Kanzlerin besucht Peking: Merkel muss in China ihr Gesicht wahren
Die Kanzlerin besucht am Donnerstag China. Oder doch nicht? Die Proteste in Hongkong und der Handelsstreit machen die Lage brenzlig. Ein Kommentar.
Alle Jahre wieder... reist die Bundeskanzlerin nach China. Angela Merkel ist dort ein hoch geachteter Gast, auch wegen der Regelmäßigkeit ihrer Besuche. Zuletzt war sie im Mai 2018 dort, nun besucht die Kanzlerin von Donnerstag bis Samstag das „Reich der Mitte“. Oder doch nicht?
Diese Frage stellt sich, denn die Lage ist brenzlig. Nicht (nur) wegen des Handelsstreits zwischen China und den USA, der auch die US-Verbündeten betrifft, sondern wegen der Unruhen in Hongkong. Bei denen es um Werte geht, die dem Westen wichtig sind. Oder sein sollten. Hier geht es auch, wieder, um Gesichtswahrung. Auf beiden Seiten.
In Hongkong wird die Meinungsfreiheit mit Füßen getreten, buchstäblich, außerdem die Versammlungsfreiheit, und es werden Bürgerrechtler inhaftiert. Die Demokratiebewegung in der Sonderverwaltungszone, vormals britische Kronkolonie, will die zunehmende Einflussnahme Chinas zurückdrängen. Massenproteste richten sich seit Monaten gegen den Gesetzentwurf zur Auslieferung von Beschuldigten an China. Zugeständnisse an die Demonstrierenden, wie sie Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam erwog, lässt die Zentrale in Peking nicht zu.
Und nun kommt Merkel. Sie will am Freitag in Peking mit Ministerpräsident Li Keqiang frühstücken, soll Staatschef Xi Yinping treffen. Sollte die Kanzlerin diese Möglichkeiten zum Gespräch aufgeben - oder eben gerade für einen kritischen Dialog nutzen? Und würde sie überhaupt etwas ausrichten können?
China sieht sich als Großmacht
Fraglich. China sieht sich als Großmacht. Die lässt sich nicht belehren, schwer beeinflussen, kaum beeindrucken. Und für die Kanzlerin kann das Ganze auch heikel werden. Sie ist nicht zuletzt mit einer großen Wirtschaftsdelegation angesagt, die auf Geschäfte hofft. Merkel will unter anderem an der Sitzung des „Beratenden Ausschusses der Deutsch-Chinesischen Wirtschaft“ teilnehmen und auf ihrer Station außerhalb Pekings, in Wuhan, Firmen besuchen.
Eine Konzentration auf Wirtschaftsthemen kann in dieser Situation aber schnell unangemessen wirken. Zumal China bekannt dafür ist, eine immer stärkere Verflechtung durchaus als Druckmittel einzusetzen
Würde die Kanzlerin vor diesem Hintergrund etwa Hongkong besuchen wollen, sähe die Pekinger Führung vermutlich allein schon das Ansinnen als beispiellosen demonstrativen Akt an.
Allerdings könnte Merkel trotzdem ein Zeichen setzen, unüberhörbar, unangreifbar: In Wuhan will sie an der dortigen Huazhong-Universität mit Studierenden sprechen. Das Thema, könnte man sagen, wird von der Lage bestimmt.
Wenn die Bundeskanzlerin nicht wegen einer völlig veränderten politischen Situation daheim ihre Reise sowieso „verschieben“ muss. Damit würden übrigens beide Seiten ihr Gesicht wahren.