Kurzer Besuch bei Trump: Merkel probiert's nüchtern
Kein Galadinner, keine Wiedersehensfreude: Donald Trump fertigt Angela Merkel in gerade mal drei Stunden ab. Das sieht nach Affront aus – ist vielleicht aber europäische Strategie.
Er will es wirklich wissen. Wissen, was Deutschland bereit ist einzusetzen in diesem Spiel. Denn ein Spiel ist es, ein Spiel der Mächte. Wann immer Angela Merkel bei einem entscheidenden Punkt ist, wendet Donald Trump sich ihr zu, konzentriert, mustert sie sekundenlang. Immer auch wieder von oben nach unten. Es ist der Blick eines Pokerspielers, kein Beobachter soll an seiner Mimik etwas ablesen können.
Deutlich länger als vorgesehen dauert die Pressekonferenz an diesem Freitag im Weißen Haus in Washington, fast anderthalb mal so lang. Auch deshalb, weil es den US-Präsidenten immer wieder davonträgt, wenn er etwa von den amerikanischen Medienvertretern auf das Scheitern des Kandidaten für die Leitung der Veteranenbehörde angesprochen wird. Ein Thema, bei dem die Kanzlerin ausreichend Zeit hat, sich im voll besetzten, prunkvollen East Room mit seinen goldenen Vorhängen umzuschauen.
20 Minuten unter vier Augen, 90 Minuten gemeinsames Mittagessen, dann eine 30-minütige Pressekonferenz, so lautete die kühle Ansage vor dem Besuch der deutschen Kanzlerin. Kein Vergleich zu den opulenten und bilderreichen drei Tagen, die der französische Staatschef Emmanuel Macron direkt davor beim US-Präsidenten verbringen durfte. Für Merkel nur knapp zweieinhalb Stunden, die im Weißen Haus gerade noch reinpassten zum Ende der Woche. Frugale zweieinhalb Stunden, die es in sich haben.
Auf dem Programm des Arbeitsbesuchs: Strafzölle, das Atomabkommen mit dem Iran, der Syrien-Krieg, die deutschen Verteidigungsausgaben, North Stream 2. Nicht auf dem Programm: Glamour – und Wiedersehensfreude. Nur Stunden vor der Ankunft der Kanzlerinnenmaschine in Washington soll der US-Präsident betont haben, wie wenig er sich auf ihren Besuch freue. Macron hatte er zuvor dagegen „perfekt“ genannt.
Trump hält seinen Ärger nicht zurück
Und so steht Angela Merkel auf den ersten Blick vor einer undankbaren Aufgabe. Macron zelebrierte händchenhaltend Männerfreundschaft, ihr Verhältnis zu Trump gilt als gelinde gesagt angespannt. Der Deutschen fehlen die biografischen Gemeinsamkeiten, die der Franzose gerne hervorhebt. Macron und Trump waren die unwahrscheinlichen Wahlsieger, mussten sich in ihrer Heimat gegen Favoriten aus den Traditionsparteien durchsetzen. Das verbindet. Merkel stammt aus einer der Altparteien. Und sie ist bereits zwölf Jahre an der Macht, entspricht also dem Establishment, das Trump und Macron in ihren Ländern gerade hinweggefegt haben.
Zudem ist Deutschland in den Sachgebieten, bei denen Trump US-Interessen durchsetzen möchte, exponierter als Frankreich. Die Bundesrepublik erzielt einen hohen Handelsüberschuss mit den USA – für Trump ein Zeichen für unfaire Bedingungen. Deutschland unterläuft die Nato-Verpflichtung, zwei Prozent der Wirtschaftskraft für Verteidigung auszugeben – was Trump als unsolidarische Trittbrettfahrerei empfindet. Und Deutschland macht Energiegeschäfte mit Russland zulasten der Interessen seiner EU- und Nato-Partner.
Trump hält mit seinem Ärger über die deutschen Unzulänglichkeiten auch an diesem verregneten Freitag nicht zurück. Macron war als sympathischer Strahlemann nach Washington gekommen, der tagelang entspannt mit seinem Freund plaudern konnte – beim Pflanzen einer Traubeneiche im Garten des Weißen Hauses, beim Abendessen am Montag in Mount Vernon, dem Gut des Gründungspräsidenten George Washington oder beim Galadinner am Dienstagabend. Merkel ist kurz vorm Wochenende der eher unwillkommene Gast.
Und doch: Am Freitag gibt sich der US-Präsident sichtlich Mühe, die Unterschiede bei den Besuchen nicht zu groß werden zu lassen. Zwei Küsse zur Begrüßung, nachdem Trump Merkel vor dem Eingang des Weißen Hauses empfangen hat. Und ja, auch zum sehnsüchtig erwarteten Händeschütteln vor laufenden Kameras kommt es, und zwar immer wieder.
Good cop, bad cop: Eine Strategie?
Denn Merkel genießt Ansehen auf der internationalen Bühne. Der wirtschaftliche Erfolg der Bundesrepublik kommt auch ihr zugute, wird auf ihre Führungsqualitäten zurückgeführt. Deutsche Autos, deutsche Maschinen, deutsche Haushaltstechnik haben ein hohes Prestige in den USA. Trump mag sich an Merkel abarbeiten, die Amerikaner aber halten viel von der Kanzlerin und ihrem Land. 68 Prozent bewerten die deutsch-amerikanischen Beziehungen in einer Umfrage des Pew-Instituts als gut, nur 22 Prozent als schlecht. In Deutschland ist es umgekehrt: 56 Prozent der Deutschen nennen das Verhältnis schlecht, 42 Prozent gut.
