Frage, ob diese Koalition nach nicht einmal 100 Tagen schon wieder zerbrochen ist. Es wird auch um Europa gehen. Und jeder Abgeordnete im Bundestag wird sich bekennen müssen.

Zur Startseite