Und überhaupt: Vielleicht trügt der äußere Eindruck auch, und die beiden so unterschiedlichen Besuche sind die zwei Seiten einer europäischen Medaille. Good cop, bad cop, eine Strategie, die Präsident Trump dazu bringen soll, mit dem Bündnispartner Europa zu kooperieren?
Dazu passt, dass am Donnerstagabend aus deutschen Regierungskreisen verlautet, Merkel und Macron hätten miteinander telefoniert. Und dass sie sich in der Vorwoche in Berlin getroffen haben. Warum, fragen Beobachter, wäre die von Natur aus eher spröde, aber im Umgang mit schwierigen Kerlen äußerst erfahrene Bundeskanzlerin denn sonst unmittelbar nach Frankreichs ranghöchstem Charmeur eingeflogen, statt eine politische Karenzzeit einzuhalten?
Folgt man der These von der konzertierten europäischen Aktion, lautet die Frage, was sie bewirken soll. Und kann. Die Streitfragen liegen auf dem Tisch, und die Zeit drängt bei einigen Themen besonders. Bereits am 1. Mai, so heißt es in Berlin am Donnerstag, könnte Trump entscheiden, dass die Europäer nicht länger von den Strafzöllen auf Stahl und Aluminium ausgenommen werden. Und elf Tage später könnte er das Atomabkommen mit dem Iran zu Fall bringen, indem er neue Strafmaßnahmen gegen die islamische Republik verhängt.
Nicht "der schlechteste Deal aller Zeiten"
Macron alleine hat Trump inhaltlich keine Zugeständnisse abtrotzen können. Und auch vor Merkels Abflug aus Berlin haben Regierungskreise allzu große Erwartungen gedämpft. Trump sei Trump, der ändere nicht so leicht seine Meinung. Und er lege sich auch ungern fest. Die Unberechenbarkeit gehöre zu seiner Verhandlungsstrategie. Man rechne damit, dass die Verschonung der Europäer von den Strafzöllen am 1. Mai auslaufe und nicht verlängert werde. Aber solche Aussagen sind immer auch Teil des Erwartungsmanagements: Je geringer die öffentliche Hoffnung auf einen glimpflichen Ausgang, desto eher lässt sich ein mageres Ergebnis als Erfolg darstellen. Und die Vorstellung, dass Merkel nur anreist, um sich eine versteckte – oder gar offene – Klatsche abzuholen, wirkt befremdlich.
Vielleicht ist also etwas dran an den Berichten, dass Merkel und Macron einen größeren europäischen Schachzug vorbereiten, Trump in die Mangel nehmen. Und dies vor allem bei den Themen Handel und Iran. Bei Letzterem hat Macron schon bemängelt, dass die USA das Atomabkommen torpedieren könnten, ohne einen Plan B zu haben. Haben die Europäer einen? Und wirkt eines der Argumente, die auch Merkel am Freitag vorbringt?
Am Ende der europäischen Besuchswoche ist das so offen wie zuvor. Vielleicht bedeutet es etwas Positives, dass Trump das Abkommen in der Pressekonferenz einmal nicht als den schlechtesten Deal aller Zeiten bezeichnet. Aber Merkel sagt: Der US-Präsident wird entscheiden, wie er beim Iran weiter vorgeht. Es klingt resigniert, die Europäer haben auch auf Nachfrage keine Zusicherung bekommen, dass Trump zumindest offen für weitere Verhandlungen ist. Und das Spiel nicht vorzeitig beendet, indem er neue Strafmaßnahmen gegen den Iran verhängt und damit das Abkommen platzen lässt.
Auch beim Handel gilt für die Europäer, dass alles besser als ein Abbruch der Verhandlungen ist. Doch das hat seinen Preis, einen Preis, der Trump das Gefühl geben muss, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Angeblich erwägt die EU-Kommission eine Neuauflage des vorerst gescheiterten transatlantischen Handelsabkommens TTIP unter anderem Namen. Das könnte bedeuten, dass transatlantische Zölle im Großen und Ganzen abgeschafft werden – eine Maßnahme, von der die Amerikaner stärker als die Europäer profitieren würden.
Die deutsche Nüchternheit
Brüssel dementiert, dass darüber bereits verhandelt werde. Ganz falsch sein muss das trotzdem nicht. Merkel erwähnt die Möglichkeit, bilaterale Abkommen zu schließen, wenn auf der internationalen Ebene nichts geht. Aber auch hier bleibt ihr nach dem Gespräch mit Trump nicht viel mehr, als zu sagen: Der Präsident wird entscheiden, was er tun will. Keine feste Zusage, nirgends.
In der Zwischenzeit haben die zwei Europäer ihre unterschiedlichen Strategien im Umgang mit Trump ausprobiert: französische Charmeoffensive versus deutsche Nüchternheit. Wer am Ende die höhere Hürde für Trump sein wird, ist offen.
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